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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Peter Neumann: „Jena 1800 — Die Republik der freien Geister“

Am: | November 14, 2018

Der Schriftsteller und Philosoph Peter Neumann hat ein Buch über die Epochenwende um 1800 geschrieben. Es geht um den Höhepunkt jener von dem Historiker Reinhart Koselleck als „Sattelzeit“ beschriebenen Phase der deutschen und europäischen Kulturgeschichte.

Über jene kulturelle Umbruchphase sind viele schlaue Bücher geschrieben worden, doch Neumanns Buch sticht aus der Vielzahl der Publikationen hervor, weil es anders ist als der Rest. Die Perspektive, die der Autor einnimmt, ist bemerkenswert: Denn er versucht erst gar nicht — wie eine Legion von Germanisten und Historikern vor ihm —, eine möglichst objektive Beschreibung der künstlerischen und philosophischen, literarischen und kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Strömungen jener Zeit zu liefern; sein Buch malt vielmehr ein vielfarbiges und lebendiges Sittengemälde dieser spannenden und intensiven Zeit, in der Jena neben und mit Weimar um 1800 zum Zentrum der Avantgarde im deutschsprachigen Raum avancierte.

Der Autor bedient sich kenntnisreich der ausgesprochen umfangreichen Materialien, welche nicht nur in den Werken der Protagonisten, sondern auch in Form von Bergen an Sekundärliteratur sowie einer nahezu unüberschaubaren Menge an Archivmaterial vorliegen; mit diesen Materialien jongliert er durchaus souverän und erzeugt auf diese Weise einen sehr dichten Text, den er collagenartig anordnet und dem Leser in leicht verdaulichen Häppchen zur Lektüre vorlegt. Hierdurch wirkt der Text niemals überladen und erschlägt den Leser nicht durch eine Unmenge von Fakten. Geschickt verknüpft der Autor die einzelnen Handlungsstränge; basierend auf den Quellen und entlang der Fakten fiktionalisiert Peter Neumann den Aufstieg und Niedergang jener kleinen „Republik der freien Geister“ um 1800.

Die Sprache des Textes ist modern, und so lesen sich seine facettenreichen Beschreibungen des Jenaer Milieus eher wie eine literarische Erzählung als wie ein wissenschaftlicher Text. Gleichwohl wird dieses Buch auch dem wissenschaftlich Arbeitenden sehr viele wertvolle Informationen liefern. Die eigentliche Zielgruppe ist jedoch das breite Publikum, welches für die Zeit um 1800 und im Speziellen für die Stadt Jena als Ausgangspunkt und Hot Spot einer philosophischen und literarischen Aufbruchsbewegung interessiert werden soll.

Peter Neumann lehrt als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Philosophie der Friedrich-Schiller-Universität Jena mit dem Schwerpunkt auf dem Gebiet des deutschen Idealismus. In seinem Buch gelingt ihm das Kunststück, auf über 250 Seiten nicht ein einziges Mal das Wort „Frühromantik“ zu erwähnen, obwohl gerade jene Phase der deutschen Literaturgeschichte hier um 1800 ihr absolutes Zentrum hatte! — Auch dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie wenig wissenschaftlich (im Sinne von: verkopft) dieser Text daherkommt.

Ganz im Gegenteil ist „Jena 1800“ ein wunderschönes und äußerst unterhaltsames Lesebuch über eine faszinierende Phase der deutschen Geistesgeschichte geworden. In Jena um 1800 hat sich der deutsche Idealismus geformt; die Gebrüder Schlegel haben zusammen mit ihren Frauen und wechselndem Besuch „symphilosophiert“, einzeln und gemeinsam an ihren Texten geschrieben und diese diskutiert; Kritik war für sie keine Kunst-, sondern eine Lebensform, und sie haben die „progressive Universalpoesie“ nicht nur theoretisch ausgearbeitet, sondern sie auch praktisch umsetzen und leben wollen.

In den berühmten Athenäums-Fragmenten schrieb Friedrich Schlegel: „Die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters.“ — „Jena 1800“ lässt den Leser genau in jene Zeit reisen, in der die Freiheitsversprechen der Französischen Revolution noch frisch waren, in der man Fichtes Wissenschaftslehre und seine Philosophie mit Begeisterung kritisierte und Goethe für seinen „Wilhelm Meister“ verehrte.

Das Buch ist nicht nur unterhaltsam und reich an Anekdoten und atmosphärischen Beschreibungen des Lebensalltags um 1800, sondern weckt auch das dringende Bedürfnis, sich wieder einmal (oder auch zum ersten Mal) mit dieser spannenden und intensiven Phase der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte zu befassen.

 

 

 

Autor: Peter Neumann
Titel: „Jena 1800 — Die Republik der freien Geister“
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Siedler Verlag
ISBN-10: 3827501059
ISBN-13: 978-3827501059

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