Isobel Markus: „Neues aus der Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“
Am: | November 8, 2023
Der Buchtitel klang witzig, und die Empfehlung vonseiten des Quintus-Verlags zur Lektüre dieser Neuerscheinung war freundlich und nachdrücklich: Isobel Markus. So so. Na, werfen wir mal einen Blick in das Büchlein …
Im Nachhinein ist es schon etwas peinlich — um nicht zu sagen: unverzeihlich —, dass man als kulturinteressierter und in Mitte-Tiergarten lebender Urberliner weder von Isobel Markus, noch von ihrer Kolumne oder von ihrem Salon gehört hat, obwohl man nur wenige S-Bahn-Stationen vom Weltgeschehen entfernt wohnt! (Liebe Frau Markus, es tut mir aufrichtig leid, und es wird ganz sicher nicht mehr vorkommen, denn nun kenne ich ja ihr zweites Leuchtbuchstaben-Büchlein — und es war eine wunderbare Lektüre!)
Selten wird einem Rezensenten heutzutage die Freude zuteil, etwas Überraschendes, Erfrischendes, Neuartiges auf seinem Schreibtisch zu finden. Die große Mehrheit der Neuerscheinungen ist ordentlich gemacht, wenigstens leidlich lektoriert und von den gröbsten orthographischen Fehlern befreit, gut geschrieben und sauber recherchiert.
Das allgemeine Niveau hängt ziemlich hoch, so dass sich neue Autor*innen ganz schön auf die Zehenspitzen stellen müssen, um mit den allgemeinen Qualitätsansprüchen Schritt halten zu können. Doch ab und an liegt ein Buch auf dem Tisch, das schon auf den ersten Blick anders wirkt. — Nun, genau das kann man von Isobel Markus‘ Buch gerade nicht sagen; das Cover sieht nett, aber unverfänglich aus. Seine wahre Besonderheit erschließt sich jedoch rasch bei der Lektüre: Es ist die Sprache, oder besser: das Gefühl der Autorin für sprachliche Nuancen und für die „feinen Unterschiede“ alltäglicher Redewendungen.
Die Stilsicherheit der Autorin und ihr Talent für die Schilderung alltäglicher Situationen in knappster Darstellung sind wirklich bemerkenswert. Sowas kann man eigentlich nicht von Hause aus, sowas muss man lernen. Doch die Kurzbiographie der Autorin auf Ihrer Homepage liefert keine verlässlichen Anhaltspunkte: Studium der Anglistik und Bibliothekswissenschaft. Naja, ein gewisses Sprachtalent sowie die Liebe zu Büchern mögen hier den Ausschlag zum Einschlag einer akademischen Laufbahn gegeben haben … Aber woher kommen diese Meisterschaft in der Darstellung, diese Verdichtung in der literarischen Kurzform?!
Fragen wir nicht weiter nach dem Woher und Warum! Entscheidend ist doch das Endprodukt, ist diese wunderbare Textsammlung! Isobel Markus scheint den ganzen Tag durch Berlin zu spazieren und neue Geschichten anzuziehen wie ein Magnet. Egal ob in der U-Bahn, im Café, im Supermarkt oder wo auch immer: Die Autorin hat immer ihre Ohren auf Empfang gestellt und läuft mit wachen Sinnen durch die Straßen. Wie das geht, kann jeder selbst erfahren, wenn er oder sie einmal mit offenem und zugewandtem Blick auf die Nächsten schaut! — Probieren Sie es mal aus! Das funktioniert wirklich! Man muss nur mal das Smartphone in der Tasche lassen …
Bereits Luther hatte gefordert, man müsse „dem Volk aufs Maul schauen“ — nein, nicht aufs Maul hauen! —, und schon fünfhundert Jahre später hat die deutsche Literatur in Isobel Markus eine Meisterin in dieser Disziplin gefunden! Vor ihr haben das natürlich auch schon andere Autoren gemacht, aber mit einer solchen Beobachtungsgabe und vergleichbaren Präzision in der Darstellung findet man gegenwärtig kaum etwas; da muss man in der Literaturgeschichte schon ein gutes Stück zurückgehen und landet dann bei Tucholsky, Kästner, Keun und anderen.
Jene hinreißenden Miniaturen, die sich hier in dem zweiten Band der Neuigkeiten aus der „Stadt mit den ausgefallenen Leuchtbuchstaben“ versammeln, sind erstmalig und ursprünglich in der Rubrik Berliner Skizzen der linken Tageszeitung taz erschienen. Diese Miniaturen oder Kürzestgeschichten sind ein buntes Sammelsurium skurriler und lustiger, manchmal etwas melancholisch stimmender, doch meistens in bestem Sinne unterhaltender und erheiternder Begebenheiten aus dem Berliner Alltagsleben der Jetztzeit. Es sind Zeitdokumente im besten Sinne. Sie werden kommenden Generationen ein ebenso realistisches wie lebensnahes Bild malen von jener offensichtlich unausrottbaren Eigenschaft der Berliner: vom Berliner Humor.
Wenn wir schon von den kommenden Generationen literatur- und kulturwissenschaftlicher Student*innen sprechen, die in Isobel Markus’ Oeuvre eine reiche Quellensammlung an Beschreibungen von zeittypischen Kulturtechniken und Verhaltensweisen, Kommunikationsformen und sprachlichen Besonderheiten der Berliner Lebenswelten im frühen 21. Jahrhundert finden können, so sei dem Quintus-Verlag bezüglich einer Neuauflage des aktuellen Bandes ans Herz gelegt, zumindest in Form einer Fußnote auf die Tatsache hinzuweisen, dass es um das Jahr 2020 eine weltweite Pandemie gab, die selbst die Berliner nicht verschonte und zumindest vorübergehend das Tragen von „Masken“ in der Öffentlichkeit erforderlich machte. — Wenn die zukünftige Leserin des Jahres 2060 keine Kenntnis von diesem Zusammenhang hat, wird sie auf die häufige Erwähnung von Masken in den Texten der Autorin zumindest mit Befremden, wenn nicht gar mit Unverständnis reagieren. Dieser möglichen Irritation sollte man vorbeugen.
Liebe Berlinerinnen und Berliner! Liebe Berlin-Freunde und Hauptstadt-Hasser! Wenn Sie schlecht drauf sind, greifen Sie zu diesem Buch! (Wenn Sie gut drauf sind, natürlich auch!) Diese kleinen hübschen Geschichten werden Ihre Laune und Ihre Mundwinkel heben. Lächeln ist gut für den Teint und verbessert das Klima — ganz ohne Kleben! Es schont die Umwelt und die Nerven der Sie Umgebenden. Diese Texte haben das Potenzial, den Zusammenhalt in unserer Stadt, in unserer Gesellschaft, zu stärken. „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“?! — Berliner Humor ist, wenn man’s trotzdem macht. — Dass Isobel Markus gar nicht aus Berlin stammt, sondern aus Celle, macht in ihrem Fall keinen Unterschied! Sie wird hiermit vollumfänglich adoptiert. (Natürlich nur, wennse will.)
Nach den — wenn ich richtig gezählt habe — 136(!) Miniaturen dieses zweiten Bandes ist mein Kopf voller Bilder und Geschichten. Der Kopf voll und trotzdem weiter hungrig. So bleibt mir nichts Anderes übrig, als auch den ersten Band der „Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“ zu kaufen, den Instagram-Kanal von Isobel Markus zu abonnieren und vielleicht sogar ein taz-Abo abzuschließen (was nebenbei bemerkt sowieso eine gute Idee ist, wenn man unabhängigen und guten Journalismus unterstützen möchte). — Es gibt also viel zu tun! Fangen Sie schon mal an und lesen Sie: „Neues aus der Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“ der wunderbaren Isobel Markus!
Autor: Isobel Markus
Titel: „Neues aus der Stadt der ausgefallenen Leuchtbuchstaben“
Herausgeber: Quintus-Verlag
Taschenbuch: 184 Seiten
ISBN-10: 3969820782
ISBN-13: 978-3969820780
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