kulturbuchtipps.de

Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Laura Schaper: „Ökologische Erinnerungsorte des Erhabenen — Erzählen über Tschernobyl, und Fukushima in Werken von Christa Wolf, Nina Jäckle und Alina Bronsky“

Am: | März 8, 2024

Es gibt Bücher, die sind so trocken, dass man sich zunächst die Hände eincremen sollte, bevor man sie zur Hand nimmt. Dies mag zum einen an der Produktionsweise liegen — die Wahl der richtigen Papiersorte scheint in diesem Zusammenhang nicht unerheblich. Zum anderen mag es auch an der Wahl des Themas liegen, welches in einem Buch behandelt wird. Einen weiteren Grund für jene Trockenheit finden wir jedoch im Stil und in der Form des Dargebrachten, also in der Stimme des Autors bzw. der Autorin.

Das vorliegende schmale Buch aus dem Universitätsverlag Winter gibt uns eine gute Vorstellung von den weiten wasserarmen Wüsteneien wissenschaftlicher Publikationen, wie sie dank der stetig steigenden Zahl von Post Graduates an deutschen Universitäten jedes Jahr produziert werden (müssen) und in der Regel sang- und klanglos in den Verzeichnissen lieferbarer Bücher wieder verschwinden, noch bevor sie in nennenswerten Auflagen gedruckt werden.

Nur selten schafft es ein solches Buch auf den Tisch des Rezensenten — zum Glück für alle Beteiligten. Mit der literaturwissenschaftlichen Untersuchung der „Ökologischen Erinnerungsorte des Erhabenen“ schien es sich auf den ersten Blick um dieselbe Art von trockener Wissenschaftlichkeit zu handeln, wie soeben beschrieben. Doch zum Glück verhält es sich in diesem seltenen Fall anders!

Die Autorin beschäftigt die Frage, ob und wie man die gewaltigen Kräfte der Natur und die menschliches Verstehen und Vermögen übersteigenden Auswirkungen menschengemachter Naturkatastrophen literarisch abbilden lassen und wie von ihnen erzählt werden kann undd muss.

Exemplarisch untersucht sie an Werken von Christa Wolf, Nina Jäckle und Alina Bronsky und den atomaren Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima die Möglichkeiten erzählerischer Verarbeitung jener Konfrontation mit dem „Erhabenen“.

In der Ästhetik wird von Erhabenheit gesprochen, wenn wir in Berührung mit etwas kommen, was die normale Wahrnehmung bei weitem übersteigt: Die Erhabenheit der Schönheit der Natur ist hierfür ein gutes Beispiel. Doch erhaben sind nicht nur jene faszinierenden und schönen Ansichten in der Kunst und der Natur, sondern auch jene Erscheinungen, die uns unsere eigene Machtlosigkeit und unsere Ohnmacht deutlich machen: ein Vulkanausbruch, ein starkes Gewitter oder auch die gewaltige Explosion eines Kernreaktors.

Tschernobyl und Fukushima sind nicht nur zum Menetekel eines atomaren Super-GAUs geworden, sie sind auch Erinnerungsorte — genauer: ökologische Erinnerungsorte des Erhabenen. Der Begriff des Erinnerungsorts geht zurück auf den französischen Historiker Pierre Nora, der in den 1990er Jahren von einem„lieu de mémoire“ sprach, an dem sich das kollektive Gedächtnis eine sozialen Gruppe kristallisiere.

Wie die Twin Towers in New York, Auschwitz, der Platz des Himmlischen Friedens, der Majdan, die Akropolis und der Platz vor dem Brandenburger Tor, sind auch Tschernobyl und Fukushima zu kollektiven Erinnerungsorten geworden. Ihre Besonderheit besteht nun darun, dass es sich um ökologische Erinnerungsorte handelt, an denen das kollektive Gedächtnis mit den Grenzen menschlicher Beherrschbarkeit der Natur konfrontiert wird. Im Gegensatz „unscharfen“ Erinnerungsorten, wie besiepielsweise dem tropischen Regenwald, der durch die mutwilligen Eingriffe und die Zerstörungskraft des Menschen über einen langen Zeitraum und an vielen Orten leidet und dessen Abholzung das ökologische System nachhaltig beeinflusst, sind „Teschernobyl“ und „Fukushima“ sowohl territorial als auch zeitloich (durch die jeweiligen Reaktorunfälle) begrenzte Erinnerungsorte von ökologischer Relevanz. Allein aufgrund dieser konturierenden Genauigkeit waren sie auch besser geeignet, zu prägnanten Erinnerungsorten zu werden.

Was die Autorin nun mit den Werken der drei Schriftstellerinnen vornimmt, ist eine Form des „Eco Criticism“, einer bislang vor allem im englischen Sprachraum verbreiteten Deutungsperspektive literarischer Texte. Jener Forschungsansatz einer Untersuchung umweltbezogener Texte ist — salopp gesagt — der „letzte Schrei“ in der komparatistischen Literaturwissenschaft. Wie Dürbeck und Nesselhauf in ihrem Aufsatz zu „Figuren und narrative Instanzen in umweltbezogener Literatur“ schreiben, beziehen Literaturwissenschaftler*innen bei ihren Forschungen im Rahmen des Ecocriticism unterschiedliche Analyseaspekte mit ein: „Themen und Diskurse, Epochen, Genres, Narrative, Ästhetik, rhetorische Formen, Figurenbetrachtungen oder verschiedene Medien.“

Nach einer kurzen historischen und den aktuellen Forschungsstand abbildenden Einführung in den Forschungsansatz des Eco Criticism hebt die Autorin den Definitionsansatz von Frank Uekötter hervor, der die Definition der Erinnerungsorte von Pierre Nora noch erweitert und auf ökologische Erinnerungsorte anwendet: Nicht nur geographische Erinnerungsorte werden hierbei untersucht, sondern auch „Symbole, Ereignisse, programmatische Texte und Personen“ können aus dieser Perspektive zu ökologischen Erinnerungsorten werden.

Laura Schaper geht in ihrer Untersuchung der Frage nach, ob und wo sich derartige ökologischen Erinnerungsorte unter besonderer Berücksichtigung des Erhabenen in Christa Wolfs Störfall, Alina Bronskys Baba Dunjas letzte Liebe und Nina Jäckles Der lange Atem finden lassen.

 

Autor: Laura Schaper
Titel: „Ökologische Erinnerungsorte des Erhabenen — Erzählen über Tschernobyl, und Fukushima in Werken von Christa Wolf, Nina Jäckle und Alina Bronsky“
Herausgeber: ‎Universitaetsverlag Winter
Gebundene Ausgabe: 142 Seiten
ISBN-10: 3825395391
ISBN-13: 978-3825395391

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner