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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Dietz Bering: „Luther im Fronteinsatz“

Am: | September 25, 2018

Auch im Jahr 2018 gibt es eine Menge Sachbücher, die sich mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen, vor allem mit seinem Ende, mit der Novemberrevolution und der sich daran anschließenden Übergangszeit 1018/19 bis zur Gründung der Weimarer Republik. Ein Titel sticht jedoch aus der Fülle jener Publikationen heraus und macht besonders neugierig, denn er beschäftigt sich mit der starken Verknüpfung von Religion und Propaganda im Vorfeld sowie im Verlauf des Ersten Weltkriegs.

Dietz Bering hat eine Studie vorgelegt, die auf beeindruckende Weise die enge Verzahnung von Protestantismus und Propaganda im deutschen Kaiserreich belegt. Wir haben das wohl alle in der Schule gelernt, dass (nicht nur sie, aber ganz besonders) die Deutschen mit dem Segen der christlichen Kirchen in den Krieg zogen. Waffen und Soldaten wurden gesegnet, und der Krieg selbst wurde von Anfang an nicht nur zu einer vaterländischen Pflicht, sondern geradezu als ein heiliger Dienst am Vaterland verklärt.

Bering geht jedoch in die Tiefe und hat sich den Reformator Martin Luther vorgenommen und untersucht, wie er für propagandistische zwecke instrumentalisiert wurde. In diesem Zusammenhang verwendete die deutsche Propaganda nicht nur immer wieder das Bild des „großen“, des „deutschen Mannes“, des Urvaters der Deutschen und betonte seine „kämpferische“ Natur. Es ist vor allem die immer wiederkehrende Metaphorik des „Hammers“, mit dem Luther die päpstlichen und katholischen Irrwege zerschlägt. Synonym wird der deutsche Soldat mit Luther an seiner Seite ebenfalls diesem Hammer gleichen, der das Schwache und Fehlgeleitete zerschlägt.

Zu dem Bild des Hammers gesellte sich oft die Metapher von der Reinheit, der Läuterung des durch äußere (fremdartige und böse) Einflüsse gefährdeten (Glaubens-)Volks, die ebenfalls für die Kriegspropaganda herangezogen werden. Doch vor allem Luther als Person, als Deutscher, als Kämpfer für das Gute und Gerechte steht im Zentrum der propagandistischen Strategie.

Dietz Bering ist Historiker und Sprachwissenschaftler, geboren 1935, lange Zeit im universitären und wissenschaftlichen Betrieb tätig und seit 2000 pensioniert. Er hat eine ganze reihe von Publikationen zu verschiedenen historischen Themen verfasst; in den vergangenen Jahren hatte er sich verstärkt mit Luther beschäftigt, und nun mit diesem Buch über „Luther im Fronteinsatz“ eine weitere Publikation vorgelegt, die sich mit dem deutschen Reformator befasst.

Die Hammer-Metapher bezieht sich natürlich auf den Thesenanschlag in Wittenberg am 31. Oktober 1517. Ob es sich wirklich um einen Anschlag mit Hammer und Nägeln handelte und ob es Luther selbst war, der die Thesen anschlug, ist historisch umstritten und wird wahrscheinlich nie geklärt werden können, doch für das Volk der Gläubigen ist das bedeutungslos, denn nur die tradierte Erzählung des Thesenanschlags wird geglaubt. Sie ist ja auch so schön griffig, man hat gleich das Bild eines wütenden Mönchs vor sich, der mit starker Hand und großem Hammer die Nägel in das Holz treibt, um mit dem lauten Schlagen die Wichtigkeit seiner Reformvorschläge zu unterstreichen.

Diese Bilder des wütenden und entschlossenen Reformators und des großen schweren Hammers, der dem Willen des deutschen Mannes Aus- und Nachdruck verleiht, wurden für die deutsche Kriegspropaganda in vielen Variationen instrumentalisiert, visualisiert und an die jeweiligen Kriegsziele angepasst.

1917 feierte man das 400. Jubiläum des Thesenanschlags, zu einer Zeit, als der Krieg sich schon lange auf breiter Front festgefahren und auch in Form von Versorgungsengpässen und Rationierungen die Heimatfront erreicht hatte. Nun sollte der Hammer umso höher schwingen und umso stärker niedersausen auf den Feind.

Luther wurde nicht erst von der deutschen Propaganda, sondern auch schon im Vorfeld immer wieder zum eigentlich deutschen Gründungsvater und zum „Vater der deutschen Ur-Sprache“ hochstilisiert. Auch dies ist historisch nicht ganz richtig, wurde jedoch seinerzeit durch eine Vielzahl von Publikationen immer wieder betont. Die deutsche Einheit sei ohne das Werk Luthers nicht denkbar gewesen.

Die deutsche Gründungsgeschichte ist zweifellos eng mit den kulturellen und vor allem sprachlichen Gemeinsamkeiten der deutschen Regionen verknüpft, doch ihren Gründungsmythos auf Luther zurückzuführen, scheint etwas weit hergeholt.

Gleichwohl wurde seinerzeit die Überlegenheit der deutschen „Kultur“ gegenüber der englischen und französischen „Zivilisation“ immer wieder betont, so dass der Erste Weltkrieg von Beginn an als ein Kulturkampf begriffen wurde. So lassen sich unter dem Begriff der „Ideen von 1914“ die publizistischen Reaktionen national gesinnter Intellektueller in Deutschland auf den Weltkrieg zusammenfassen. Eng mit diesen „Ideen von 1914“ verknüpft war die Verklärung Luthers zum deutschen Gründungsvater und die Apotheose des Waffengangs zum heiligen Kulturkampf.

Der Autor legt in seinem Buch sehr anschaulich dar, wie Luther zur Galionsfigur der deutschen Propaganda wurde. Der Text richtet sich an ein wissenschaftliches Publikum, wird aber auch von Laien gut verstanden werden, da Bering der Versuchung widersteht, in die akademische Fachsprache abzutauchen. Vielmehr bemüht er sich jederzeit um allgemeine Verständlichkeit, was die Lektüre leicht macht.

Gleichwohl handelt es sich um einen wichtigen Beitrag zur historischen Forschung. Der umfangreiche Anhang weist neben den üblichen Anmerkungen und Literaturverzeichnissen auch ein Prädikatorenregister auf, in dem man einen schnellen Überblick über die vielfältigen Bezeichnungen der Person Luthers in den zitierten Originalquellen erhält.

Dietz Bering zog für seine Studie vor allem Frontzeitungen, Kirchenzeitungen und Predigttexte sowie zahlreiche andere Originalquellen heran. Selbstverständlich arbeitet er auch die aktuelle Forschung sowie eine Vielzahl von relevanten Titeln der Sekundärliteratur in seinen Text ein. Der angenehme Umfang dieser Publikation erleichtert auch dem interessierten Laien den Zugang zu einem spannenden Detail der deutschen Geschichte.

Man kann (und sollte) diesen Text auch auf einer Meta-Ebene lesen. Denn er liefert ein gutes Lehrstück für die Instrumentalisierung von historischen Personen im Kontext von Propaganda-Feldzügen. Solche Instrumentalisierungen lassen sich auch heute an vielen Beispielen beobachten, sei es im Auftrag der Propaganda, zur Steuerung der öffentlichen Meinung oder im Zuge anderer politischer Strategien. Aus dieser Perspektive wird aus der hervorragend recherchierten und spannend geschriebenen historischen Studie über „Luther im Fronteinsatz“ eine hochaktuelle politische Lektüre.

 

 

Autor: Dietz Bering
Titel: „Luther im Fronteinsatz“
Taschenbuch: 230 Seiten
Verlag: Wallstein
ISBN-10: 3835333739
ISBN-13: 978-3835333734

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