Hektor Haarkötter: „Küssen — Eine berührende Kommunikationsart“
Am: | Februar 14, 2024
Ich schätze es nicht besonders, wenn ein Autor freudestrahlend auf mich zueilt, sobald ich den Buchdeckel angehoben habe, um sogleich sehr nachdrücklich darauf zu insistieren, mich zu duzen. Dies sei doch — angesichts der sehr intimen Thematik, von der er in seinem Buch erzählen möchte — durchaus angebracht, findest Du nicht auch, liebe Leserin, lieber Leser?! — Nein, finde ich nicht!
Gleich zu Beginn seines Buches fällt der Autor in jenen „Du und ich“-Sound, der zweifellos in der Lage ist, mühelos eine gewisse Nähe zu erzeugen — eine Nähe, die aber nicht jedem angenehm sein mag. Der Autor drängt sich in gewisser Weise auf wie jemand, der in einer überfüllten U-Bahn scheinbar kein Problem damit hat, seinen Körper an den eines Unbekannten zu drücken. Das ist nicht jedem auf Anhieb angenehm, und ich schätze es auch nicht besonders.
So braucht es gleich auf den ersten Seiten ein gesundes Maß an Resilienz und Geduld, bis man sich an diesen sehr persönlichen Ton gewöhnt hat. Dabei hätte es nur eines kleinen Kunstgriffes bedurft, um den ganzen Text zu einem echten Lesegenuss zu machen! — Hier sei dem zukünftigen Lesepublikum verraten, wie man es anstellt:
Ersetzen Sie einfach in Gedanken jedes „Du und ich“ in diesem Buch durch das viel leichtere und nicht so aufdringliche „Wir“, und schon werden Sie dieses Buch lieben und — ja, warum nicht?! — auch gerne küssen wollen, wie es der Autor gleich zu Beginn im Rahmen eines kleinen Alltagsexperiments empfiehlt.
Denn was der Professor für Kommunikationswissenschaft über diese „berührende Kommunikationsart“ zusammengetragen und zu sagen hat, ist wirklich interessant, teilweise kurios und immer unterhaltsam.
Ersetzt man also jedes „Du und ich“ durch „wir“, so landet man stilistisch bei Klassikern der Kunst- und Kulturgeschichten, bei Egon Friedell und bei Eduard Fuchs. Weder Fuchs noch Friedell waren Teil des akademischen Wissenschaftsbetriebs ihrer Zeit, sondern waren — wie man heute vielleicht ein wenig herablassend sagen würde — nur „interessierte Laien“, beide äußerst belesen und gebildet, aber eben ohne Hochschul-Abschluss, die Bücher über Themen verfassten, die sie interessierten. Aber vielleicht war es ja gerade diese Leerstelle akademischer Qualifikation, welche ihnen geholfen hat, über all das, was sie für bemerkenswert hielten, mit Begeisterung und Leidenschaft zu schreiben und dabei mühelos die austrocknende Wirkung wissenschaftlichen Arbeitens auf den Text zu vermeiden?
Mit Leidenschaft ist auch Hektor Haarkötter bei der Sache, das tut nicht nur dem Text gut, sondern sorgt gleichzeitig dafür, dass man dieses Buch gar nicht mehr aus den Händen legen möchte! Da schreibt einer so aufgekratzt und gutgelaunt über jene scheinbar so eindeutig schmusige Kulturtechnik des Küssens, dass man einfach mit ihm zusammen auf die Reise durch die Jahrhunderte menschlicher Kulturentwicklung gehen möchte. So wird der Autor zum angenehmen Reisebegleiter, der an jedem markanten Haltepunkt auf der gemeinsamen Wanderung durch die Zeit eine Fülle von Anekdoten und Fakten bereithält, die er zum rechten Zeitpunkt einzustreuen weiß.
In einem leichten und unterhaltsamen Parlando wird hier ein facettenreiches Bild der küssenden Menschheit gemalt; zunächst skizzieren die verschiedenen Funktionen des Küssens aus historischer Perspektive die groben Umrisse, bevor dann in späteren Kapiteln immer detailreicher einzelne Aspekte des Küssens ausgemalt werden, bis wir am Ende des Buches eine wirklich bunte und vielfältige Vorstellung davon haben, wann, wie und warum das Küssen einst entstanden und was aus ihm geworden ist, wozu man küsst und warum das alles nicht selbstverständlich und schon gar nicht bedeutungslos ist.
Mit einem Wort: Sie werden dieses Buch lieben, und Sie werden es nicht mehr beiseitelegen wollen! Ihnen steht eine spannende, lustige und unterhaltsame Lektüre bevor; Sie werden oft schmunzeln, manchmal den Kopf schütteln oder auch mal ungläubig vom Buch aufschauen und staunen, was man mit Küssen alles ausdrücken kann.
Autor: Hektor Haarkötter
Titel: „Küssen — Eine berührende Kommunikationsart“
Herausgeber: S. FISCHER
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
ISBN-10: 3103974337
ISBN-13: 978-3103974331
Tags: Geschichte > hektor haarkötter küssen > Hektor Haarkötter Küssen — Eine berührende Kommunikationsart > kultur > kulturgeschichte des küssens > kulturtechnik > kulturtechnik küssen > küssen > küssen historisch > küssen kulturgeschichte > rezension Hektor Haarkötter Küssen > rezension Hektor Haarkötter Küssen — Eine berührende Kommunikationsart