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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Ulrich Schnabel: “Muße – Vom Glück des Nichtsstuns”

Am: | Februar 21, 2012

Die Kunst des Nichtstuns ist aus der Mode gekommen. Oft wird Muße mit Müßiggang in Verbinddung gebracht, was leider falsch ist. Während der Müßiggänger einen natürlichen, ja manchmal sogar professionellen Hang zum Faulsein pflegt, ist, wer der eigenen Muße nachgeht bzw. sie hat, nur scheinbar inaktiv.

Die Muße kann mitunter den Geist in einen sehr produktiven und kreativen Zustand versetzen, der nicht nur die mentalen Batterien auflädt, sondern zu ganz neuen Ideen und Problemlösungen verhelfen kann. Muße kann man trainieren. Sie nicht nur im Jahresurlaub oder an den Wochenenden wie einen alten Jogginganzug aus dem Schrank zu holen, sondern sie täglich zu üben und in ihr den Gedanken ihren freien Lauf zu lassen, ist der Königsweg der Lebenskunst in einer hektischen und von Stressfaktoren geprägten Umwelt.

Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur bei der Wochenzeitung DIE ZEIT. Anfangs belächelten ihn die Kollegen noch, als er schöpferische Pausen auf dem bequemen Sofa in seinem Büro nahm. Bald schon bemerkten sie jedoch, wie entspannt und inspiriert Schnabel nach solchen Kreativpausen wieder an seine Arbeit ging. Heute kommen immer öfters Kollegen in sein Büro, um sich selbst auf die Couch zu legen.

Die Muße hat seinen Arbeitsalltag verändert, dessen ist sich Schnabel sicher. In bester wissenschaftsjournalistischer Manier gliedert der Autor sein Buch über die Muße in sechs große Abschnitte. Zunächst macht er eine Bestandsaufnahme unserer hektischen Arbeitswelt und der nicht weniger stressigen Freizeitkultur. Wer sich nicht geschickt dem Sog des herrschenden Tempos unserer Umwelt zu entziehen weiß, landet schnell im Strudel der nie enden wollenden Aufgaben und Anforderungen.

Wir haben zwar immer bessere Kommunikationsmittel, mit denen wir immer schneller und effektiver arbeiten können. Eigentlich müssten wir dadurch eine Menge Zeit sparen. Das tun wir auch. Nur wird dieser positive Effekt leider sofort wieder durch die Tatsache aufgehoben, dass wir alle mit diesen neuen Smartphones, Tablet PCs und Laptops bestens ausgerüstet sind. Die Folgen dieser perfekten Ausstattung bestehen leider oft in der kompletten Auflösung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit und in einer deutlichen Zunahme des Zeit- und Leistungsdrucks. Noch mehr Arbeit muss in noch kürzerer Zeit erledigt sein, um im Wettbewerb nicht abzurutschen.

Dieser Arbeitsdruck wird in Zeiten des Internets begleitet von einem steigenden Informationsdruck. Wir können im Netz alle Informationen finden, die wir suchen, und auch alle Informationen, von denen wir noch gar nicht wussten, dass sie uns interessieren könnten. Jeder Link führt zu einer neuen Seite, zu neuen Informationen, die ihrerseits wieder mit anderen Seiten und Informationen verlinkt sind, die wiederum… und so weiter.

Längst sind wir dabei, uns selbst mit einer überwältigen Welle an Informationen zuzuschütten und uns das Leben nicht etwa einfacher, sondern schwerer zu machen. Fast scheint es, als ob wir uns in einem paradoxen Zustand der Selbstfesselung befänden: Je mehr Informationen wir haben, desto weniger deutlich steht uns die Lösung vor Augen. Dasselbe Phänomen erleben wir bei der Vielzahl an möglichen Entscheidungen, die uns die schöne neue Netzwelt bietet. Wir werden unsicherer, was unsere Wünsche und persönlichen Entscheidungen betrifft.

Wenn wir uns für einen Autotyp, für eine berufliche Laufbahn, für einen Partner entscheiden, so ist uns heutzutage mehr denn je bewusst, auf welche anderen Möglichkeiten wir gleichzeitig verzichten müssen. Wir sind heute alle zu Designern unseres Lebenswegs geworden. Die jüngst eingeführte „Timeline“ bei Facebook, auf der das ganze Leben als ein gerader Weg von der Geburt bis zur Bahre abgebildet wird, ist nur die virtuelle Visualisierung dieses Grundgedankens.

Das komplexe Entscheidungswissen unserer Zeit verursacht bei uns hohe „Opportunitätskosten“, wie es die Wirtschaftssprache nennt. Wir müssen all unsere Entscheidungen immer im Nachhinein rechtfertigen, sie uns selbst und den Anderen plausibel machen. Diese kognitive Dissonanz zwischen der Überzeugung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, und dem unsicheren Gefühl, vielleicht doch nicht das Optimale herausgeholt zu haben, begleitet unser Leben.

Im zweiten Abschnitt seines Buches zeigt uns der Autor, wie wir mit der Informationsflut besser umgehen lernen und wie wir unseren ganz individuellen Entzug von der Droge Information starten können. Die Entwicklung der Fähigkeit sich zu entziehen ist eine Grundvoraussetzung für das Entstehen von Muße.

Der dritte Teil befasst sich mit dem Wert des Nichtstuns. Schnabel zeigt, wie man im Schlaf lernt, wie nicht nur bei Genies das Gehirn während eines Nickerchens die eigentliche Arbeit macht und mitunter verblüffende Lösungen für Probleme liefert, die selbst oder gerade beim angestrengten Denken nicht zu finden waren. Durch kreative Schlummerpausen kann man die geistigen Batterien schnell wieder aufladen und insgesamt einfach glücklicher werden.

Dass dies alles keine blasse Theorie ist, zeigt eine eindrucksvolle „Galerie der großen Müßiggänger“ aus der Zeitgeschichte. Da ist es wieder, das leicht negativ gefärbte und vom Effizienzdenken verhöhnte Wort vom Müßiggänger, der doch nichts auf die Reihe bringt und den ganzen Tag vertrödelt, ohne etwas zu leisten. Weit gefehlt! Wer ein Freund der Muße ist, kann oft nicht nur besser und kreativer mit Problemen umgehen, er wird auch insgesamt gelassener und zufriedener durchs eigene Leben gehen, als der permanent bedrückte und bedrängte Erfolgsmensch. Denn was ist Erfolg und woran macht man ihn fest? – Gewiss, das ist eine philosophische Frage, der man hervorragend während eines Mittagspäuschens nachsinnen kann. Versuchen Sie es doch gleich einmal aus!

Weiter geht’s in Ulrich Schnabels Text von dem System der Gehetzten auf die Inseln der Muße, an denen man zur Ruhe und auf gute Gedanken kommt. Auch hier gibt der Autor wieder, wie schon an anderen Stellen des Buches, eine Menge an guten Tipps, die der eigene Weg zur Muße und zu einem gelasseneren Leben aussehen kann. Und so schließt das Buch auch mit der Aufforderung an den Leser, sich seinen eigenen Weg zur Muße zu suchen und ihn aktiv zu beschreiten.

Die ZEIT-Redaktion gewährte Schnabel für dieses gelungene Buch ein Sabbatical, eine mehrmonatige Auszeit. Er hat sie hervorragend genutzt und für dieses Buch recherchiert, es konzipiert und geschrieben. Damit hat er gezeigt, wie kreativ schöpferische Denkpausen und Stunden der Muße sein können. Müßiggang ist eben nur scheinbar ein Nichtstun. Wollte man es esoterisch ausdrücken, so könnte man sagen, dass, während wir selbst nichts tun, ES (nämlich das Gehirn) bei seiner schöpferischen Arbeit ist.

Probieren Sie es aus. Nehmen Sie sich eine tägliche Auszeit aus dem Hamsterrad. Lesen Sie Ulrich Schnabels wunderbar leicht zu lesendes Buch über die „Muße – Vom Glück des Nichtstuns“ und werden sie ein Meister des Müßiggangs.

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Autor: Ulrich Schnabel
Titel: „Muße – Vom Glück des Nichtstuns“
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
Verlag: Blessing
ISBN-10: 389667434X
ISBN-13: 978-3896674340

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