Rebekka Reinhard: „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“
Am: | November 23, 2015
Normalerweise würde diese Besprechung mit einem Satz beginnen, wie z.B.: „Man glaubt zu wissen,…“ Doch hier beginnt schon der Ärger. Wer ist eigentlich dieser „man“? Jene Generalisierung im Namen der Männlichkeit spricht automatisch für alle Frauen mit, so scheint es, und daran haben wir uns mittlerweile so sehr gewöhnt, dass es keinem (und keiner) mehr auffällt. Oder doch?
Rebekka Reinhard hat ein neues Buch geschrieben – eine kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen). Philosophie – Macht – Frauen: Das klingt nach Geschlechterkampf, nach philosophischer Kriegsführung gegen die Männerwelt, ja vielleicht sogar ein wenig nach dem Rachefeldzug einer Philosophin gegen den männlich dominierten Wissenschaftsbetrieb?
Die Leserin darf beruhigt werden (und in diesem Fall auch der männliche Leser): All dies findet sich nicht in diesem schönen Buch, denn es geht um etwas ganz Anderes. Es soll hier gerade keine Macht-Philosophie oder –Phantasie entfaltet werden, die sich explizit gegen die Männer richtet, sondern die Autorin strebt ein neues solidarisches Miteinander der Geschlechter an, bei dem gerade das Geschlecht keine so große Rolle mehr spielt, wie es heutzutage noch der Fall ist.
Du bist ein Mädchen? Also kriegst Du einen rosa Strampelanzug, später eine Puppe und jede Menge Zartgefühl mit auf Deinen Weg. – Du bist ein Junge? Hier hast Du Deinen Blaumann, Deinen Robocop, und mit fünf nimmt Dich Papi mit zum Fußball.
So banal diese geschlechtliche Ein- und Zuordnung klingt, so sehr hat sie sich in den vergangenen Jahrhunderten bewährt; sie war die Grundlage für eine stabile patriarchalische Gesellschaftsordnung und schuf klare Verhältnisse, sozusagen eine auf dem Geschlecht basierende Sicherheit, auf die man/frau sich verlassen konnte. Leider hat dieses System aber einen entscheidenden Nachteil: Es ist willkürlich und ungerecht, denn es bevorteilt die Männer, allein weil sie Männer sind, und benachteiligt die Frauen, allein weil sie Frauen sind. Mit anderen Worten: Die Menschen werden allein aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit hierarchisiert. Deshalb ist es gut, dass wir in unserer Zeit versuchen, dieses Regelwerk (zumindest in unserem Teil der Welt) aufzubrechen und in eine neue Matrix zu transformieren. – Doch das biologische Geschlecht ist nur die eine Seite der Medaille.
Was uns das Geschlecht an biologischen Unterschieden mitgibt, das nennt Judith Butler, die grande dame der Gender Studies, „sex“. Es gibt natürliche biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau, die nicht verhandelbar sind. Frauen können Kinder bekommen, haben eine bessere Disposition zur Ausbildung von Empathie und Kommunikationsverhalten als Männer. Männer hingegen sind kräftiger, haben dank des Testosterons eine erhöhte Aggressionsfähigkeit (oder eine geringere Aggressionsschwelle) und so weiter.
In Abgrenzung zum „sex“ haben die Gender Studies den Begriff „gender“ eingeführt, womit alle geschlechtsspezifischen Normen und Verhaltensweisen beschrieben sind. Und genau hier liegt die Häsin im Pfeffer!
Denn wir sind eigentlich viel mehr „gender“ als „sex“! Das ist gleichzeitig das Problem und eine Chance. Denn die ganzen Gender-Regeln, jene geschlechtsspezifischen Normen und Verhaltensweisen, sind historisch geprägt – und sie sind somit, das ist die gute Nachricht: veränderbar! Rollenmuster haben sich schon immer gewandelt, sie spiegeln die gesellschaftliche Disposition, oder besser: Gesellschaft und Gender-Vorgaben bedingen sich wechselseitig.
Eine Gesellschaft wird durch die Menschen geformt, die in ihr leben. In der westlichen Welt leben wir seit mindestens zweitausend Jahren in einem Patriarchat, einer maßgeblich und relativ einseitig durch Männer geprägten Kultur. Das hatte nachhaltige Folgen für das Zusammenleben der Geschlechter, das hierarchisch geprägt ist: der Mann oben, die Frau unten, der Mann als animal rationale und die Frau als Verkörperung der wilden ungezähmten Natur.
Das war das Regelwerk, an das sich die Erste Welt jahrhundertelang hielt. Die zweifelhafte Rolle der Kirche soll an dieser Stelle übrigens nicht verschwiegen werden. Die Kirche leistete zur Stabilisierung patriarchalischer Strukturen einen maßgeblichen Beitrag, auf den sie auch heute noch stolz ist: Bis heute dürfen Frauen in der katholischen Kirche keine wirklich hohen Ämter bekleiden; die Macht bleibt in den Händen alter Männer.
Dann kam die Aufklärung, danach die industrielle Revolution, dann die beiden Weltkriege, und mit der Zeit wurden das Recht der Frauen und ihre Stellung in der Gesellschaft Stück für Stück verbessert. Schließlich kam die Frauenbewegung, die 68er, der politische Feminismus. Heute ist die Gleichstellung von Mann und Frau nicht nur common sense, sondern gesetzlich verankert; allerdings steht nach wie vor vieles vor allem auf Papier, das bekanntlich sehr geduldig ist. Mit der neuen Frau kam der neue Mann.
Wenn auch die gesetzliche Verankerung der Gleichstellung endlich vollzogen wurde, gibt es noch eine Menge zu tun. Denn in den Köpfen – vor allem der Frauen selbst – spuken nach wie vor viele alte Rollenbilder. Das Frauenbild einer tradierten Geschlechternorm ist nur schwer durch neue Bilder zu ersetzen, obwohl der Weg zur weiblichen Macht eigentlich geebnet ist.
Zunächst widmet sich die Autorin dem Macht-Begriff. Macht wird meist negativ definiert als etwas Gewalttätiges, als die Fähigkeit, Andere unter Druck zu setzen, sie zu drangsalieren und auszubeuten. Doch Macht kommt von „Machen“ und verweist auf die Potentiale eines Menschen: seine Fähigkeit, frei zu entscheiden und zu handeln.
Genau hier setzt Rebekka Reinhard an! Sie möchten den Frauen von heute klar machen, wie sehr sie immer noch die alten Rollen-Klischees bedienen, das artige Mädchen oder das stets liebe und verständnisvolle Weibchen spielen. Viele Frauen von heute meinen immer noch, dass sie vor allem nett sein müssten, jede Aufgabe, die ihnen aufgetragen wird, erfüllen sollten und alle anderen Aufgaben, die auf dem Weg liegen, auch gleich noch übernehmen müssten. Kurzum: Sie leiden an Selbstüberforderung und an Schuldgefühlen, wenn sie einmal nicht 100 % Leistung bringen.
Rebekka Reinhard möchte mit der Unterstützung ihrer philosophischen Kollegen aus zwei Jahrtausenden den modernen Frauen zeigen, dass sie Macht haben und wie sie sie für ihre eigenen Zwecke einsetzen, anstatt sich weiterhin als Dienstleisterin und Magd den Wünschen Anderer unterzuordnen. Die „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“ gliedert sich in drei Abschnitte und liefert 11 „philosophische Machtmittel“, die den Werkzeugkoffer der Frauen bestücken, die sich ihrer eigenen „Potenz-iale“ bewusst werden und ihr Leben selbst in die Hand nehmen möchten.
Die Autorin unterscheidet in ihrem Buch bewusst zwischen Potenzialen und „Potenz-ialen“: Männer loben das Potenzial einer Frau meist dann, wenn sie ihre Dienstleistungsbereitschaft und Leidensfähigkeit bei der Erledigung von Aufgaben hervorheben möchten. Das hat aber absolut nichts mit all den Talenten und Fähigkeiten zu tun, die frau für sich selbst nutzen sollte. Diese „Potenz-iale“ sind es, die Rebekka Reinhard den Frauen wieder bewusst machen möchte: Was kann ich? Was sind meine Stärken? Was sind meine Träume und Wünsche? All dies sind die „Potenz-iale“, die einer Frau zeigen, wie machtvoll sie ist und wie sie ihre Macht zum eigenen Wohl entfalten kann.
Die moderne Frau hat einen fatalen Hang zum Perfektionismus, meint die Autorin. Auch wenn ihr alles gelingt und sie nach einem Siebzehn-Stunden-Tag müde in der Küche sitzt, muss sie noch ihre Mails checken, das Programm für den morgigen Tag durchdenken und darf immer noch nicht Feierabend machen. Sie beherrscht auch die Kunst der Selbstausbeutung bis zur Perfektion. Die eigene Lebenszeit wird für die Anderen geopfert: für den Lebenspartner, die Kinder, die Arbeit. Die moderne Frau läuft munter gleichberechtigt mit im Hamsterrad unserer 24/7-Welt. Immer fleißig, immer fit, immer nett. Dabei läuft die Gefahr des Scheiterns immer mit. Wer nicht mitmacht, bleibt zurück, versagt und wird nicht mehr geliebt.
Frauen sind chronische Grüblerinnen. Sie beziehen auch sachlich gemeinte Kritik auf sich selbst und suchen den Grund für Probleme immer bei sich selbst. – Frauen sind unfähig Nein zu sagen, denn sie haben Angst, dass ein Nein schlimme Konsequenzen für sie haben könnte. Liebesentzug erscheint ihnen als die schlimmste aller Strafen. Deshalb sind Frauen Meisterinnen im Harmonisieren. Harmonie, der Gleichklang der Seelen, ist für sie das höchste Glück. Dagegen ist ja auch überhaupt nichts zu sagen, doch die Frauen versuchen die Harmonie durch Nettigkeit und Unterwürfigkeit herzustellen, und am Ende bleibt immer nur ein labiles Gleichgewicht und die Sorge um den Fortbestand der Harmonie.
Frauen sind auch perfekte Tiefstapler. Selbst wenn sie eindeutig nachweisbare Kompetenzen haben, neigen sie dazu, in Gegenwart von Männer zu grauen Mäuschen zu mutieren, die lieber attraktiv ihre schönen Beine übereinander schlagen, als Fakten sprechen zu lassen. Gerne spielen sie auch (vor Anderen wie vor sich selbst) das artige Mädchen, das stets darauf bedacht ist, nicht unangenehm (oder überhaupt) aufzufallen. Frauen machen so etwas eben nicht.
An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass all diese Charakterisierungen natürlich unglaublich generalisierend und klischeehaft sind, aber anders kann man ein solches Thema auch gar nicht bearbeiten. Wenn man über gesellschaftliche Verhältnisse schreibt, muss man automatisch zu Generalisierungen greifen, um ein allgemeines Bild zu zeichnen. Dennoch bergen auch Generalisierungen stets einen wahren Kern, den Mann wie Frau nur allzu gut an sich und an Anderen (er)kennen. Diese Verhaltensweisen sind auch und vor allem das Ergebnis jener Geschlechterrollen, zu denen wir erzogen wurden.
Die Macht geschlechtsspezifischer Normen ist so groß, weil „normales“ Handeln und Verhalten positiv sanktioniert wird. Mit anderen Worten: Wer normal funktioniert, macht keinen Stress und bekommt auch keinen. Doch auf diese Weise bleibt man (und frau) immer nur auf der breiten Spur, auf der alle fahren. Hier herrscht großes Gedränge, aber auch große Einigkeit und alle fahren in dieselbe Richtung. Wer hier mitfährt, fällt nicht auf, weder positiv noch negativ.
Wer jedoch aus seinem Leben etwas machen will, ist schlecht beraten, wenn er mit dem großen Strom – dem Mainstream – mitschwimmt. Es sind die Wenigen, die gegen den Strom schwimmen, die auffallen und etwas Neues machen: die sich nicht um die Normen und Beschränkungen scheren, die ihnen die Gesellschaft auferlegt, nur weil sie eine Frau sind.
Viele Frauen haben Angst vor den Männern; sie glauben, dass sie ihnen unterlegen sind, nicht nur körperlich. Doch dafür sind Frauen ja zum Glück viel moralischer als Männer. Deswegen verzichten Frauen auch freiwillig auf Macht. – Hierin sieht die Autorin einen der größten weiblichen Trugschlüsse. Es gibt auch jede Menge unmoralischer Frauen, die obendrein auch sehr machtvoll und erfolgreich waren und sind. Entscheidend für den Ausbau der eigenen Macht ist jedoch vor allem eine gute Portion Nonkonformismus. Das haben viele Frauen in der Geschichte von Jeanne d´Arc über Emily Dickinson bis George Sand gezeigt.
Rebekka Reinhards „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“ ist ein philosophisches Selbsthilfe-Buch, das Ihr Leben verändern kann, egal ob sie eine Frau oder ein Mann sind. Die Autorin hat es ausdrücklich dem „modernen Mann“ gewidmet, was darauf hinweist, dass es in der Tat nicht nur für Frauen geschrieben ist.
Das Buch ist zwar aus der Perspektive einer Frau und in erster Linie für Frauen geschrieben. Doch gerade dadurch eignet es sich auch als eine erhellende Lektüre für den modernen Mann, der ja auch nicht mehr in alten Rollenmuster verhaftet bleiben, sondern sich in einer modernen und offenen Gesellschaft weiterentwickeln will. Gerade der moderne Mann dürfte sich insofern an vielen Stellen wiedererkennen, wenn es um die Unsicherheit der eigenen Rolle oder um die Schwierigkeit der Entfaltung seiner eigenen „Potenz-iale“ geht. – Also ist es ein Buch für alle, die sich weiterentwickeln und aus ihrem Leben etwas Besonderes machen wollen!
Lesen Sie auch das Interview mit Rebekka Reinhard über die „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“!
Autor: Rebekka Reinhard
Titel: „Kleine Philosophie der Macht – nur für Frauen“
Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Verlag: Ludwig Buchverlag
ISBN-10: 3453280733
ISBN-13: 978-3453280731
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