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Tom Hodgkinson: „Anleitung zum Müßiggang“

Am: | Januar 13, 2014

Es gibt heutzutage nur Wenige, die sich trauen, ganz bewusst gegen den Strom zu schwimmen und dies auch noch offen zu bekennen. Einer von ihnen ist Tom Hodgkinson, bekennender Faulenzer und Gründer der Zeitschrift „The Idler“, in deren Umfeld er 2011 in London sogar eine „Idler Academy“ gegründet hat, die zum müßiggängerischen Leben anleitet.

Im Kontext unserer konsumorientierten Welt, die das Konzept des permanenten Wandels und Beschleunigung verfolgt, ist Muße eine Tugend, die aus der Mode gekommen ist. Doch gerade die bewusste Unterbrechung des hohen Tempos aller Arbeits- und Freizeitbereiche, die Pause, der „break“ und seine sanftere Schwester, die „intermission“, eröffnen einen Möglichkeitshorizont, der sich positiv auf das eigene Selbstwertgefühl auswirkt.

Es gehört schon ein gutes Stück Mut und Oppositionsgeist dazu, sich dem alltäglichen Trott der Arbeitswelt, dem vom Chef vorgegebenen Takt der Arbeit, den Anforderungen der Liebsten und den eigenen Ansprüchen an sich selbst zu entziehen und „Nein“ zu sagen. An den eigenen Ansprüchen kann man am leichtesten arbeiten, und es ist eine gute Idee, genau hier zu beginnen.

Natürlich ist eine gewisse finanzielle Unabhängkeit nicht von Nachteil, wenn man wie Hodgkinson die Arbeitsmoral nicht nur kritisch hinterfragen, sondern generell ablehnen möchte. Wer sich dem System der abhängigen Lohnarbeit bewusst entzieht, muss ein gutes finanzielles Polster oder gute Nerven haben. Jedoch das Schöne an Hodgkinsons „Anleitung zum Müßiggang“ ist, dass man seine Vorschläge für ein gelasseneres und entspannteres Leben auch graduell umsetzen kann und nicht gleich von Hundert auf Null gehen muss.

Die „Anleitung zum Müßiggang“, die nun als Insel-Taschenbuch bei Suhrkamp erschienen ist, geht auf die 2004 unter dem Titel „How to be idle?“ bei Penguin Books veröffentlichte Originalausgabe zurück, die seinerzeit auf Deutsch auch bei Rogner & Bernhard, Berlin, publiziert wurde. Es ist Hodgkinsons erstes Buch über den Müßiggang, dem 2006 „How to be free“ folgte, dessen deutsche Ausgabe „Die Kunst, frei zu sein“ 2007 bei Heyne als Taschenbuch erschien und auch von kulturbuchtipps besprochen wurde.

Es gab und gibt immer mal wieder einzelne Rufer in der Wüste, die uns versuchen mitzuteilen, dass wir auf einem falschen Weg sind, wenn wir denken, dass alles immer schneller, besser, weiter und höher geht. Der ZEIT-Redakteur Ulrich Schnabel ist mit seinem Buch „Muße – Vom Glück des Nichtstuns“ ein solcher Held des Alltags. Auch er zeigt uns in seinem schönen Buch, wie man die Muße wie eine gute Freundin behandeln und in den Alltag einbauen kann. – Doch zurück zu Tom Hodgkinsons „Anleitung zum Müßiggang“:

Die einzelnen Kapitel orientieren sich an den Stunden eines 24-Stunden-Tages (ja, es sind 24 Kapitel), und beschreiben über den Tag, wie ein geruhsames und leichteres Leben aussehen kann. Der professionelle Müßiggänger macht sich frei von den Taktgebern unserer Gesellschaft.

Es ist ihm absolut schnurz, ob die Leute um ihn herum gerade zur Arbeit hasten oder vmüde von der Arbeit kommen; ob sie, während er gerade gemütlich ein ausgedehntes Mittagessen mit Freunden zu sich nimmt, bevor er sich zu einer ebenso ausgedehnten Siesta wieder ins Bett zurückzieht, zeitgleich müde und abgespannt vor ihren Bildschirmen in Großraumbüros hocken und den Feierabend herbeisehnen. Es ist ihm schnurz – oder besser: Gerade das Wissen um die Knechtschaft eines 9-to-5 Jobs und des ewigen Hamsterrades von Geldverdienen und Geldausgeben lässt ihn seinen Müßiggang noch mehr genießen.

Ist Hodgkinson also ein modernes Diogenes von Sinope? Nun, er hat durchaus einen gewissen philosophischen Anspruch, wenn er seine Ideen zu einem Leben der Muße ausbreitet, was ihn eindeutig von einem gewöhnlichen „Faulenzer“ unterscheidet. Aber es ist weder Hodgkinsons Anliegen, ein komplettes philosophisches Weltgebäude zu errichten, noch wie der Kyniker Diogenes durch sein Verhalten zu provozieren, sich der Heteronomie der gesellschaftlichen Normen zu entziehen oder gar offen gegen die Staatsgewalt zu opponieren („Geh‘ mir aus der Sonne!“).

Hodgkinson schreibt unterhaltsam und kenntnisreich; er ist ein begnadeter Essayist, der sich als Brite natürlich in erster Linie aus der großen Schatzkiste der englischen Literatur und Kultur bedient; aber seine zahlreichen Zitate und Textauszüge stammen aus allen Teilen der europäischen und oft auch der fernöstlichen Kulturgeschichte. Das macht die Lektüre ausgesprochen lehrreich. Gleichzeitig lassen die vielen Beispiele aus der Kulturgeschichte erahnen, dass es auch einmal Zeiten gab, in denen es anders zuging als in unserer auf Arbeit hin optimierten, glitzernden Konsumwelt.

Der Autor lebte bis vor kurzem in North Devon in einem kleinen Häuschen auf dem Lande. Das klingt gemütlich, entschleunigt und bequem. Spannend könnte die Herausforderung sein, Hodgkinons „Anleitung zum Müßiggang“ gerade in der hektischen Großstadt zu befolgen. Viele von uns leben ja nicht mehr auf dem Lande, sondern in mehr oder weniger großen Ballungsräumen mit ihren eigenen Gesetzen.

Hier den allgegenwärtigen Paradigmen des Ökonomismus und Konsumismus nicht nur die Stirn zu bieten, sondern Alternativen zu entwickeln, würde dieses neue Lebensgefühl individueller Freiheit in den offenen Raum politischer Gestaltungsmöglichkeiten katapultieren und einen Freiraum für gesellschaftliche Diskussionen eröffnen.

Wenn sich unsere Gesellschaft darüber verständigte, wie zu leben wäre und was man für ein gutes Leben braucht (und vor allem: nicht braucht!), so könnte Hodgkinsons Buch zu einem veritablen Klassiker der Philosophie der Lebenskunst avancieren, der den leichten „haut gout“ des Eskapismus weit hinter sich ließe und zum Entwurf einer menschlichen Variante der postmodernen Gesellschaft würde.

Doch dazu braucht es Leser, die seine Sichtweise auf die Welt für klug erachten und seine Anleitungen umsetzen. Es braucht Freigeister, die sich nicht nur selbst befreien, sondern diese Ideen weiter tragen und ein müßiges Leben vorleben. Auf diese Weise werden Gegenentwürfe zu unserer hammerharten, kalten Arbeits- und Konsumwelt zu alternativen Lebensweisen, die auch für Andere attraktiv sein könnten. So gelesen, ist die „Anleitung zum Müßiggang“ ein Aufruf zur stillen Revolution und ein durch und durch subversives Buch. Wundervoll!

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Autor: Tom Hodgkinsons
Titel: „Anleitung zum Müßiggang“
Taschenbuch: 375 Seiten
Verlag: Insel Verlag
ISBN-10: 345835977X
ISBN-13: 978-3458359777

 

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