Aktuelle Rezensionen
kulturbuchtipps.de veröffentlicht regelmäßig Rezensionen zu neuen Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften.
Bereits 1802 hatte August Wilhelm Schlegel eine sehr dezidierte Meinung, was Neuerscheinungen betrifft… – Wir betrachten es daher als eine wichtige kulturelle Aufgabe, die Spreu vom Weizen zu trennen und Ihnen hier die wichtigsten und lesenswerten Sachbücher aus der geradezu unüberschaubaren Menge an Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt vorstellen.
Hier sehen Sie eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Rezensionen bei kulturbuchtipps.de:
Klaus Zeyringer, Ursula Prutsch: „Breaking News – Zeitgeschehen in der Presse von 1648-2001“
Will man etwas über die Vergangenheit erfahren, so ist man auf einen „Mittler“, ein Medium, angewiesen. Der Zugang zu dem, was wir als „Geschichte“ bezeichnen, erschließt sich nur medial; eine dieser historischen „Quellen“, wie sie in der Geschichtswissenschaft genannt werden, sind Zeitungen und Zeitschriften, also gedruckte Texte und Illustrationen aus vergangenen Zeiten. Interessant bei der Verwendung historischer Quellen (und jeweils kritisch zu hinterfragen) ist der jeweilige Grad ihrer Objektivität: Wie verlässlich sind ihre Aussagen? Wie gefärbt sind die Berichte von vergangenen Ereignissen?
Es ist die Aufgabe des Historikers, jene Quellen zu sichten, zu evaluieren und auszuwählen, sodann aus ihnen Original-Material der jeweiligen Zeit zusammenzustellen und zu zitieren, um die eigenen Thesen über den Lauf der Geschichte zu bekräftigen und gegebenenfalls gegen andere Argumente zu verteidigen. Damit wird klar, dass also unsere Interpretation der Vergangenheit – was wir allgemein übereinstimmend als die „wahre“ Erzählung der „Geschichte“ anerkennen – immer nur eine Momentaufnahme des jeweiligen Konsenses sein kann.
Klaus Willbrand, Daria Razumovych: „Einfach Literatur — Eine Einladung“
Wer regelmäßig in den sozialen Medien unterwegs ist und sich für Literatur begeistert, was nicht zwingend ein Widerspruch in sich selbst sein muss, der dürfte den freundlichen alten Mann, der, gemütlich umgeben von Büchern, in seinem Antiquariat sitzt und die Fragen einer jungen Frau beantwortet, schon einmal gesehen haben.
Die Rede ist von Klaus Jochen Willbrand, der ohne Übertreibung sein ganzes Leben dem Lesen und der Liebe zur Literatur verschrieben hat. Anfang dieses Jahres ist dieses Leben zu Ende gegangen, Willbrand verstarb am 29. Januar 2025 in einem Kölner Krankenhaus im Alter von 83 Jahren.
Während der Corona-Pandemie geriet sein Antiquariat in eine wirtschaftliche Krise. 2024 stand es kurz vor dem Aus, bis er der Germanistin Daria Razumovych begegnete. Gemeinsam begannen sie, Bücher online zu präsentieren – zunächst zögerlich, doch bald mit großem Erfolg. Auf TikTok und Instagram wurde Willbrand als „ältester Bookfluencer Deutschlands“ bekannt.
Hasso Spode: „Traum Zeit Reise — Eine Geschichte des Tourismus“
Der Begriff „Tourismus“ entstammt dem französischen Wort tour, das wiederum aus dem lateinischen tornare – „drehen“ – abgeleitet ist. Es beschreibt sinnbildlich eine Bewegung, die irgendwann wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Heute verbinden wir mit Tourismus meist Urlaubsreisen, Erholung und Mobilität. Doch der Weg dorthin war lang, geprägt von politischen, technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen. Die Geschichte des Tourismus ist auch eine Geschichte des Fortschritts – und der Wechselwirkung zwischen Menschen und Orten.
In seinem neuen Sachbuch über die Geschichte des Tourismus schöpft Hasso Spode, apl. Professor für Historische Soziologie an der Leibniz-Universität Hannover und Ehrenvorsitzender des Historischen Archivs zum Tourismus an der TU Berlin, aus dem umfangreichen Wissen seiner jahrzehntelangen wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema. So ist mit Traum Zeit Reise ein neues Lehrbuch und Kompendium zur Tourismus-Geschichte entstanden, das seinen kulturgeschichtlichen Schwerpunkt im deutschen Sprachraum setzt und sowohl für Studierende als auch für einen weiteren Kreis interessierter Leser geeignet ist.
Immer wieder gelingt es dem Autor, den Blick zu weiten und kollektive, gesellschaftliche Stränge herauszuarbeiten. Etwa wenn er vom Aufstieg der Individualreisen spricht, von Backpackern, Kulturtouristen, Aktivurlaubern – denjenigen, die fernab der Pauschalblase Erfahrungen suchen.
Walter Benjamin: „Einbahnstraße“ (Faksimile-Ausgabe)
Walter Benjamins Einbahnstraße, erstmals erschienen im Jahr 1928, ist ein außergewöhnliches Werk, das sich jeder konventionellen Gattungszuordnung entzieht und bis heute als Schlüsseltext der literarischen Moderne und kritischen Theorie gilt. In seinen fragmentarisch angeordneten Prosastücken gelingt es Benjamin, Beobachtungen, Reflexionen, Aphorismen und poetische Bilder zu einem Gefüge zu verdichten, das zugleich intellektuell anspruchsvoll und literarisch kunstvoll ist. Die Besonderheit dieses Textes liegt nicht nur in seiner inhaltlichen Vielschichtigkeit, sondern auch in seiner Form, die den Bruch mit traditionellen philosophischen und literarischen Darstellungsweisen markiert. Einbahnstraße ist Ausdruck eines Denkens, das sich nicht mehr in linearen Argumentationen erschöpft, sondern das Zerklüftete und Assoziative der Moderne in seiner Struktur widerspiegelt.
Benjamins Leben zur Zeit der Entstehung des Buches war geprägt von tiefgreifenden persönlichen, politischen und intellektuellen Umbrüchen. Nach dem Scheitern seiner akademischen Laufbahn – seine Habilitation wurde nicht angenommen – lebte Benjamin als freier Schriftsteller, Übersetzer und Kritiker in prekären Verhältnissen. Seine Begegnung mit der sowjetischen Schauspielerin und Kommunistin Asja Lācis im Jahr 1924 war nicht nur emotional bedeutsam, sondern auch philosophisch folgenreich. Lācis brachte Benjamin mit marxistischem Gedankengut und der sowjetischen Avantgarde in Berührung. Diese Einflüsse veränderten seine Perspektive auf Literatur, Gesellschaft und Geschichte grundlegend.
Werner Plumpe: „Gefährliche Rivalitäten — Wirtschaftskriege – Von den Anfängen der Globalisierung bis zu Trumps Deal-Politik“
Wirtschaft und Krieg – zwei Worte, die sich in der Geschichte nie ganz voneinander trennen ließen, auch wenn das ökonomische Zeitalter der Moderne immer wieder das Gegenteil zu suggerieren versuchte. Werner Plumpe, emeritierter Frankfurter Wirtschaftshistoriker, legt mit Gefährliche Rivalitäten ein Werk vor, das diese trügerische Trennung eindrucksvoll aufhebt. In einem Bogen, der sich von den ersten kolonialen Expansionen über die industriellen Weltwirtschaften bis hin zu Donald Trumps Zoll- und Deal-Politik spannt, erzählt er von den Spannungen, Überspannungen und Eskalationen, die entstehen, wenn ökonomische Konkurrenz nicht mehr als Spiel unter Gleichen verstanden wird, sondern als Nullsummenspiel um nationale Interessen.
„Rivalitäten sind der Normalzustand.“ — So lautet die Prämisse dieser interessanten Neuerscheinung. Der bekannte Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe begibt sich auf die Suche nach sich wiederholenden Mustern bei der Untersuchung historischer wirtschaftlicher Konflikte bis in unsere Gegenwart hinein. Er möchte „die historischen Linien dieser Wellenbewegung und die Muster“ nachzeichnen, die sich bei genauerer Betrachtung vergangener Rivalitäten erkennen lassen: vom „Umschlag von Rivalitäten in offenen Konflikt oder in eine zumindest zeitweilige Herausbildung geordneter Kooperationen“.
Konrad Merz: „Ein Mensch fällt aus Deutschland“
Es ist ein schmales Buch, äußerlich beinahe unscheinbar, doch innerlich ein Dokument von eruptiver politischer und menschlicher Wucht: Ein Mensch fällt aus Deutschland von Konrad Merz, erstmals 1936 im Amsterdamer Querido Verlag erschienen, gehört zu den eindringlichsten Zeugnissen der deutschen Exilliteratur. Es ist der Bericht eines Ausgestoßenen, eines Flüchtlings, eines „Gefallenen“ – nicht im militärischen, sondern im moralischen, existentiellen Sinn. Und mehr noch: Es ist der Versuch, eine Sprache zu finden für das Unaussprechliche – für die geistige Implosion einer Nation und die Seelenqualen jener, die dieser Implosion entkommen, aber niemals entronnen sind.
Ein Mensch fällt aus Deutschland ist ein Roman – oder vielmehr: ein autobiographisch grundierter Bericht – der sich der üblichen narrativen Konvention entzieht. Keine kohärente Handlung, keine traditionelle Dramaturgie; stattdessen ein Mosaik aus Erinnerungen, Reflexionen, Begegnungen und inneren Monologen. Es ist – literaturwissenschaftlich gesprochen – eine Katabasis, ein Abstieg in das Exil und in das eigene Ich des Autors.
Christopher Ryan und Cacilda Jethá: „Sex – Die wahre Geschichte“
Es ist hilfreich, wenn man gleich zu Anfang mit einigen Missverständnissen aufräumt: Wir stammen nicht von den Affen ab; wir sind Affen, genauer gesagt: Menschenaffen! Wir Menschen der westlichen Welt haben eine ziemlich verkorkste Wahrnehmung, wenn wir wirklich glauben, dass wir als Menschen „über“ der Natur stünden. Machen wir uns nichts vor! Wir sind bestenfalls vergleichbar mit einem „Surfer, der seine zitternden Beine in ein Brett ‚über‘ den Ozean stemmt“. Eine falsche Bewegung, ein unachtsamer Moment, und schon wird uns unsere innere Natur ins Wasser werfen oder sogar in die Tiefe ziehen …
In ihrem wundervoll unterhaltsamen und sehr klugen Buch wagen die beiden Wissenschaftler Christopher Ran und Cacilda Jethá eine steile These: Vor etwa zehntausend Jahren vollzog sich mit der agrarischen Revolution ein radikaler Wandel im Umgang mit der Sexualität, die es ermöglichte, dass sie „seit Jahrhunderten von Religionen unterdrückt, von Medizinern pathologisiert, von Wissenschaftlern geflissentlich ignoriert“ wurde.
Christopher Ryan und Cacilda Jethá präsentieren in ihrem Werk Sex – Die wahre Geschichte eine provokante Neubewertung der menschlichen Sexualität.
Werner Bartens: „Leib und Seele — Eine Reise durch die Geschichte der Medizin“
Werner Bartens’ Buch Leib und Seele – Eine Reise durch die Geschichte der Medizin ist eine facettenreiche Erkundung der Medizingeschichte, die sowohl die Fortschritte als auch die bleibenden Kontinuitäten in der medizinischen Praxis beleuchtet. Bartens, ein erfahrener Arzt, Historiker und Wissenschaftsjournalist, verbindet in seinem Werk medizinisches Fachwissen mit kulturellen und gesellschaftlichen Perspektiven, um ein umfassendes Bild der Entwicklung der Medizin zu zeichnen.
Auf über 500 Seiten, unterstützt durch zahlreiche Illustrationen, lädt Bartens die Leser ein auf eine Zeitreise, die viel mehr als „nur“ eine Reise durch die Geschichte der Medizin ist. Denn das Leben eines Menschen ist und war schon immer natürlich verbunden mit Krankheit und Tod, mit der Hoffnung auf Linderung oder Heilung. Medizingeschichte ist auch eine Geschichte der Versuche, den menschlichen Körper zu erforschen und verstehen, die Ursachen von Krankheiten zu erkennen und zu behandeln. Sie ist somit immer auch ein Abbild der historischen Vorstellungen von der Welt und dem Handlungsspielraum des Menschen innerhalb der jeweiligen religiösen oder ideologischen Grenzen.
Stefan Maiwald: „Meine Bar in Italien – Warum uns der Süden glücklich macht“
Wenn Stefan Maiwald über Italien schreibt, so ist es, als würde er nicht bloß ein Land beschreiben, sondern ein Versprechen. Ein Versprechen auf Wärme, auf das langsame Ticken der Uhren, auf Gespräche mit Fremden, die sich binnen Minuten in Vertraute verwandeln – und auf ein Leben, das seinen Sinn nicht im Funktionieren, sondern im Genießen findet. In Meine Bar in Italien – Warum uns der Süden glücklich macht verknüpft Maiwald persönliche Anekdoten, feine kulturphilosophische Beobachtungen und eine gute Prise augenzwinkernden Charmes zu einer Liebeserklärung an ein Land, das ihm Heimat geworden ist. Zugleich ist es eine leise Kritik an der deutschen Rastlosigkeit und Selbstoptimierung, in der das Dolce Vita oft wie ein unerreichbarer Mythos erscheint.
Stefan Maiwald, geboren 1971 in Braunschweig, ist längst kein Tourist mehr in Italien. Er lebt seit vielen Jahren mit seiner Familie in Grado, einer kleinen Stadt in der Nähe von Venedig. Seine Bücher zeichnen sich durch Beobachtungsgabe, eine erzählerische Leichtigkeit und kluge Alltagsphilosophie aus. Maiwald gehört zu den deutschsprachigen Autoren, die Italien nicht bloß bereisen, sondern es durchdringen wollen – mit Herz, Witz und Reflexion.
Marcel Lewandowsky: „Die globale Rechte – Geschichte, Erfolgsbedingungen, Auswirkungen“
Marcel Lewandowsky legt mit Die globale Rechte. Geschichte, Erfolgsbedingungen, Auswirkungen ein umfassendes, differenziertes und hochaktuelles Werk vor, das die weltweiten Erscheinungsformen der radikalen und extremen Rechten systematisch analysiert. Auf rund 140 Seiten gelingt es ihm, historische Entwicklungen, ideologische Gemeinsamkeiten und strategische Innovationen der Rechten aus globaler Perspektive verständlich darzustellen.
Seine zentrale These lautet: Die „globale Rechte“ ist kein homogener Block, sondern ein loses Netzwerk national geprägter Bewegungen, die sich durch gemeinsame Ideologiebausteine wie Nationalismus, Ungleichheitsvorstellungen, Antifeminismus und Antisemitismus auszeichnen, sich jedoch unterschiedlich historisch und kulturell verorten lassen.
Lewandowsky beginnt mit einer akribischen Begriffsarbeit. Was bedeutet es, politisch „rechts“ zu sein?
Hartmut Lange: „Der etwa vierzigjährige Mann“
Wer sich auf die Werke Hartmut Langes einlässt, betritt eine literarische Welt, die sich durch stille Präzision, existenzielle Tiefe und eine unverwechselbar melancholische Atmosphäre auszeichnet. Hartmut Lange ist ein Autor des Unausgesprochenen, des metaphysischen Staunens, ein Chronist seelischer Risse und metaphysischer Verstörungen. Seine Texte — insbesondere seine Novellen — wirken ein wenig wie lichtscheue Miniaturen, die das Banale transzendieren und in der Alltäglichkeit das Surreale, das Bedrohliche, das Unfassbare bloßlegen. Ein Autor, der sich jedem Zeitgeist widersetzt und genau dadurch von literarischer Dauer und Bedeutung ist.
Geboren wurde Hartmut Lange am 31. März 1937 in Berlin-Spandau. Seine Kindheit und Jugend waren von den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs geprägt, die Spaltung Berlins und die ideologischen Frontstellungen der frühen Bundesrepublik hinterließen tiefe Spuren in seiner Biografie. Er studierte zunächst Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Ost-Berlin.
Andrew Leigh: „Die kürzeste Geschichte der Wirtschaft“
In einer Zeit, in der ökonomische Debatten oft von Fachjargon und komplexen Modellen dominiert werden, gelingt es Andrew Leigh mit seinem Werk Die kürzeste Geschichte der Wirtschaft, einen klaren und zugänglichen Überblick über die Entwicklung wirtschaftlicher Systeme zu bieten. Auf lediglich 228 Seiten (zzgl. Anhang) entfaltet er eine narrative Reise von der Frühzeit der Menschheit bis zur modernen globalisierten Wirtschaft.
Leigh beginnt mit der landwirtschaftlichen Revolution, die den Übergang von nomadischen Jägern und Sammlern zu sesshaften Agrargesellschaften markierte. Diese Veränderung ermöglichte nicht nur eine stabile Nahrungsversorgung, sondern auch die Entwicklung von Arbeitsteilung und Handel. Im weiteren Verlauf des Buches beleuchtet er zentrale wirtschaftliche Konzepte wie Spezialisierung, Geld, Handel und Innovationen, die die wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich beeinflusst haben.
Martin Puchner: „Kultur – Eine neue Geschichte der Welt“
Martin Puchners Werk Kultur – Eine neue Geschichte der Welt ist ein ambitioniertes Projekt: Es versucht, die Geschichte der Menschheit durch das Prisma der Kultur zu erzählen und dabei einen neuen, integrativen Blick auf die Entwicklung kultureller Ausdrucksformen zu werfen. Puchner, Professor für Englische und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Harvard University, ist bekannt für seine interdisziplinären Ansätze und seine Fähigkeit, komplexe kulturelle Phänomene verständlich zu machen.
Puchner beginnt seine Darstellung mit der These, dass Kultur nicht nur ein Nebenprodukt menschlicher Zivilisation ist, sondern deren treibende Kraft. Er definiert Kultur als die Gesamtheit der menschlichen Bemühungen, Bedeutung zu schaffen und zu vermitteln. Dabei unterscheidet er zwischen „Know-how“ – dem technischen Wissen – und „Know-why“ – dem kulturellen Wissen, das sich mit dem Sinn und Zweck menschlichen Handelns auseinandersetzt. Diese Unterscheidung bildet die Grundlage für seine kulturhistorische Erzählung, die von den frühesten Höhlenmalereien bis zur modernen Popkultur reicht.
Hans Fallada: „Berliner Abenteuer“
Hans Fallada, der mit bürgerlichem Namen Rudolf Ditzen hieß, kam 1899 mit sechs Jahren das erste Mal nach Berlin, als sein Vater, der Richter Wilhelm Ditzen, in Berlin den Posten des Kammergerichtsrats übernahm. Die Familie lebte damals in der Schöneberger Luitpoldstraße.
Der vorliegende Band aus der schönen Reihe Berliner Orte im BeBra Verlag widmet sich dem Schriftsteller und seiner besonderen Beziehung zu Berlin. Nahezu alle hier versammelten Texte stammen aus zwei Buchveröffentlichungen, die Fallada während des Zweiten Weltkriegs unter den besonderen Bedingungen und trotz der nationalsozialistischen Zensur veröffentlichen konnte: Damals bei uns daheim von 1941 und Heute bei uns zu Haus aus dem Jahr 1943.
Martina Heßler: „Sisyphos im Maschinenraum – Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie“
Martina Heßler ist eine renommierte Historikerin mit einem Schwerpunkt auf Technikgeschichte. Nach ihrer Promotion an der TU Darmstadt im Jahr 2000 war sie in verschiedenen wissenschaftlichen Positionen tätig, unter anderem an der Universität Bielefeld, der RWTH Aachen und der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Seit 2019 ist sie Professorin für Technikgeschichte an der TU Darmstadt. Heßler hat zahlreiche Publikationen zur Kulturgeschichte der Technik, zur Geschichte des Mensch-Maschine-Verhältnisses und zu technologischen Fehlern veröffentlicht. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch eine interdisziplinäre Herangehensweise aus, die historische, kulturelle und technologische Aspekte miteinander verknüpft.
Insgesamt bietet Sisyphos im Maschinenraum eine tiefgründige Analyse der kulturellen Konstruktion von Fehlbarkeit im Kontext technologischer Entwicklungen. Heßler zeigt auf, wie die Vorstellung von menschlicher Unvollkommenheit und technischer Perfektion unsere Gesellschaft geprägt hat und plädiert für einen bewussteren Umgang mit Fehlern. Das Buch ist besonders geeignet für Leserinnen und Leser aus den Bereichen Technikgeschichte, Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie sowie für alle, die sich für das Zusammenspiel von Menschen und Technik interessieren.
Kerstin Holzer: „Thomas Mann macht Ferien – Ein Sommer am See“
Thomas Mann macht mit seiner Familie Ferien am Tegernsee. Es ist Sommer 1918, der letzte Kriegssommer, der letzte Sommer des deutschen Kaiserreichs. Das Wetter ist schön, die Natur lädt ein zu langen Spaziergängen mit dem Hund, abends rudern die Eltern, Katia und Thomas, auf den See hinaus.
Es klingt zunächst nach einer, wie wir heute sagen würden, „perfekten Auszeit“, um Abstand zu finden vom Alltag und den täglichen Sorgen. Doch so einfach ist es nicht; der Weltkrieg hat längst seine Spuren auch im Deutschen Reich hinterlassen, es gibt Versorgungsschwierigkeiten, und selbst bei Familie Mann, einer wohlhabenden Familie aus bestem bürgerlichen Hause, sammeln die Kinder auf den nassen Waldpfaden ums Haus saftige Schnecken ein, die dann im Kochtopf landen für ein sättigendes Mahl.
Die Manns reisen mit einer großen Entourage an den Tegernsee. Mit fünf Kindern im Alter von drei Monaten bis zwölf Jahren, einer Köchin, einem Haus- und einem Kindermädchen und mit einem Hund.
Wilhelm Raabe: „Der Lar – Eine Oster-, Pfingst-, Weihnachts- und Neujahrsgeschichte“
Wilhelm Raabes Roman Der Lar, verfasst zwischen November 1887 und Oktober 1888 und erstmals 1889 veröffentlicht, zählt zu den weniger bekannten Werken des Autors. Dennoch bietet dieser Text einen tiefen Einblick in Raabes literarisches Schaffen und reflektiert die gesellschaftlichen Strömungen des späten 19. Jahrhunderts.
Der Roman beginnt mit dem Tod des alten Professors Dr. Kohl, eines wenig bekannten Germanisten, der während der Arbeit an einer Abhandlung verstirbt. Sein Sohn, Paul Warnefried Kohl, steht nach dem Verlust beider Eltern mittellos da, da das Familienvermögen zur Begleichung von Schulden aufgebraucht wird. Ohne Hab und Gut trifft Paul auf Rosine Müller, eine junge Klavierlehrerin, die ebenfalls eine schwierige Vergangenheit hat. Zusammen mit dem Tierarzt a. D. Dr. Franz de Paula Schnarrwergk ziehen beide in dasselbe Mietshaus ein. Im Verlauf der Geschichte entwickelt sich eine Beziehung zwischen Paul und Rosine, die schließlich in einer Ehe mündet. Mit Unterstützung von Pauls Freund, dem Maler Bogislaus Blech, gelingt es dem Paar, wirtschaftliche Stabilität zu erlangen und eine Familie zu gründen.
Hans-Erhard Lessing: „Das Fahrrad – Eine Kulturgeschichte“
Hans-Erhard Lessings Das Fahrrad – Eine Kulturgeschichte ist weit mehr als ein technikhistorisches Sachbuch. Es ist ein kulturelles Panorama, das von den frühesten Anfängen menschlicher Mobilitätsideen bis in unsere Gegenwart reicht. Lessing schildert die Geschichte des Fahrrads nicht nur als eine der technischen Innovation, sondern als ein gesellschaftliches Phänomen, das tief in unsere Alltagskultur, unsere Städte, unsere Vorstellungen von Freiheit und Fortschritt eingreift. Dabei wählt er einen multiperspektivischen Zugang – und ergänzt die „harten Faken“ immer wieder mit einem wachen Auge für Anekdoten, Kuriositäten und prägende Persönlichkeiten.
Den Auftakt bildet, wie sollte es anders sein, Karl Drais und seine Laufmaschine. Lessing beschreibt nicht nur die technische Konstruktion dieses ersten, lenkbaren Zweirads, sondern bettet sie kenntnisreich in ihre historischen Umstände ein. Hier wird der Klimawandel des Jahres 1816 – das sogenannte „Jahr ohne Sommer“ nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora – als Katalysator technischer Innovation eingeführt. Drais, konfrontiert mit der Verknappung von Pferdefutter und Mobilitätsalternativen, entwickelte die Draisine als pragmatische wie visionäre Lösung. Lessing gelingt es, diese Episode plastisch zu schildern – mit dem Bild eines „reitenden“ Erfinders, der durch die Alleen Mannheims gleitet, die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich zieht und dennoch im Schatten der Geschichte bleibt.
Ronald D. Gerste: „Wie Technik Geschichte macht – Von Gutenberg bis zum Smartphone“
In einer Ära, in der technologische Innovationen unser tägliches Leben durchdringen, stellt sich die Frage nach dem Einfluss dieser Entwicklungen auf den Verlauf der Geschichte. Ronald D. Gerste, Arzt und Historiker, widmet sich in seinem Werk Wie Technik Geschichte macht. Von Gutenberg bis zum Smartphone dieser Thematik. Er beleuchtet, wie technische Errungenschaften nicht nur Werkzeuge des Fortschritts, sondern auch treibende Kräfte gesellschaftlicher und politischer Veränderungen sind.
Der Autor beginnt seine Analyse mit Johannes Gutenberg, dessen Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert eine Medienrevolution auslöste. Der Buchdruck ermöglichte eine schnellere Verbreitung von Informationen und trug maßgeblich zur Reformation und zur Aufklärung bei. Gerste zeigt, wie diese Technologie die Machtverhältnisse in Europa veränderte und den Weg für eine informierte Öffentlichkeit ebnete.
Thomas Wagner: „Abenteuer der Moderne — Die großen Jahre der Soziologie 1949-1969“
Thomas Wagners Buch Abenteuer der Moderne – Die großen Jahre der Soziologie 1949–1969 bietet eine tiefgreifende Analyse der Entwicklung der Soziologie in der Bundesrepublik Deutschland während der Nachkriegszeit. Im Zentrum steht die komplexe Beziehung zwischen Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen, zwei bedeutenden, jedoch ideologisch gegensätzlichen Soziologen. Wagner beleuchtet, wie Adorno 1958 Gehlens Berufung nach Heidelberg mit dem Vorwurf des faschistischen Denkens verhinderte. Doch das spannungsreiche Verhältnis zwischen beiden begann schon früher. Trotz dieser Spannungen entwickelte sich zwischen beiden ein intensiver Austausch, der in privaten Treffen und gemeinsamen Rundfunkgesprächen mündete.
Wagner zeichnet in seinem auch stilistisch herausragenden Sachbuch ein lebendiges Bild der intellektuellen Landschaft der jungen Bundesrepublik, in der sich die Soziologie als Leitwissenschaft etablierte. Er zeigt, wie ehemalige Nationalsozialisten in diesem Prozess eine Rolle spielten und wie die Soziologie zur Deutung und Gestaltung der sich wandelnden Gesellschaft beitrug.
Steffen Schroeder: „Der ewige Tanz“
Steffen Schroeders Roman Der ewige Tanz beginnt im Sommer des Jahres 1928. Anita Berber, die einst gefeierte Tänzerin und Ikone der Weimarer Republik, liegt geschwächt in einem Berliner Krankenhaus. Jetzt, wo es zu Ende geht, gezeichnet von Krankheit und den Exzessen ihrer Vergangenheit, lässt sie ihr bewegtes Leben Revue passieren. Erinnerungen an ihre Kindheit bei der geliebten Großmutter Lu, die ersten Tanzstunden und die Anfänge ihrer Karriere in Berlin werden lebendig. Steffen Schroeder zeichnet das Bild einer Frau, die früh den Weg auf die Bühne fand und sich mit Leidenschaft dem Tanz verschrieb. Die Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Fritz Lang und Marlene Dietrich, die später ihren Stil kopierte, sowie der Maler Otto Dix, der sie porträtierte, werden in diesen Rückblicken thematisiert. Der Roman beleuchtet Anitas Streben nach künstlerischer Selbstverwirklichung und die Herausforderungen, denen sie sich in einer von Konventionen geprägten Gesellschaft gegenübersah.
Aber es werden auch die dunkleren Kapitel von Berbers Leben beleuchtet. Ihre Beziehungen, insbesondere die zu Sebastian Droste und Henri Châtin-Hofmann, sind geprägt von Leidenschaft, aber auch von Drogenkonsum und Skandalen. Die gemeinsamen Auftritte mit Droste, wie die berüchtigten „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“, sorgten für Aufsehen und führten zu gesellschaftlicher Ächtung.
Wolfgang Benz: „Exil – Geschichte einer Vertreibung 1933-1945“
Wolfgang Benz, einer der renommiertesten deutschen Historiker der Gegenwart, legt mit Exil. Geschichte einer Vertreibung 1933–1945 ein umfassendes Werk vor, das sich der Geschichte der Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland widmet. Sein Buch ist eine eindrucksvolle Analyse eines bislang oft randständig behandelten Aspekts der NS-Zeit und beleuchtet mit großer Empathie und analytischer Schärfe die Schicksale von Menschen, die durch das NS-Regime zur Flucht gezwungen wurden. Auf rund 360 Seiten (plus Anhang) entfaltet Benz ein Panorama der Vertreibung, das sowohl die historischen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch individuelle Lebenswege beleuchtet. Dabei gelingt es ihm, das Exil nicht nur als politischen und geografischen, sondern auch als psychologischen und kulturellen Ausnahmezustand darzustellen.
Der Inhalt des Buches gliedert sich in mehrere Abschnitte, die unterschiedliche Aspekte des Exils thematisieren. Benz beginnt mit einer umfassenden Darstellung der politischen Entwicklung in Deutschland nach der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933.
Martin Korenjak: „Latein – Porträt einer Weltsprache“
Martin Korenjaks Buch Latein – Porträt einer Weltsprache bietet eine prägnante und fundierte Darstellung der lateinischen Sprache und ihrer herausragenden Rolle in der europäischen Kulturgeschichte. In sechs Kapiteln – Sprache, Literatur, Recht, Religion, Wissenschaft und einem abschließenden Ausblick – zeichnet Korenjak die Entwicklung des Lateinischen von seinen Ursprüngen bis in die Gegenwart nach.
Korenjak beginnt mit der Entstehung des Lateinischen im antiken Rom und verfolgt dessen Ausbreitung im Römischen Reich. Er beleuchtet die Transformation des Lateinischen von einer regionalen Sprache zur lingua franca Europas, die über Jahrhunderte hinweg in Verwaltung, Recht, Religion und Wissenschaft dominierte. Besonderes Augenmerk legt er auf die Rolle des Lateinischen in der Verbreitung des Christentums und dessen Funktion als Wissenschaftssprache bis ins 19. Jahrhundert. Im abschließenden Ausblick diskutiert Korenjak die heutige Bedeutung des Lateinischen und plädiert für dessen Erhalt als Schlüssel zum kulturellen Erbe Europas.
Andrey Gurkov: „Für Russland ist Europa der Feind – Warum meine Heimat mit dem Westen gebrochen hat“
Wir leben in unruhigen Zeiten. Wer wie ich (und auch der Autor des vorliegenden Buches) in Zeiten des Kalten Krieges und der klaren Fronten aufgewachsen ist und dann in den besten Jahren mit der Wende in der DDR, der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des Ostblocks den Anbruch einer neuen (und hoffentlich friedlicheren!) Epoche miterleben, vom „wind of change“ bis hin zu einem „Ende der Geschichte“ träumen durfte, der fühlt sich nicht erst seit der russischen Annektierung der Krim, aber spätestens seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, als wäre er nach einer durchzechten Nacht verkatert aufgewacht, und alles hat sich über Nacht zum Schlechten gewendet.
Es war und ist leider keine Veränderung, die plötzlich und unerwartet, also „über Nacht“ geschah, die Zeichen des Wandels waren für aufmerksame Beobachter schon lange zu sehen, aber wer ist schon ein aufmerksamer Beobachter des deutsch-russischen Verhältnisses? – Ich jedenfalls nicht, aber der Autor des vorliegenden Buches, Andrey Gurkov, ist ein solcher Experte, nicht nur, weil er Russe ist, 1959 in Moskau geboren, als Kind eines sowjetischen Auslandskorrespondenten in Ostberlin und später in Bonn aufgewachsen. Gurkov studierte Journalistik in Leipzig und Moskau, war in der Wende- und Nachwendezeit Chefredakteur der deutschen Ausgabe der Wochenzeitung Moskowskoje Nowosti und arbeitet seit 1993 in der russischen Redaktion der Deutschen Welle.
Marcel Dirsus: „Wie Diktatoren stürzen – und wie Demokraten siegen können“
In Zeiten wie diesen … ist das Buch von Marcel Dirsus ein wahrer Trostspender! Diktaturen halten sich mal kürzer, mal länger, aber niemals halten sie ewig. Tyrannentum ist ein riskantes Geschäft.
Marcel Dirsus beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren „mit Tyrannen und damit, wie sie an der Macht bleiben oder diese verlieren“. Seine Forschungsergebnisse hat er nun in diesem aufmunternden Buch zusammengefasst: How tyrants fall lautet der Titel des englischen Originals, das bereits im vergangenen Jahr erschien und nun in der deutschen Übersetzung von Sylvia Bieker und Henriette Zehner bei Kiepenheuer & Witsch erscheint.
Das politische Klima ist in den letzten Jahren deutlich rauer geworden; neben kleinen Schurkenstaaten kehren auch längst einige der großen „global player“ der demokratischen Idee eines gewaltfreien und friedlichen Miteinanders den Rücken und liebäugeln stattdessen mit autokratischen und diktatorischen Modellen politischer Macht.
Juri Felsen, geboren 1894 in Sankt Petersburg als Nikolai Freudenstein, war ein russischer Schriftsteller, dessen literarisches Schaffen lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Erst in den letzten Jahren wurde sein Werk wiederentdeckt und gewürdigt.
Nach der Russischen Revolution emigrierte er 1921 nach Europa und ließ sich 1923 in Paris nieder. Dort etablierte er sich als einer der führenden Schriftsteller seiner Generation, beeinflusst von Autoren wie Marcel Proust, James Joyce und Virginia Woolf. Sein literarisches Schaffen stand an der Spitze der ästhetischen und philosophischen Strömungen der europäischen Literatur jener Zeit. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs versuchte Felsen, in die Schweiz zu fliehen, wurde jedoch gefasst und im Konzentrationslager Drancy interniert. 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Juri Felsen wurde oft als „russischer Proust“ bezeichnet, ein Hinweis auf seinen feinsinnigen Stil und seine tiefgehende psychologische Charakterzeichnung. Seine Werke reflektieren die inneren Konflikte und emotionalen Turbulenzen seiner Protagonisten, eingebettet in die kulturellen und sozialen Umwälzungen des frühen 20. Jahrhunderts.
Philip Ursprung: „Architektur der Gegenwart – 1970 bis heute“
Was lässt sich über die zeitgenössische Architektur sagen und wie ließe sich über sie reden? Der Professor für Kunst und Architektur an der ETH Zürich, Philip Ursprung, bietet in seinem klugen kleinen Einführungsband in der Reihe C.H. Beck Wissen einen niederschwelligen Zugang zu einem ziemlich komplexen Thema: die Architektur der Gegenwart.
Schon beim ersten Durchblättern dieses schmalen, 128 Seiten umfassenden Büchleins wird deutlich, dass die Fragestellung „Was ist Architektur?“ nur der Ausgangspunkt zu einer umfassenden Beschäftigung mit dem Thema sein kann. Architektur ist gebauter (oder besser: umbauter) Raum; sie ist Teil unseres Lebens, Teil unserer Bewegungen im Raum – ja, mehr noch: sie ist eine der Grundbedingungen für unsere Existenz, weil sie uns vor Kälte schützt und uns einen privaten Rückzugsraum schafft.
Das Buch bietet eine sehr komprimierte, aber interessante Analyse der Architekturgeschichte seit den 1970er Jahren.
Alice Berend: „Frau Hempels Tochter“
Alice Berend ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl sie in den 1910er und 1920er Jahren eine bedeutende Rolle in der deutschsprachigen Literatur spielte. Als Vertreterin einer literarischen Richtung, die sich durch gesellschaftliche Beobachtungsgabe, ironische Brechung und weibliche Perspektive auszeichnete, gehört sie zu jenen Autorinnen, die den Zeitgeist der ausgehenden wilhelminischen Ära und der beginnenden Weimarer Republik präzise einfangen konnten. Der Roman Frau Hempels Tochter, erstmals erschienen im Jahr 1913, ist ein herausragendes Beispiel ihres künstlerischen Schaffens und zugleich ein gesellschaftliches Dokument einer untergegangenen Welt.
Der Roman erzählt die Geschichte der jungen Else Hempel, die aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammt und sich in der großstädtischen Gesellschaft Berlins zurechtfinden muss. Ihre Mutter, Frau Hempel, ist eine pragmatische, biedere Frau, die große Hoffnungen in ihre Tochter setzt. Else, die eine gewisse Bildung und Intelligenz mitbringt, versucht, sich zwischen den Erwartungen ihrer Mutter, den Konventionen ihrer Zeit und ihren eigenen Wünschen und Träumen zu behaupten. Dabei gerät sie in die Kreise der bürgerlichen Gesellschaft, erlebt amouröse Verwicklungen, berufliche Enttäuschungen und eine langsame, aber stetige Emanzipation von traditionellen Rollenbildern.
Gabriela Wiener ist eine bedeutende Stimme der lateinamerikanischen Literatur, die es versteht, persönliche Erfahrungen mit gesellschaftlichen und historischen Themen zu verknüpfen. Ihr Werk bietet eine tiefgehende Reflexion über Identität, Kolonialismus und familiäre Verstrickungen. In ihrem neuen Roman Unentdeckt verfolgt sie dieselbe Absicht, sich mit diesen Themen — auch aus einer sehr persönlichen Perspektive — zu beschäftigen. Durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte ihres Ururgroßvaters und den Auswirkungen des Kolonialismus auf ihre Familie und sich selbst, schafft sie ein Werk, das sowohl persönlich als auch universell relevant ist.
Die Inspiration für den Roman fand Gabriela Wiener während eines Besuchs im Musée du Quai Branly in Paris, wo sie die von Charles Wiener gesammelten Artefakte betrachtete. Diese Erfahrung veranlasste sie, über das koloniale Erbe und die Auswirkungen auf ihre eigene Identität nachzudenken. Ursprünglich plante sie, das Thema journalistisch zu bearbeiten, entschied sich jedoch später für eine fiktionale Herangehensweise, um die Lücken in der Familiengeschichte zu füllen und die emotionale Tiefe der Thematik zu erfassen.
Colette: „Vom Glück des Umziehens“
Sidonie-Gabrielle Colette, bekannt als Colette, war eine der bedeutendsten französischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihr Leben war geprägt von literarischem Schaffen, künstlerischer Vielfalt und zahlreichen Ortswechseln, die sowohl freiwillig als auch unfreiwillig erfolgten. Diese Umzüge spiegeln die verschiedenen Phasen ihres bewegten Lebens wider und beeinflussten maßgeblich ihr Werk.
Colette wurde am 28. Januar 1873 in Saint-Sauveur-en-Puisaye, einem Dorf im Burgund, geboren. Sie wuchs als jüngstes von vier Geschwistern auf. Ihr Vater, Jules-Joseph Colette, war ein ehemaliger Offizier und Steuereinnehmer, der aufgrund einer Kriegsverletzung aus dem aktiven Dienst ausschied. Ihre Mutter, Adèle Eugénie Sidonie, genannt „Sido“, spielte eine zentrale Rolle in Colettes Leben und förderte früh ihre literarischen Neigungen. Die enge Beziehung zu ihrer Mutter spiegelte sich später in vielen ihrer Werke wider.
Michael Maar: „Das Blaubartzimmer – Thomas Mann und die Schuld“
Die Begriffe „Schuld“ und „Sünde“ durchziehen das Werk Thomas Manns wie ein roter Faden und spiegeln seine tiefgehende Auseinandersetzung mit moralischen, ethischen und existenziellen Fragen wider. Diese Themen sind nicht nur in seinen literarischen Werken präsent, sondern auch in seinem persönlichen Leben und den Reflexionen der Literaturwissenschaft über sein Œuvre von zentraler Bedeutung.
In der Novelle Der Erwählte greift Thomas Mann das mittelalterliche Motiv der „felix culpa“ auf, der glücklichen Schuld. Der Protagonist Gregorius wird aus einer inzestuösen Beziehung geboren und begeht später unwissentlich erneut Inzest, indem er seine eigene Mutter heiratet. Nach Jahren der Buße wird er schließlich zum Papst gewählt, was die Vorstellung unterstreicht, dass aus tiefster Schuld letztlich Gnade und Erhöhung erwachsen können. Mann reflektiert hier über die Dialektik von Sünde und Erlösung und stellt die Möglichkeit in den Raum, dass Verfehlungen letztlich zu höherer Erkenntnis und Läuterung führen können.
Herfried Münkler: „Macht im Umbruch – Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“
Wir leben in turbulenten Zeiten und die subjektive Wahrnehmung einer Beschleunigung der Veränderungen scheint sich durch das zunehmende Tempo und die Taktung der Ereignisse zu bestätigen. Die ruhigen Zeiten sind vorbei, es wird zurecht allgemein von einer „Zeitenwende“ gesprochen, zunächst aufgrund der veränderten militärischen Lage in Europa durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und zuletzt durch die Beendigung der Nachkriegsordnung, die de-facto-Aufkündigung des atlantischen Bündnisses sowie durch die Abkehr der USA von ihren westlichen Bündnispartnern unter der Trump-Regierung.
In seinem neuen Buch (Macht im Umbruch – Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts) analysiert der renommierte Politikwissenschaftler Herfried Münkler diese und andere geopolitischen Veränderungen der Gegenwart und deren Auswirkungen auf Deutschland und Europa. Er argumentiert, dass sich die globale Machtordnung im Umbruch befindet und Deutschland eine neue Führungsrolle in Europa übernehmen muss. Dabei geht er auf zentrale Themen wie die Krise der Demokratie, die geopolitischen Herausforderungen Europas, das Verhältnis des Westens zu Russland und China sowie die Frage nach einer strategischen Autonomie der EU ein.
Thomas Mann: „Deutsche Ansprache – Ein Appell an die Vernunft“
Es gibt wohl nur wenige Texte, die in unseren Tagen trotz ihrer Historizität aktueller sind als Thomas Manns „Deutsche Ansprache“ aus dem Jahr 1930. Die Neuwahlen in Deutschland am kommenden Sonntag (23.02.25) werden die AfD als zweitstärkste politische Kraft im Bundestag stärker als je zuvor etablieren, und mit ihr wird das Narrativ einer libertären, nationalistischen und rechtskonservativen Politik weiter an Bedeutung gewinnen. Der Demokratieabbau von rechts mit dem raffinierten Einsatz demokratischer Mittel und populistischer Propaganda wird weiter voranschreiten, und den alten Volksparteien bleibt nur noch der Weg, über große Koalitionen die nötigen Mehrheiten zu bilden. Es sieht nicht mehr gut aus für die Demokratie, weltweit und nun auch in Deutschland nicht.
In seinem klugen und historisch einordnenden Essay (Nachwort) bringt der Historiker Jens Bisky die Dringlichkeit dieses Appells an die Vernunft und die Aktualität der Rede von Thomas Mann sehr gut zum Ausdruck. Zumindest in Deutschland haben wir zurzeit keinen Intellektuellen vom Rang eines Thomas Manns, der Vergleichbares leisten könnte. Wer den Mut hat, aufzustehen und zu warnen vor den Totengräbern, wer wirklich die Gefahr für die Demokratie durch rechte und rechtskonservative Ideologien beim Namen nennt, wer öffentlich ausspricht, dass nicht nur Wohlstand und Frieden, sondern auch Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz auf dem Spiel stehen – man sucht ihn (oder sie) vergebens.
Volker Weiß: „Das Deutsche Demokratische Reich – Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört“
Volker Weiß gehört zu den führenden Experten für die Neue Rechte in Deutschland und analysiert in Das Deutsche Demokratische Reich, wie die extreme Rechte Geschichte instrumentalisiert und demokratische Werte infrage stellt. In seinem neuen Buch setzt sich Weiß mit den ideologischen und geschichtspolitischen Strategien auseinander, die von rechtsextremen Gruppen genutzt werden, um ihre Vorstellungen in den öffentlichen Diskurs einzuschreiben. Dabei legt er ein besonderes Augenmerk auf die Manipulation historischer Narrative und die Verwendung semantischer Verschiebungen zur politischen Einflussnahme.
Das Buch gliedert sich in mehrere Hauptkapitel, die jeweils unterschiedliche Aspekte der neurechten Ideologie beleuchten. Zu den wichtigsten zentralen Themen gehören die Geschichtspolitik der Rechten, die Resignifikation (Umdeutung) und Instrumentalisierung der deutschen Geschichte, vor allem durch eine Umdeutung des Nationalsozialismus mit dem Ziel seiner Rehabilitierung. Russland dient der Neuen Rechten in vielen Bereichen als ideologisches Vorbild und als Vorreiter bei der Dekonstruktion des demokratischen Systems.
David Krych: „Das Wiener Hetzamphitheater (1755–1796)“
David Krych widmet sich in seinem Werk Das Wiener Hetzamphitheater (1755–1796) einer in der Theater- und Kulturgeschichtsforschung bislang wenig beachteten Institution: dem Hetzamphitheater in Wien. Die Studie untersucht die Rolle der Tierhetzen als performative Praxis und ordnet sie in einen größeren theatralen und gesellschaftlichen Kontext ein. Dabei werden nicht nur die Aufführungspraktiken beleuchtet, sondern auch die materiellen und textlichen Hinterlassenschaften, insbesondere die sogenannten Hetzzettel, einer detaillierten Analyse unterzogen.
Sein Buch gliedert sich in mehrere thematische Abschnitte, die jeweils unterschiedliche Facetten des Wiener Hetzamphitheaters untersuchen. Ein zentraler Punkt ist die Verbindung der Tierhetzen zu anderen populären Theaterformen des 18. Jahrhunderts. Krych zeigt auf, dass sich zahlreiche Parallelen zwischen Tierkämpfen und Jahrmarkts- oder Opernaufführungen finden lassen. Interessanterweise wurden sogar Motive aus dem Hetzamphitheater in Theaterstücke und Opern übernommen.