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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Aktuelle Rezensionen

kulturbuchtipps.de veröffentlicht regelmäßig Rezensionen zu neuen Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften.

Bereits 1802 hatte August Wilhelm Schlegel eine sehr dezidierte Meinung, was Neuerscheinungen betrifft… – Wir betrachten es daher als eine wichtige kulturelle Aufgabe, die Spreu vom Weizen zu trennen und Ihnen hier die wichtigsten und lesenswerten Sachbücher aus der geradezu unüberschaubaren Menge an Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt vorstellen.


Hier sehen Sie eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Rezensionen bei kulturbuchtipps.de:


Marcellinus Prien und Lothar Uebel: „Berliner Elefantenmarke – Die Geschichte der Likörfabrik Mampe“

Alles begann in Pommern vor fast zweihundert Jahren. Der praktische Arzt und Preußische Geheime Sanitätsrat Dr. Carl Friedrich Mampe war sich sicher, ein probates Mittelchen gegen die gerade mal wieder in Preußen wütende Cholera gefunden zu haben. Seine Bitteren Tropfen hatten alles, was es zu einer perfekten Medizin brauchte: die fachliche Expertise (Stichwort: Sanitätsrat!), sie schmeckten bitter, wie jede gute Medizin, und sie kamen zur rechten Zeit am richtigen Ort zur Welt.

Obwohl ihre Wirksamkeit gegen die Cholera niemals wirklich medizinisch bewiesen werden konnte, verkauften sich Dr. Mampes Bittere Tropfen, wie sie schon bald hießen, bestens, so dass sich schon wenige Jahre später die beiden Halbbrüder Carls mit dem überlieferten Geheimrezept anschickten, die Tropfen und andere Destillate gewinnbringend und im großen Stil zu verkaufen.


Uwe Wittstock: „Februar 33 – Der Winter der Literatur“

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Es ist keine schöne Lektüre, aber wie sollte es auch anders ein?! — Denn der Zeitabschnitt,  um den es in diesem Buch geht — der erste Monat nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 –, war auch ein Monat, in dem sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in einem solchen Tempo veränderten, dass es vielen Zeitgenossen schwerfiel, mit diesem Tempo mitzukommen.

Nun ist das Ganze 90 Jahre her (Februar 2023), und immer noch betrachten viele von uns die „Nazizeit“ als „lange her“ und als ein abgeschlossenes Kapitel der Weltgeschichte. — Lange her? Ja, das ist richtig. Aber dass der Nationalsozialismus und auch ein radikaler Nationalismus auch in Zeiten der EU keinesfalls eine „abgeschlossene“ Geschichte zu sein scheint, zeigen leider auch die jüngsten Wahlerfolge rechter Parteien in unseren Nachbarländern.


Henriette Hell: „Lust: Fuckability, Orgasm-Gap und #metoo“

Ein Buch über Lust? — Das macht neugierig, und in der Tat wird der/die/das lesende Subjekt auch nicht enttäuscht. „Lust“ von Henriette Hell beschäftigt sich mit der „schönsten Todsünde“, wie der Philosoph Simon Blackburn die Wollust bezeichnete. Es geht „Fuckability, Orgasm-Gap und #metoo“, wie es etwas reißerisch im Untertitel heißt. Aber es wird nicht zu viel versprochen, denn alles kommt zur Sprache.


Rebekka Reinhard: „Die Zentrale der Zuständigkeiten — 20 Überlebensstrategien für Frauen zwischen Wollen, Sollen und Müssen“

Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit Langem eine wichtige Größe im öffentlichen Diskurs, wenn es um Fragen der praktischen Philosophie, der Lebensgestaltung und — nicht zuletzt — der Gleichberechtigung und Gendergerechtigkeit.

Bereits vor sieben Jahren hat sich die Autorin mit ihrem Buch „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“ ausführlich und erfrischend undogmatisch mit den Problemen auf dem Weg zu einer gendergerechteren Gesellschaft beschäftigt und kreative Lösungen entwickelt.


Walter Püschel (Hg.): „‘Ick bin Max Liebermann. Det is jenug!‘ — Anekdoten“

Im Eulenspiegel-Verlag sind schon viele kleine Büchlein mit Ankedoten von berühmtenMenschen erschienen — Friedrich derGroße, die Humboldts, Fürst Pückler, Theodor Fontane … —, allesamt sehr unterhaltsam und eine vergnügliche Lektüre garantierend; doch jetzt hat der Verlag eine wirklich hervorragende Wahl getroffen und Anekdoten von und über Max Liebermann, zusammen getragen und ediert von Walter Püschel, veröffentlicht.

Max Liebermann, der Berliner Maler par excellence, 1847 als Sohn eines jüdischen Fabrikanten in eine gesicherte bürgerliche Existenz hineingeboren, Malerstudent der französischen Impressionisten, ab 1897 Professor an der Königlichen Akademie der Künste (…)


Edmund Edel: „Berlin W.- Ein paar Kapitel von der Oberfläche“

Der Nicht-Berliner verbindet mit Berlin wahrscheinlich das Brandenburger Tor, die internationale Party-Szene, den Alexanderplatz und natürlich den Kurfürstendamm. Dass der Kurfürstendamm aber nicht schon immer und ganz selbstverständlich zu Berlin gehörte, sondern erst vor gut hundert Jahren zum zentralen Boulevard des neuen Berliner Westens wurde, ist selbst so manchem Berliner gar nicht so bekannt.

Wir Heutigen nehmen Berlin, die Stadt mit den vielen Zentren, einfach so hin, wie wir es kennen. Dabei ist Berlin (Groß-Berlin) das Ergebnis eines Verwaltungsvorgangs, der 1920, also vor ziemlich genau hundert Jahren, verordnet wurde, und der Kurfürstendamm mit seinen mondänen Stadtvillen entstand auch erst in den 1880er Jahren.


Erich Kästner: „Das Märchen vom Glück“

Viele LeserInnen dürften in ihrer Kindheit mit Büchern von Erich Kästner in Berührung gekommen sein: „Emil und die Detektive“, Pünktchen und Anton“, „Das doppelte Lottchen“, „Der 35. Mai“, „Das fliegende Klassenzimmer“ und „Die Konferenz der Tiere“ gehören längst zu den Kinderbuch-Klassikern. — Die Erwachsenen werden vor allem vom „Fabian“ zumindest mal gehört haben, nicht zu vergessen die lyrischen Frühwerke „Herz auf Taille“ oder natürlich „Dr. Kästners lyrische Hausapotheke“!

Es wäre falsch, Kästner als reinen Kinderbuchautor zu bezeichnen, aber eine kindliche, verspielte Sicht auf die Welt hat er sich bis ins hohe Alter bewahrt.


Felix Kucher: „Vegetarianer“

Ende des 19. Jahrhunderts begann eine Vielzahl unterschiedlichster sozialer Bewegungen zu formen, die später unter dem Sammelbegriff Lebensreformbewegung zu einer scheinbaren Einheit fanden. Ihnen allen gemeinsam war die Sehnsucht nach einer natürlicheren Lebensweise und die Suche nach Antworten auf die offensichtlichen Nachteile der neu entstanden Massengesellschaft im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung.

Das Leben in den aus allen Nähten platzenden Städten, die trotz allem technischen Fortschritt für die große Mehrheit ihrer Bewohner durch Überbevölkerung, Wohnungselend, mangelnde hygienische Verhältnisse, Lärm, Dreck und Verschmutzung zu einer unübersehbaren Belastung geworden sind, verlangte nach Alternativen, nach Neuorientierung und Neuanfang.


Christine Olderdissen: „Genderleicht — Wie Sprache für alle elegant gelingt“

Wer in und für die Öffentlichkeit schreibt, kennt das Problem einer gendergerechten Sprache. Seit Jahren sind Menschen der schreibenden Zunft mehr oder weniger deutlich dazu angehalten, der real existierenden Diversität in unserer Gesellschaft einen adäquaten sprachlichen Ausdruck zu verleihen.

Ein Sprachgebrauch, der kein Geschlecht bevorzugt und somit möglichst allen Varianten und Zwischenstufen gerecht wird, sollte für uns alle ein erstrebenswertes Ziel sein; eine genderleichte Sprache hat somit ihre Berechtigung.

Das vorliegende Buch der Juristin(!) Christine Olderdissen trägt den schönen und verheißungsvollen Titel „Genderleicht“ nicht ohne Grund. Auf der gleichnamigen Website (genderleicht.de), ein Projekt des Journalistinnenbundes und gefördert vom BMFSFJ, gibt allen Schreibenden wertvolle Tipps und Tricks an die Hand, wie mit ein wenig Nachdenken eine Gendergerechtigkeit in den eigenen Text kommt.


Harald Welzer: „Nachruf auf mich selbst“

Es ist schon oft und viel (auch an dieser Stelle) über den packenden, motivierenden und optimistischen Schreibstil Harald Welzers geschrieben worden, der die Lesenden unermüdlich zum Selbst-Denken und Selbst-Handeln aufruft. Nun liegt mit seinem „Nachruf auf mich selbst“ seine jüngste und vielleicht auch persönlichste Veröffentlichung vor.

Der Titel ist bewusst gewählt, wofür es einen ganz konkreten Anlass gab. Denn der Autor erlitt am 22. April 2020 einen Herzinfarkt, den er wahrscheinlich nur wegen des beherzten (!) Eingreifens einer Kardiologin und einer schnellen Einweisung in die Notaufnahme so gut überlebt und überstanden hat. Diese plötzliche Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit — das hört und liest man immer wieder — hat wohl auch bei Harald Welzer zu einem verstärkten Nachdenken über das eigene Leben und Wirken geführt.


Bruno Preisendörfer: „Als Deutschland erstmals einig wurde — Reise in die Bismarckzeit“

Man liest: „Der letzte Band …“ und denkt: schade, denn man könnte und würde so gerne noch weiterlesen in dieser deutschen Geschichte, die Preisendörfer immer und zuallererst als eine Geschichte der Deutschen erzählt. Alle seine Bücher, vor allem jedoch diejenigen, welche sich historischen Themen widmen, lesen sich nicht nur wunderbar und flott weg, sondern laden den Lesenden ein auf eine Zeitreise.

Der Autor versteht es immer wieder, den Leser zu begeistern und ihn auf den äußerst bequemen Sitz seiner Zeitmaschine einzuladen.


Marcel Proust: „Der geheimnisvolle Briefschreiber — Frühe Erzählungen“

Neue Texte von Marcel Proust?! In der Tat handelt es sich (bis auf einen Text) um bislang unveröffentlichte Manuskripte und Fragmente von kurzen Erzählungen, die jetzt in einer schönen und schmucken Hardcover-Ausgabe mit Schuber im Suhrkamp Verlag erschienen sind. Allein der kurze Text „Erinnerung eines Hauptmanns“ war 1952 in einer getreuen Abschrift im Figaro littéraire veröffentlicht worden.

Neun kleine Erzählungen also des jungen Proust, die sich alle um ein Thema drehen: die Homosexualität. Nicht allein die literarische Auseinandersetzung mit jenem seinerzeit äußerst brisanten und heiklen Thema mag erklären, warum diese Texte Prousts unveröffentlicht geblieben sind; es handelt sich auch um Sujets und Passagen — manchmal auch um einzelne Charaktere —, die in der einen oder anderen Art von Proust später in seiner „Recherche“ wieder aufgegriffen wurden.


Barbara Schmutz: „Brainstorming — 300 Fragen an das Gehirn“

Bei manchen klappt es gar nicht; bei anderen klappt es manchmal, und bei wenigen klappt es anscheinend richtig gut: Wenn ich meinem Gehirn Fragen stelle, kann es sein, dass ich eine Antwort bekomme, was allerdings noch nichts über deren Qualität besagt. Manchmal gibt es auch gar keine Antwort, nur white noise im Kopf.

Bei manchen Leuten scheint das ganz anders zu sein! Barbara Schmutz ist eine von ihnen. Sie hat ein schlaues Gehirn, hat zumindest ein ungemein schlaues Buch über das Gehirn verfasst. Aber verlassen wir nun den unsicheren Boden der Spekulation und schauen wir in dieses schöne Buch mit dem hypnotisierenden Cover!


Hans Fallada: „Warnung vor Büchern — Erzählungen und Berichte“

Es ist schon erstaunlich, dass es bei Hans Fallada auch heute noch und immer wieder neue Entdeckungen gibt. So auch diesmal: Der vorliegende, recht umfangreiche Band (immerhin 384 Seiten!) vereint Anekdoten, Berichte, Erzählungen und Reden Falladas von den 1920er Jahren bis zu seinem Tod 1947, die „zum Teil wenig bekannt oder noch gänzlich unveröffentlicht“ sind.

Wie bei Fallada (und im Grunde ja bei den meisten Schriftstellern) üblich, schreibt er in erster Linie über sich selbst, egal wie weit das Sujet des fertigen Textes vom Leben des Autors entfernt sein mag. Doch in diesem Sammelband kommen wir dem Menschen und Autor Fallada (alias Rudolf Ditzen) besonders nah.


Peter Ackroyd: „Queer London — Von der Antike bis heute“

Nicht selten stößt man auf Bücher, deren Titel irreführend sind und deren Inhalt in eine völlig andere Richtung läuft, als der Buchtitel vermuten lässt. — Nicht so bei Peter Ackroyds hinreißendem Buch über das schwule London: In ihm geht es wirklich um „Queer London“ von der Antike bis heute!

Peter Ackroyd gehört zweifellos zu den bedeutendsten britischen Autoren der Gegenwart; seine Romane, Theaterstücke und Biografien finden stets größte Beachtung und euphorische Besprechungen.

Was kann man also erwarten? Wie bereits gesagt, ein hinreißendes Sachbuch über jene „fremden Leidenschaften“, über die man viele Jahrhunderte hindurch kaum oder nur hinter vorgehaltener Hand oder verklausuliert sprach.


Thedel von Wallmoden (Hg.): „»Ein Wort, ein Satz …« — Literarische Werkstattgedanken“

Die große Mehrheit der Leserinnen bekommen nur das fertige Produkt, das Endergebnis schriftstellerischer Tätigkeit zu Gesicht, und die meisten Leser interessieren sich auch nicht für den oft langwierigen Entstehungsprozess und die Details kreativer Vorarbeit.

Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass Sie, wenn Sie diese und andere Rezensionen auf kulturbuchtipps.de lesen, Interesse finden an der komplexen Arbeitsweise eines Schriftstellers. Gerne würden Sie einen Blick in die Schreibstube, in die literarische Werkstatt des einen oder der anderen Autorin werfen und ihr oder ihm über die Schulter schauen, während ein literarischer Text mit der Zeit seine endgültige Form annimmt.

Der im Wallstein-Verlag von Thedel von Wallmoden herausgegebene Sammelband bietet hierzu reichlich Gelegenheit!


Andreas Platthaus: „Lyonel Feininger — Porträt eines Lebens“

Der deutsch-amerikanische Künstler Lyonel Feininger hat nicht nur ein bewegtes Künstlerleben geführt, sondern man kann an ihm als einer zentralen Figur der künstlerischen Moderne auch wunderbar das Auf und Ab von Kultur und Gesellschaft vom deutschen Kaiserreich bis in das Amerika der 1950er Jahre nachzeichnen. Genau das hat Andreas Platthaus in seiner neuen Biografie Feiningers getan!

Lyonel Feininger prägte nicht nur das von Walter Gropius gegründete Bauhaus, dem er als einziger Meister vom ersten bis zum letzten Tag angehörte; mit seinen Freunden Paul Klee und Wassily Kandinsky revolutionierte er die zeitgenössische Kunst.

Lyonel Feininger wurde 1871 in New York geboren, aber er hielt sich von seinem 17. Lebensjahr an fast ein halbes Jahrhundert lang in Deutschland auf, die meiste Zeit in Berlin. Im Ersten Weltkrieg galt Feininger als „feindlicher Ausländer“, blieb aber trotzdem in Deutschland, obwohl er jederzeit in die USA zurückkehren konnte.


Ines Burdow, Andreas Hüneke (Hg.): „Sweetheart, es ist alle Tage Sturm — Lyonel Feininger — Briefe an Julia 1905-1935“

Es gibt sie immer noch, die spektakulären Entdeckungen in den Archiven, und dieses Buch ist dafür der beste Beweis! — Das Leben von Lyonel und Julia Feininger gäbe allein schon genügend Stoff her für eine spektakuläre Biografie — dies beweist auch die jüngst im Rowohlt Verlag erschienene Lyonel Feininger-Biografie von Andreas Platthaus! —, doch Ines Burdow und Andreas Hüneke haben noch tiefer gegraben und einen wahren Schatz gehoben, welcher uns dieses bewegte Künstlerleben aus erster Hand präsentiert, nämlich im Briefwechsel der beiden lebenslangen Künstler und Eheleute Lyonel und Julia Feininger.

Als sich Julia Berg und Lyonel Feininger 1905 das erste Mal begegneten, waren beide anderweitig verheiratet, doch schnell erkannten sie in dem Anderen ihr Alter Ego. Sie heirateten und sollten fortan ein Leben lang zusammenbleiben. Beide waren künstlerisch tätig, doch schon bald trat Julia in den Hintergrund, um Lyonels künstlerische Karriere zu fördern — ein Schicksal, das sie mit vielen Künstlerinnen teilte. Gleichwohl blieb sie für ihren Mann stets eine kritische Instanz auf Augenhöhe.


Ilka Piepgras (Hg.): „Schreibtisch mit Aussicht — Schriftstellerinnen über ihr Schreiben“

Noch ein Buch über Schreibtische?! — Jein. Kürzlich hatte ich ein Buch mit Schriftsteller-Gesprächen über ihre Schreibtische besprochen (Klaus Siblewski: „Es kann nicht still genug sein“), und darin ging es über weite Strecken um die Materialität des Schreibens. In diesem hier vorliegenden Buch geben hingegen Schriftstellerinnen selbst Auskunft über ihr Schreiben.

Anders als bei dem von Klaus Siblewski herausgegebenen Band mit transkribierten Gesprächen haben für Ilka Piepgras‘ Buch die Autorinnen gleich selbst in die Tasten oder zum Stift gegriffen und aufgeschrieben, was ihnen zum Schreibprozess einfiel. Das macht einen Unterschied, den man lesen kann!

Die Konzentration auf schreibende Frauen stellt für Ilka Piepgras keine Beschränkung dar; im Gegenteil. Die spezifische Situation von Frauen in einer immer noch überwiegend von Männern dominierten Welt bildet sich gleich auf mehreren Ebenen ab.


Caspar Dohmen: „Lieferketten — Risiken globaler Arbeitsteilung für Mensch und Natur“

Spätestens im Frühjahr 2021 sind die Lieferketten wieder in den Fokus der kollektiven Wahrnehmung gerückt. Was wir im Zuge der Globalisierung längst für selbstverständlich erachtet hatten — das wirtschaftliche Prinzip der globalen Arbeitsteilung und der Ausbau der Lieferketten —, wurde im Zuge des Re-Openings der Wirtschaft nach den Corona-Lockdowns der vergangenen Monate in Frage gestellt.

Die globalen Lieferketten waren und sind ins Stocken geraten, und der Motor der Wirtschaft kommt zumindest vorübergehend ins Stottern. Die Verwunderung über diese unerwartete Unterbrechung der Warenströme war in zahlreichen Unternehmen in etwa dieselbe, als ob man daheim plötzlich von einem Stromausfall betroffen ist oder das Wasser wegen eines Rohrbruchs abgestellt wurde: Sie waren nicht darauf vorbereitet.


Georg Eckert, Thorsten Beigel: „Historisch arbeiten“

Ein geisteswissenschaftliches Studium unterscheidet sich in vielen Bereichen der Arbeitstechniken und Methoden von einem naturwissenschaftlichen Studium. Doch selbst innerhalb der Geisteswissenschaften gibt es große Unterschiede, und ein geschichtswissenschaftliches Studium stellt noch einmal ganz besondere und eigene Anforderungen an die Studierenden.

PD Dr. Georg Eckert und Dr. Thorsten Beigel lehren und arbeiten beide am Historischen Institut der Universität Wuppertal. In ihrem 2019 bei Vandenhoeck & Ruprecht in der Reihe UTB erschienen Kompendium geben sie Auskunft über alle wichtigen Bereiche des historischen Arbeitens.

Dieses Buch bietet den Studierenden der Geschichte eine umfassende und sehr praxisnahe Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten, angefangen mit der Recherche und der Quellensuche, über die Besonderheiten des wissenschaftlichen Lesens und Exzerpierens bis zur Konzeption und Ausführung von schriftlichen Arbeiten und mündlichen Vorträgen.


Michael Hauskeller: „Was ist Kunst? — Positionen der Ästhetik von Platon bis Danto“

Was ist Kunst — und was kann weg? Der Laie steht nicht selten vor der Frage, was Kunst ist und was nicht. Doch darum geht es nicht. Die Ästhetik begnügt sich nicht mit der lapidaren Aussage, dass die Bewertung eines Kunstwerks allein „im Auge des Betrachters“ liegt. Hier geht es um Grundsätzlicheres, es geht um die philosophische Frage nach dem Wesen der Kunst.

Von Platon bis Danto wird in diesem wunderbar leichtfüßigen Büchlein der Bogen geschlagen, von der Antike bis in die Gegenwart — wo Dantos Ästhetik ja auch aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammt. Aber sei’s drum!


Günter Stolzenberger (Hg.): „Mit Epikur auf Wandertour — Ein Lesebuch für Nachdenkliche“

Sommerzeit ist Reisezeit. So war es jedenfalls in der Ante-Corona-Welt. Nun schreiben wir das Jahr 2021; die Inzidenz-Zahlen sind vergleichsweise niedrig, und die Menschen zieht es wieder an fremde Gestade und südeuropäische Küsten — auch wenn gleich dahinter länderweise die Wälder abbrennen …

Im Urlaub lieben es viele Menschen, einfach nur in der Sonne zu braten oder an der Strandbar die Leber zu belasten. Immer noch und trotz besseren Wissens. — Viele andere aber ziehen es vor, in den Ferien etwas Neues zu entdecken: im Mietauto, per Fahrrad oder gar zu Fuß. Von diesen letzten Abenteurern soll im Folgenden die Rede sein!


Alexander Bogner: „Die Epistemisierung des Politischen — Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet“

Man hätte es eigentlich schon früher merken können, aber seit der Corona-Pandemie ist es ganz offensichtlich: In der politischen Öffentlichkeit — und nicht nur hier — haben die Experten die Macht übernommen. Deutlich häufiger als früher treten in den Medien eloquente Sprecher von Instituten, Wissenschaftler mit Fachkompetenz, Meinungsforscher und Krisen-Manager auf. Allesamt Experten, Menschen, die Ahnung haben und Bescheid wissen. Sie erklären die Lage, weisen auf Risiken und Nebenwirkungen hin, geben Empfehlungen und stehen der Politik in allen Sachfragen beratend zur Seite.

Eigentlich, so sollte man denken, ist daran doch nichts verkehrt. Es ist doch richtig und irgendwie auch beruhigend, wenn Politiker nicht einfach aus dem Bauch heraus Entscheidungen treffen, sondern sich zuvor fachlich beraten lassen …


Eugen Szatmari: „Was nicht im Baedeker steht — Berlin“

Warum kann nicht ein Berliner über Berlin schreiben? Kennt er seine Heimatstadt nicht viel besser und intimer als jeder Auswärtige?! Sind ihm nicht die entlegensten Winkel und die abstrusesten Geschichten bekannt, welche er dem Lesepublikum präsentieren könnte?!

Es liegt wohl eine einfache Wahrheit in der Erkenntnis, dass der außenstehende Beobachter meistens viel besser die charakteristischen Eigenschaften eines Volkes oder auch einer Stadt erfassen kann, als der Einheimische. Die schlichte Tatsache der mangelnden Entfernung vom Objekt seiner Betrachtung macht es dem Einheimischen viel schwerer, wenn nicht geradezu unmöglich, objektiv über seinen Untersuchungsgegenstand zu schreiben. Seine Nase stößt ans Objekt und seine Optik ist verzerrt. Und ein letzter Punkt: Der außenstehende Beobachter schreibt für Seinesgleichen, denn der Berlin-Tourist kommt ja in aller Regel woanders her.


Klaus Siblewski: „Es kann nicht still genug sein — Schriftsteller sprechen über ihre Schreibtische. Mit 22 Fotografien“

Wie sieht eigentlich Ihr Schreibtisch aus? — Diese Frage wird man kaum jemandem stellen, ganz einfach, weil es auch niemanden interessieren würde. Was für die allermeisten Schreibtische gelten mag, sieht bei den Schreibtischen von Schriftstellern jedoch ganz anders aus! Denn hier könnte man, so die Vermutung, den Autoren vielleicht das eine oder andere Geheimnis entlocken, was ihren kreativen Arbeitsplatz oder gar den Prozess des Schreibens betrifft.

Dies dachte sich auch Klaus Siblewski, Verlagslektor, Autor und Professor am Institut für Literarisches Schreiben und Literaturwissenschaft in Hildesheim. Schon lange üben die Schreibtische berühmter Menschen auf ihn eine starke Anziehungskraft aus.


Stefan Geyer (Hg.): Die Kunst des Gehens – Ein literarischer Wegbegleiter“

Gehen scheint eine der banalsten Tätigkeiten zu sein, doch es ist viel mehr, als nur den einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich im Raum fortzubewegen. Gehen ist eine Kunst, wenn man versteht, diese Kunst zu praktizieren! Zugegeben, das klingt ein wenig nach Zen, als meditative Aufhebung aller Sorgen und Wünsche durch die Vergegenwärtigung des Gegenwärtigen. Und in der Tat kann das meditative Gehen einen ähnlich beglückenden Effekt auf die Seele haben wie eine fernöstliche spirituelle Übung.

„Ich gehe. Mit diesem einfachen Satz besitzen wir den Schlüssel zu einem erfüllteren, intensiveren und nicht zuletzt gesünderen Leben.“ schreibt der Herausgeber Stefan Geyer in seinem Vorwort zu dieser umfangreichen Textsammlung. Jeder kennt das aus eigener Erfahrung: Ist man draußen in der Natur, ist man allein und kann den Kopf heben und sich umschauen, ohne durch ein Gespräch oder andere störende Impulse abgelenkt zu werden, dann wird sich schon bald ein Gefühl der Leichtigkeit bemerkbar machen. Mit jedem weiteren Schritt lassen wir den Alltag und die Sorgen hinter uns, schauen nur noch nach vorn und nehmen die Welt um uns herum — und uns selbst — viel stärker wahr als sonst.


Doris Dörrie: „Leben Schreiben Atmen – Eine Einladung zum Schreiben“

Man kennt Doris Dörrie als Regisseurin und Autorin zahlreicher Filme, Romane, Kurzgeschichten und Kinderbücher; weniger bekannt ist ihre Lehrtätigkeit an der Filmhochschule München, an der sie Creative Writing unterrichtet und auch hin und wieder Schreib-Workshops gibt.

Aus dieser Tätigkeit scheint auch das vorliegende Buch entsprungen zu sein, und so ist der Hintergrund schnell erklärt. Interessant ist aber vor allem der Aufbau dieses Buches. Es handelt sich nämlich um ein Arbeitsbuch, um eine „Einladung zum Schreiben“, die gleichzeitig auch literarische Kurztexte von Dörrie selbst enthält.


Henriette Kuhrt, Sarah Paulsen: „Im Dschungel des menschlichen Miteinanders — Ein Knigge für das 21. Jahrhundert“

Gute Manieren und ein angenehmes Auftreten in der Öffentlichkeit sowie eine gewisse Gewandtheit im Umgang mit anderen Menschen sind auch heute noch Zeichen einer guten Kinderstube. Doch zugegeben, der gute alte Knigge ist doch schon ein wenig in die Jahre gekommen. Das dachten sich wohl auch die beiden Autorinnen des vorliegenden Buches, eines Führers durch den Dschungel des menschlichen Miteinanders. Ihr Buch soll nichts weniger als ein „Knigge für das 21. Jahrhundert“ sein.

Man könnte jetzt natürlich kulturwissenschaftlich argumentieren und den echten Knigge — also das Original — und im historischen Rückblick seine Intentionen mit dem aktuellen Versuch einer Neuauflage für das 21. Jahrhundert zu vergleichen, doch wem wäre damit geholfen?!


Andreas Neuenkirchen: „Kann man sagen, muss man aber nicht – Die größten Sprachaufreger im Deutschen“

Ist Ihr Wording veraltet? Sind Sie proaktiv, aber Sie tun sich schwer damit, mit den Kids auf Augenhöhe zu sprechen? Vielleicht liegt es ja an Ihrem Alter, dass Sie nicht mehr richtig performen! Spätestens dann sollten Sie sich mal kurzschließen mit Leuten aus der Szene. Die können Ihnen schnell ein Update geben und Ihren Speech liften. Am Besten connecten Sie einen dieser coolen Hipster, die im Prenzelberg herumlaufen! Fangen Sie ihn vorm Späti ab und fragen Sie ihn ganz ergebnisoffen nach seiner geschätzten Meinung. Klar, dass er als Entscheider Entscheidendes zu sagen hat — es sei denn, er hat sich im Laufe der Jahre zu viel schlechtes Zeug reingezogen und sein Hirn gesundgeschrumpft. Das wäre natürlich ein ungewollter Kollateralschaden seiner hippen Lebensweise, aber Sie werden es schon merken, wenn Sie ihn meeten. (…)


Helge Hesse: „Die Welt neu beginnen — Leben in Zeiten des Aufbruchs 1775-1799“

Bücher wie diese werden in den letzten Jahren immer häufiger veröffentlicht. „1913“ von Florian Illies war ein großer literarischer Erfolg, ähnliche Kompilationen bedeutender Ereignisse erschienen auch für die Jahre 1914, 1918 oder 1920. Was dem Leser zunächst die Hoffnung vermittelt, sich ein Verständnis der komplexen Zusammenhänge und des Lebensgefühls einer ganzen Epoche durch die möglichst umfassende Darstellung eines punktuellen Ausschnitts aus dem Zeitspektrum aneignen zu können, entpuppt sich bald als eine enttäuschende Leseerfahrung.

Was allerdings bleibt, ist die Faszination der Simultaneität, der Gleichzeitigkeit des Schaffens und Wirkens von wichtigen Akteuren der Geschichte in Politik und Gesellschaft, Kunst und Kultur. Die Lektüre selbst vermag jedoch nicht das geballte Wissen, das in seiner ganzen Tiefe hinter dem Text steht, an den Leser zu übermitteln. Und so bleibt nur ein durchaus unterhaltsames, aber immer nur an der Oberfläche der Zeitgeschichte kratzendes Leseerlebnis.


Tillmann Bendikowski: „Ein Jahr im Mittelalter – Essen und Feiern, Reisen und Kämpfen, Herrschen und Strafen, Glauben und Lieben“

Es gibt nur wenige Historiker, die in der Lage sind, so anschaulich und interessant über den Gegenstand ihrer Forschung zu schreiben, wie Tillmann Bendikowski. Diese Begabung hat der Autor auch schon in früheren Büchern bewiesen, in denen es um solch unterschiedliche Themen wie die Varus-Schlacht oder um den Sommer 1914 ging. Nun reisen wir mit ihm in das deutsche Mittelalter.

Wie lebten also die Menschen im Mittelalter? Die Lebenswirklichkeit war fern von jenen romantisierenden und verklärenden Vorstellungen, die uns die Filmindustrie vorgaukelt und wie sie die erfolgreichen historischen Romane der Publikumsverlage ausmalen. Die Wirklichkeit war viel elementarer und deutlich weniger pittoresk.


Nina Kunz: „Ich denk, ich denk zu viel“

Welches Ziel verfolgt eine Autorin? Was soll ihr Text bewirken? Soll er überhaupt etwas bewirken? Soll er unterhalten, informieren, einen Standpunkt signalisieren, eine Meinung vertreten? Alles zusammen oder nur das eine oder das andere?

Ein Essay ist ein Versuch, sich selbst schreibend zu entdecken und die eigene Haltung gegenüber einem Thema zu formulieren. Man (und frau) schreibt, um den Lesenden diese intellektuelle Entdeckungsreise sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Das Ziel bestünde in diesem Fall darin, den Lesenden die Möglichkeit der Teilnahme an dieser persönlichen Standpunktfindung zu geben. Indem sie den Text lesen, vollziehen sie diesen Prozess der Autorin nach, können das Gelesene reflektieren und sich entsprechend positionieren.


Diana Kinnert: „Die neue Einsamkeit — Und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können“

„Einsamkeit hat viele Namen …“ sang einst Christian Anders, und um Einsamkeit geht es auch in Diana Kinnerts neuem Buch; es geht um „Die neue Einsamkeit — Und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können“. Diana Kinnert, das ist die junge Dame mit dem Hut, aber das klingt auch irgendwie schon wieder ein wenig zu sehr nach Tschechow … Also noch einmal von vorn!

Die junge Frau mit dem Filzhut, das ist ein bekanntes Gesicht in den guten Medien, also den Öffentlich-Rechtlichen, doch wer sich da unter dem schicken Hut verbirgt, macht erst ein Blick in Wikipedia oder in den Klappentext klar.


Leonhard Hieronymi: „In zwangloser Gesellschaft“

Ist es ein Roman? Wohl eher eine Art Reisetagebuch, das mitunter auch Anklänge von einer Reportage zeigt, hier und da kleine Wissenshäppchen einwirft, das Ganze zu einer angenehmen Mélange verquirlt und mitunter auch witzigen Lektüre macht. — Aber ein Roman ist eigentlich etwas Anderes …

Aber sei‘s drum! Leonhard Hieronymi hat ein unterhaltsames und über weite Strecken recht witziges Buch über Friedhofsbesuche geschrieben. Der Club der toten DichterInnen besteht aus einem bunten Reigen international unter der Erde liegender deutschsprachiger Schriftstellerinnen und Schriftsteller.


Jenny Odell: „Nichts tun – Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen“

Eine junge amerikanische Frau schreibt über die Nöte der digitalisierten Jugend der Welt. Man kann längst nicht mehr national differenzieren; bestenfalls graduell sind die Unterschiede jenes global zu beobachtenden Phänomens digitaler Verwahrlosung. Ohne an dieser Stelle zu spenglern und den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören zu wollen, kann man dennoch festhalten, dass sich die Wirklichkeit in einer Krise befindet. Es geht um nichts Geringeres als um die Rückeroberung von Raum und Zeit im Leben jedes einzelnen von uns. Es geht um einen Ausbruchsversuch aus dem digitalen Hamsterrad der Attention Economy.

Es mag das individuelle Problem eines älteren weißen Mannes sein, dass ich mich daran störe, von jungen Frauen die Welt erklärt zu bekommen. — So geschieht dies in dieser Buchsaison gerade auf dreifache Weise: Jio Tolentino, Diana Kinnert und eben Jenny Odell geben in mehr oder weniger umfangreichen Büchern ihre Wasserstandsmeldungen aus der virtuellen Welt bekannt.


Jonathan Aldred: „Der korrumpierte Mensch — Die ethischen Folgen wirtschaftlichen Denkens“

Je weiter man bei der Lektüre dieses spannenden Sachbuchs voranschreitet, desto bewusster wird einem, dass wir in einer Gesellschaft leben, die von Grund auf durch ein wirtschaftliches Denken geprägt ist, welches mit jener Wirklichkeit, die wir ganz unvoreingenommen und ganz für uns wahrnehmen, nicht viel zu tun hat.

Das ganze Szenario lässt sich mit wenigen Schlagworten aus der Wirtschaftssprache beschreiben: die Idee vom homo oeconomicus, TINA (there is no alternative), Neoliberalismus.

Der englische Universitätsprofessor Jonathan Aldred hat (in guter englischer Manier) ein fesselndes Buch zu der Frage geschrieben, welche Auswirkungen das wirtschaftliche Denken des Mainstreams auf unser ethisches Verhalten hat.


Jens Bisky: „Berlin — Biographie einer großen Stadt“

Gepriesen sei Jens Bisky, denn er schenkt uns mit seiner Berlin-Biographie eine so umfangreiche wie aufschlussreiche Stadtansicht, die sich nicht nur würdig in die lange Reihe Berliner Stadtbiographien einreiht, sondern die bewegte Geschichte deutschen Hauptstadt aus einer aktuellen Perspektive beschreibt.

Bisky Buch ist in jeder Hinsicht ein Schwergewicht. Nicht nur die knapp tausend Seiten Umfang und die 1.530 Gramm Lebendgewicht beeindrucken den zukünftigen Leser — und könnten vielleicht auch dazu führen, ihn ein wenig einzuschüchtern; sondern auch inhaltlich ist dieses Opus Magnum ein Schwergewicht.


Hans Ostwald: „Berlin — Anfänge einer Großstadt. Szenen und Reportagen 1904-1908“

Vor uns liegt ein Buch, auf das ich persönlich lange gewartet habe. Es handelt sich um eine Auswahl von Texten aus den „Großstadtdokumenten“, die Anfang des 20. Jahrhunderts von Hans Ostwald herausgegeben und zum Teil auch von ihm selbst verfasst wurden. Lange Zeit waren diese Texte in Vergessenheit geraten und wurden nur zu Forschungszwecken herangezogen, wenn es um die Berliner Stadtgeschichte der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ging.

Es war vor allem das Verdienst von Bernd Jazbinsek und Ralf Thies, die „Großstadtdokumente“ in ihrem kulturellen und soziologischen Kontext erforscht zu haben; Ralf Theis hat auch eine bemerkenswerte Biographie über Hans Ostwald verfasst.


Rebekka Reinhard: „Wach denken — Für einen zeitgemäßen Vernunftgebrauch“

Die Philosophin Rebekka Reinhard ist bekannt für ihren praktischen und lebensnahen Ansatz. Ihre Bücher befassen sich mit ethischen Fragen und behandeln aktuelle Themen aus einer philosophischen Perspektive. Dies ist auch in ihrem neuen Buch „WACH DENKEN“ nicht anders. — Worum geht es?

Die Autorin kritisiert das Entweder-Oder-Denken, das seit dem Siegeszug der Digitalisierung von vielen Menschen Besitz ergriffen hat. Schuld sind die Smartphones und die sie steuernden Algorithmen. Die tägliche Benutzung und nahezu vollständige Einbindung von digitalen Helferlein — kleinen, praktischen Apps — hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf uns Denken. Wenn wir diese digitalen Hilfsmittel als Ersatz für unsere eigenen Denkleistungen verwenden, kurz: Wenn wir uns allein auf sie verlassen, so sind wir am Ende von allen guten Geistern verlassen.


Axel Hacke: „Wozu wir da sind – Walter Wemuts Handreichungen für ein gelungenes Leben“

Es gibt Autoren und Bücher, auf die man sich einlassen muss, um einen echten Nutzen aus ihnen ziehen zu können. Axel Hacke gehört — zumindest für mich — dazu. Während ich eines seiner letzten Bücher (vielleicht zu Unrecht?) schon bald wieder zur Seite und dann auch recht unversöhnlich rezensiert hatte, habe ich mir bei diesem neuen Titel — „Wozu wir da sind“ — länger Zeit genommen und das ganze Buch von vorne bis hinten gelesen.

Warum betone ich diese eigentlich selbstverständliche Herangehensweise in diesem Fall besonders? — Weil dieses Buch das Zeug dazu hat, den Leser anzurühren, ihn in der Mitte seines Lebens abzuholen und mit ihm in einen imaginären Dialog zu treten. Doch worum geht es eigentlich?


Eva Koczisky: „Der Schlaf in Kunst und Literatur – Konzepte im Wandel von der Antike zur Moderne“

Was passiert eigentlich, wenn wir schlafen? Schlafen bedeutet, in eine Traumwelt abzutauchen, die Kontrolle zu verlieren, sich den „dunklen Mächten“ in uns oder um uns herum auszuliefern. Manchmal genießen wir es, manchmal haben wir Angst davor. Doch niemals haben wir eine Wahl: Wir müssen schlafen.

Der Schlaf hat die Menschen schon immer fasziniert. Er öffnet uns das Tor zu einer unbekannten Welt. Der Schlaf bringt uns in Kontakt mit himmlischen Mächten oder mit den Bestien der Unterwelt. Träumen und schlafen werden, historisch gesehen, meist synonym verstanden, obwohl es auch, wie jeder weiß, hin und wieder traumlose Nächte oder auf der anderen Seite auch Wach- und Tag-Träume gibt.


Magali Nieradka-Steiner: „Glücksorte an der Cȏte d´Azur“

„Fahr hin & werd glücklich“ steht auf dem Kofferanhänger der Illustration auf dem Cover dieses neuen Buches. Ha, sehr witzig — in Zeiten von Corona und Reisewarnungen ist eine Reise an die Cȏte d´Azur in weite, weite Ferne gerückt. Reisen geht im Moment nur im Kopf, in der Fantasie.

Aber warum nicht schon einmal eintauchen in diese ferne und unbekannte Welt?! — Wobei, so richtig unbekannt ist mir die Cȏte d´Azur ja eigentlich nicht. Schließlich habe ich in meinen Zwanzigern oft wochenlang meine Semesterferien in Frankreich verbracht — und hier vor allem an der Mittelmeerküste. Ist aber lange, sehr lange her.

 


Bernd Stiegler, Felix Thürlemann: „Meisterwerke der Fotografie“

Die Geschichte der Fotografie erzählt mit Hilfe fotografischer Meisterwerke. Die Meisterfotos sind in dem vorliegenden Reclam-Büchlein in chronologischer Reihenfolge mit jeweils einem eigenen Kurzessay versehen. Auf diese Weise bekommen wir nicht nur einen Überblick über die technischen und künstlerischen Entwicklungen der Fotografie seit ihrer Erfindung vor über 150 Jahren, sondern such einen guten Einblick in die wunderbare Vielfalt essayistischer Annäherungen an das Phänomen Fotografie.

Diesen kultur- und bildwissenschaftlichen Zugang haben wir den beiden Autoren Bernd Stiegler und Felix Thürlemann zu verdanken. Stiegler ist Literaturwissenschaftler, Philosoph und Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literatur im medialen Kontext an der Universität Konstanz; Co-Autor Felix Thürlemann lehrte bis zu seiner Emeritierung 2014 ebenfalls an der Universität Konstanz Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte.


Armin Geus (Hg.): „Ludwig Büchners Religionskritik — Ein unbekanntes Dokument“

Bücher in deutscher Sprache, die zwischen 1850 und 1900 in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden, gehören zu seltenen Ausnahmen in deutschen Antiquariaten. Auch in den USA sind sie immer seltener zu finden. Es handelt sich bei ihnen somit, so muss man es in letzter Konsequenz sehen, um ein verschwindendes bzw. bereits verschwundenes Kulturgut.

Der 1937 geborene Marburger Professor Armin Geus ist Biologie- und Medizinhistoriker. Seit den 1990er Jahren veröffentlichte er zahlreiche religionskritische und dezidiert aufklärerische Schriften in seinem eigenen Verlag, der Basilisken-Presse, die teilweise kontrovers diskutiert wurden und eine größere öffentliche Aufmerksamkeit erreichten.

Das vorliegende kleine Bändchen befasst sich ebenfalls mit einem religionskritischen Text — dem „Testament“ des Abbé Jean Meslier (1664-1729) — im Spiegel einer Rezension von Ludwig Büchner aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.


Thierry Paquot: „Die Kunst des Mittagsschlafs“

Der Mittagsschlaf gehört vielleicht zu den subversivsten Handlungen unserer Gegenwart. Das Primat eines auf Effizienz und Produktivität hin optimierten Lebens lässt den Gedanken an eine Auszeit mitten am Tage undenkbar erscheinen.

Doch im Frühjahr 2020 kam Corona. Mit dem Virus kamen der Lockdown und das Home Office, und mit ihnen kam es auch zu einer überraschenden Renaissance des Mittagsschläfchens. Denn die Menschen brauchen den Schlaf, behauptet zumindest der Philosoph und emeritierter Professor für Urbanistik in seinem kleinen Büchlein „Die Kunst des Mittagsschlafs“ (L’Art de la sieste“), das jetzt im Steidl Verlag erschienen ist.

Dieses schmale Bändchen ist mal wieder ein guter Beleg dafür, dass schlaue und schlau machende Bücher nicht dick sein müssen — ganz im Gegenteil! Ein fähiger Autor, der sein Metier beherrscht, ist in der Lage, sein Wissen auch in komprimierter Form zu teilen — oder sollte es zumindest sein.


Per J. Andersson: „Vom Schweden, der den Zug nahm und die Welt mit anderen Augen sah“

Manchmal finden wir gerade in der Beschränkung des Gewohnten einen ungekannten Reiz, der uns ermöglicht, das Neue zu entdecken, entweder in Bezug auf das Gewohnte oder auf uns selbst.
Der schwedische Schriftsteller und Reisejournalist Per J. Andersson ist berühmt für seine bunten und spannenden Reisereportagen aus den entlegensten Ecken der Welt und für seine wunderbaren Romane.

Jetzt hat sich Andersson — noch vor der Corona-Pandemie 2020, aber im Zeichen des Hypertourismus mit seinen ökologischen Schattenseiten — darauf besonnen, mit dem Zug zu reisen. Eine Kindheitserinnerung, in der er mit seiner Großmutter im Zug nach Bohuslän in Dalarna fuhr, wo sie und sein Großvater lebten, gab den Anstoß, kritisch über das eigene Reiseverhalten nachzudenken und die alten Gewohnheiten zu hinterfragen.


Valentin Groebner: „Ferienmüde – Als das Reisen nicht mehr geholfen hat“

Schon vor der Corona-Krise ist das Reisen zu einem gesellschaftlichen Problem geworden.

So schön es ist, reisend die Welt zu erkunden und hierbei im besten Falle nicht nur neue Weltgegenden, sondern auch sich selbst zu entdecken, so sehr ist der Massentourismus zu einem gesellschaftlicchen und vor allem zu einem ökologischen Problem geworden.

Valentin Groebner ist Österreicher und von Hause aus Historiker, aber in diesem kleinen, schlauen Büchlein erweist er sich erneut als ein kenntnisreicher Kulturwissenschaftler und begnadeter Essayist. Zu viel des Lobes? – Wohl kaum. Denn dem Autor gelingt mit diesem Essay auf 150 Seiten, wofür seine Kollegen mindestens drei Mal so viel Text benötigen, um am Ende nicht einmal ein vergleichbares Ergebnis zu erzielen.


DHM, David Blankenstein, Bénédicte Savoy u.a. (Hg.): „Wilhelm und Alexander von Humboldt“

In der Vorrede zum ersten Band seines Hauptwerks „Kosmos“ schrieb Alexander von Humboldt, dass „ohne den ernsten Hang nach der Kenntniß des Einzelnen alle große und allgemeine Weltanschauung nur ein Luftgebilde sein könne“.

Diesem ernsten Hang nach der Kenntnis des Einzelnen kann der Leser dieser schönen, parallel zur Ausstellung im Deutschen Historischen Museum erschienenen Publikation folgen, sofern es um das Leben und Werk der beiden Humboldt-Brüder geht.

Warum gerade jetzt? Die Frage ist schnell beantwortet: 2019 feierten wir den 250. Geburtstag von Alexander und Wilhelm. Das DHM fast kurz zusammen, warum das Leben und das Werk dieser beiden Kosmopoliten für ihre damalige Zeit so außergewöhnlich und für unsere Zeit so interessant und spannungsreich machen:

„Sie verkörpern die Errungenschaften öffentlicher Bildung, eine neue Sicht auf die Natur und den unvoreingenommenen Blick auf die Kulturen jenseits Europas. Ihre Biografien sind jedoch auch von den Gegensätzen ihrer Zeit geprägt.“


Karoline Walter: „Guten Abend, gute Nacht — Eine kleine Kulturgeschichte des Schlafs“

Wie verbringen Sie die Corona-Zeiten? Man kann die Zeit des Lockdown nutzen, um den Haushalt zu machen, die Garage oder den Keller aufzuräumen, ein gutes Buch zu lesen, das Wohnzimmer zu tapezieren (…), oder man kultiviert den Schlaf in allen seinen schönen Facetten: langes Ausschlafen, Mittagsschläfchen, Schäferstündchen, frühes zu Bett gehen.

Wunderbar verbinden lässt sich solche eine neue Schlaf-Kultur mit einem jüngst im Hirzel-verlag erschienen Buch von Karoline Walter, welches sich genau mit diesem umfangreichen Thema — dem Schlaf aus kulturhistorischer Perspektive — beschäftigt.

Denn Schlafen ist ja keineswegs nur eine notwendige Erholungsphase des menschlichen (und tierischen) Körpers, sondern hat neben diese rein physiologischen Funktion über die Menschheitsgeschichte auch immer wieder unterschiedliche Bewertungen erfahren.


Edward Bullmore: „Die entzündete Seele — Ein radikal neuer Ansatz zur Heilung von Depressionen“

Professor Bullmore zeigt anschaulich und mitreißend die Zusammenhänge zwischen Seele und Immunsystem auf. Es geht um Entzündungen, die in der Folge Depressionen anschieben, verstärken oder in kleinerem Ausmaß auch überhaupt erst auslösen können.

Er schafft es fundiert, logisch aufgebaut und verständlich. Das Ganze in einer Art, die man von amerikanischen Autoren kennt: begeistert vom Thema, mit Beispielen und wiederkehrenden Verweisen bereits beschriebenen.

Nach einer Vorstellung des Grundthemas und der Grundidee im ersten Kapitel erfolgt im zweiten eine gute Erklärung des Immunsystems.


Daniel Chamovitz: „Was Pflanzen wissen — Wie sie schmecken, hören und sich erinnern“

Der Autor möchte hier nicht die Verwandtschaft von Mensch und Pflanze schildern. Als das 1974 durch populärwissenschaftliche Abhandlung versucht wurde, ging auch teilweise die Wissenschaft auf dubiose Pfade. Seitdem sind Jahrzehnte vergangen und die Forschung hat große Fortschritte gemacht.

In der Pflanzenbiologie erkennt man nun die Sinne der Pflanzen. Sie sind ungeahnt komplex, teilweise mehr als bei Tieren. Um das ganz genau zu schildern, müsste dies aber ein Fachbuch für Wenige werden. Herr Chamovitz möchte jedoch für den interessierten Leser einen Überblick über die Erkenntnisse geben.

Dafür wird in jedem Kapitel ein menschlicher Sinn beschrieben. Wie der Sinneseindruck wahrgenommen und verarbeitet wird und zu welchen Konsequenzen es führt. Das wird verglichen mit denen der Pflanzen.


Anne Sverdrup-Thygeson: „Libelle, Marienkäfer & Co.“

Ausnahmsweise hier ein Satz vom Klappentext: „Mit Witz und Wissen plädiert die Biologie-Professorin Anne Sverdrup-Thygeson in diesem Buch dafür, dass sie nicht von der Bildfläche verschwinden dürfen.“ Die Betonung liegt auf „Witz und Wissen“!

Hier lohnt es sogar, das Vorwort zu lesen. Denn wenn Leute sie fragen, wozu denn Fliegen und Wespen gut sein sollen gibt es auch darauf logische Antworten. Sogar der Hinweis, warum ein paar nicht so geschätzte – weil nicht als niedlich angesehene – Insekten sogar unser Leben verbessern und teilweise retten können. Glauben Sie nicht? Lesen Sie!

In sehr unterhaltsamer Art und Weise lässt sich das Buch quasi schmökern und macht gute Laune. Der am Anfang geschriebene Satz, Insekten seien die Zahnräder diese Welt, gewinnt auf jeder Seite des Buches mehr Gewicht.


Silvia Bürkle: „Heimliche Entzündungen“

Der Titel sagt bereits alles. Schon länger werden die kleinen und oft nicht bemerkten Entzündungen im Körper als Ursache für manch schlimmere Krankheiten verdächtigt. Es gibt dazu einiges an Literatur. Dies Buch jedoch macht Laune beim Lesen.

Im lockeren und klar verständlichen Ton werden einige Punkte erklärt: Was ist eine Entzündung? / So arbeitet unser Immunsystem / Risikofaktoren für Entzündungen / Antientzündliche Ernährung / Was schützt und was lindert / Entzündungen und Psyche – dazu noch Rezepte für alle Mahlzeiten.

Es ist spannend und lehrreich zugleich zu lesen. Wie es im Innern brodelt. Wie Krankheiten daraus entstehen. Die Zusammenhänge im Körper und unserer Ernährung werden klar. Beispielsweise inwiefern die Darmflora einen großen Einfluss ausübt auf unser Befinden. Und mit welch – vergleichsweise – einfachen Mittel man selbst Einfluss nehmen kann.


Jason & Mirco von Juterczenka: „Wir Wochenendrebellen“

Spannend, spannend — so kann Leben sein. Jason ist 12 Jahre alt. Und jung. Und sehr eigen. Denn er ist Autist mit Asperger-Syndrom. Als Behinderung sehen weder er noch seine Familie es. Denn es ist richtig so, wie es ist. Jason ist richtig so, wie er ist. Und seine Familie unterstützt ihn dabei, in diesem Leben zurecht zu kommen.

Jason selber sagt auch, die eigentliche Behinderung sei, wenn andere Menschen seine Regeln verletzen. Und das ist auch die Krux des Ganzen. Er stellt sie auf, kann nicht anders und erwartet mit Nachdruck die Einhaltung.

Sein Vater, der das Buch in enger Zusammenarbeit mit ihm geschrieben hat, schildert den Weg seiner Entwicklung und Ausnahmen. Denn der Buchtitel „Wochenendrebellen“ ist wörtlich zu nehmen: Es sind Zeiten, in denen Vater und Sohn durch das Land ziehen, um Fußballvereine und Fußballstadien kennenzulernen.


Stefan Weidner: „1001 Buch — Die Literaturen des Orients“

Der Orient, das ist seit jeher die perfekte Projektionsfläche für all unsere Träume, Sehnsüchte und Ängste: das Morgenland, das Land der Märchen und Sagen, der unbekannten Schönheiten und der geheimnisvollen Riten und die Wiege einer Jahrtausende alten Kultur.

Doch gab es den „Orient“ überhaupt? Ist er nicht vielmehr ein Produkt des Kolonialismus und des eurozentrischen Blicks auf das „Morgenland“, wie der Kulturwissenschaftler Edward Said in seinem berühmten Buch „Orientalism“ (1978) bemerkte?

Damit sind wir schon mitten in einer postkolonialen Diskussion, die auch der Islamwissenschaftler und Übersetzer, Stefan Weidner, an den Anfang von „1001 Buch“, seiner bemerkenswerten Literaturgeschichte der orientalischen Literaturen gestellt hat.


Sabina Becker: „Experiment Weimar — Eine Kulturgeschichte Deutschlands 1918-1933“

Das Jahr 2019 ist Jubiläumsjahr. Vor 100 Jahren wurde die Weimarer Republik ausgerufen. Diese erste Republik auf deutschem Boden war nicht nur eine logische Folge des verlorenen Ersten Weltkriegs, dessen Erblasten ihr in die Wiege gelegt wurden, sondern es war auch eine spannende, turbulente und durchaus hoffnungsvolle Phase der deutschen Geschichte, die bereits nach 14 Jahren mit dem Siegeszug des Nationalsozialismus wieder ihr Ende fand.

Der Buchmarkt hat uns in diesem Jahr mit vielen Titel zur Weimarer Republik beschenkt: viele Bildbände zu den unterschiedlichsten Themen, ein sehr erfolgreicher Mehrteiler nach den Kriminalromanen von Volker Kutscher, zahlreiche Titel zur politischen Zeitgeschichte sowie weitere Sachbücher zu den unterschiedlichsten Spezialthemen.


Frank Goyke: „Wandern in Berlin — Auf den schönsten Wegen durch die Stadt“

Der Berliner ist nicht gerade für seine Bescheidenheit bekannt. Grundsätzlich können wir Berliner „allet“: Wir haben die größte Stadt, das größte Schienennetz, die größte Klappe. Warum also nicht auch noch die besten Wanderwege der Republik?!

Okay, ganz so hoch wollen wir das Ganze nicht aufhängen, manchmal sind wir auch zu Kompromissen bereit. Wie wäre es dann also mit den „schönsten Wegen durch die Stadt“? Einer, der sich hier bestens auskennt und der es wissen muss, ist Frank Goyke, passionierter Wanderer und gebürtiger Rostocker, Jahrgang 1961.


Wolfgang Meyer-Hentrich: „Wahnsinn Kreuzfahrt — Gefahr für Natur und Mensch“

Es gibt Bücher, die können einem echt die Laune vermiesen. Das beginnt bei diesem Buch sogar schon mit dem Cover: Zu sehen ist ein Kreuzfahrtschiff-Monster am Horizont vor einer Altstadt-Kulisse. Kann eigentlich nur Venedig sein.

Seit Langem ist bekannt, dass Kreuzfahren umweltschädlich ist: Die Luxusliner fahren mit Schweröl, blasen ihren Dreck sowohl auf hoher See als auch im Hafen in die Luft, verpesten die Umwelt, erwärmen die Meere und sorgen durch die Masse von Tagestouristen für chaotische Zustände in jenen Häfen, die sie regelmäßig anlaufen.

Mit anderen Worten: Kreuzfahrer sind die Pest. Das war, genau genommen, schon immer so. Selbst die christlichen Kreuzfahrer haben, wie wir wissen, nicht nur Gottes Segen zu Muslimen und Heiden getragen, sondern auch Krankheiten und Seuchen, militärische Gewalt und die kapitalistische Wirtschaftsweise. Aber das ist ein anderes Thema. — Oder doch nicht?


Harald Welzer: „Alles könnte anders sein — Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“

Geht es um gesellschaftspolitische Fragen, so ist Harald Welzer in der Regel nicht weit. Es gibt im deutschsprachigen Raum wohl kaum einen Wissenschaftler, der so rührig ist und seine tiefschürfenden und wichtigen Gedanken in ebenso leicht verständliche als auch wissenschaftlich fundierte Worte fassen kann, wie Harald Welzer.

Somit ist es keine große Überraschung, mit „Alles könnte anders sein“ einen weiteren Titel des Autors im Verlag S. Fischer zu entdecken, der sich einem aktuellen Thema widmet: dem Fehlen einer tragfähigen und praktikablen Gesellschaftsutopie für unsere an positiven Zukunftsvisionen so armen Gegenwart.

Wir sind alle sehr gut darin, die Zukunft schwarz zu malen: Alles ist furchtbar, der Klimawandel, die Verschmutzung der Weltmeere, die Zerstörung der Natur unseres Planeten, die Verstopfung der Innenstädte durch den Autoverkehr, die Zuwanderung, die Digitalisierung aller Lebensbereiche, Krieg und Krankheiten usw.


Ralph Gleis (Hg.): „Gustave Caillebotte — Maler und Mäzen des Impressionismus“

Im Sommer 2019 lädt die Alte Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin zu einer großen Impressionisten-Schau. Im Mittelpunkt steht eine Person, die weniger bekannt ist als die berühmten Impressionisten Renoir, Manet, Monet, Pissarro, Degas oder Cezanne, und doch war Gustave Caillebotte eine zentrale Figur, die als Mäzen zum einflussreichen Wegbereiter für die Anerkennung des Impressionismus als moderne Kunst in Frankreich wurde und gleichzeitig als impressionistischer Maler eine ganze Reihe von bedeutenden Werken schuf, die uns heute durch ihre Komposition und Motivauswahl beeindrucken.

Der Alten Nationalgalerie in Berlin ist es gelungen, Caillebottes vielleicht bekanntestes Bild — „Rue de Paris, temps de pluie“ (Straße in Paris, Regenwetter) von 1877 — als Leihgabe vom Art Institute of Chicago für diese Ausstellung zu entleihen. Um dieses Bild herum wird die Ausstellung mit Bildern der französischen Impressionisten aus der umfangreichen Sammlung der Nationalgalerie gestaltet, die in direkter Beziehung zu Caillebotte standen.


Katharina Grätz: „Alles kommt auf die Beleuchtung an — Theodor Fontane – Leben und Werk“

Im Fontanejahr 2019 hat man den Eindruck, dass der gütige alte Herr, unser „Wanderer durch die Mark Brandenburg“, der „bedeutendste Vertreter des Bürgerlichen Realismus“, Theodor Fontane nicht nur als Projektionsfläche für die kollektive Sehnsucht nach einer vermeintlich guten alten Zeit herhalten muss, sondern auch groß angelegten marktstrategischen Prozeduren unterworfen wird, die sein Leben und Werk in allen nur erdenklichen Formaten einem möglichst breiten Publikum zur Verkostung präsentiert werden soll.

Mit anderen Worten ist der Buchmarkt voll von mehr oder weniger brillanten Biografien und zahlreichen Neuausgaben seiner literarischen Werke, nicht selten auch in Form von neuen monographischen Anthologien zu den unterschiedlichsten Oberbegriffen. Doch neben all diesen ausufernden und für den laienhaften (nicht-wissenschaftlichen) Leser in ihrer Ausführlichkeit kaum interessanten, sondern in eher überfordernden Publikationen, gibt es noch einige „Perlen“, die der besonderen Erwähnung wert sind. Eine solche Perle ist die jüngst im Reclam-Verlag publizierte, kleine Biografie von Katharina Grätz, die als Taschenbuch erschienen ist.


Peter Graf (Hg:): „Eine ungemein eigensinnige Auswahl unbekannter Wortschönheiten aus dem Grimmschen Wörterbuch“

Was die Gebrüder Grimm im Jahre 1838 begonnen hatten, fand erst 1961 mit Band 32 abgeschlossen; darin zeugen ca. 320.000 Stichwörter auf 34.824 Seiten von einem geradezu unfassbaren Sprachreichtum. Das „Deutsche Wörterbuch“ war ein Mammut-Unternehmen, und es finden sich darin eine Menge ungehobener Schätze. Nur zum Vergleich: Der aktuelle Duden bringt es lediglich auf 145.000 Stichwörter, also nicht einmal die Hälfte …

Wenn wir von den ungehobenen Schätzen sprechen: Was finden sich nicht alles für Sprachperlen in diesem Wörterbuch! — Hier eine zufällige Auswahl: „durchmausern“, „Krummhälserarbeit“, „Dienstflucht“, „blumenglücklich“, „Leseesel“, „stiegelfitzisch“, „dilledelle“, „bämmeln“ oder auch „schlafdürmelich“ usw. usw.


Titus Müller: „Einfach mal spazieren gehen“

Während der Lektüre dieses schönen kleinen Buches passiert etwas Eigenartiges: Der Leser wird zunächst durch den feinsinnigen Stil und den ruhigen Sprachduktus regelrecht entschleunigt: Das Alltagstempo fällt von ihm ab und er kommt zur Ruhe. Dann jedoch bemerkt er an sich eine Veränderung: Zunächst nur klein und unscheinbar, meldet sich eine innere Stimme, die den Wunsch nach Bewegung artikuliert.

Während wir täglich durch unser Leben hasten, getrieben von Terminen und Deadlines — also von Linien des Todes —, nehmen wir längst keine Notiz mehr von der Welt, die uns umgibt. Sind wir mal durch den stockenden Verkehr zu Wartezeiten verdammt, so geht der Blick in der Regel nach unten, aufs Smartphone, und eben nicht nach vorne.


Leïla Slimani: „Warum so viel Hass? — Essays“

In Frankreich ist Leïla Slimani längst zu einer festen Größe im kulturellen Leben und zu einer der wichtigsten literarischen Stimmen der Intellektuellen in Frankreich avanciert; in Deutschland hingegen ist sie immer noch vielen Lesern unbekannt. Bestenfalls ihre beiden Romane „All das zu verlieren“ und „Dann schlaf´ auch Du“ (für den Slimani den begehrten Prix Goncourt erhielt) haben hierzulande für Aufsehen gesorgt. In dem einen Roman geht es um die Sexsucht der Protagonistin, im zweiten um Kindsmord, in beiden Fällen also geht es um starke Gefühle und um die Abgründe der menschlichen Psyche, um die emotionale Abhängigkeit und Verlorenheit der Romanfiguren.


Hans Hütt: „Die 50er — Ein Jahrzehnt in Wörtern“ / „Die 60er — Ein Jahrzehnt in Wörtern“

Womit hat man sich in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschäftigt? Was prägte den Alltag der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit und das Leben in der DDR zu jener Zeit? Der Journalist Hans Hütt hat in seiner neuen Buchreihe, die passenderweise im Duden-Verlag erscheint, vor allem einen genauen Blick auf eine Reihe von Begriffen geworfen, die seinerzeit zum alltäglich und allgegenwärtig waren, heute jedoch bei vielen älteren Lesern so manche Assoziationen und teilweise cverschüttete Erinnerungen zu wecken in der Lage sind.

Die kleinen Büchlein (jeweils nur 128 Seiten dick und durch zahlreiche Illustrationen aufgelockert) lesen sich wunderbar leicht und bieten einen anregenden Einblick in eine längst vergangenen Alltagswelt. Kurz gesagt: viel Lesespaß für wenig Geld!


Hans-Dieter Rutsch: „Der Wanderer — Das Leben des Theodor Fontane“

Die vorliegende Fontane-Biografie von Hans-Dieter Rutsch geht einen anderen, aber sehr interessanten Weg als die meisten Biografien, die zum Fontane-Jahr 2019 erschienen sind. „Der Wanderer“ nimmt den Leser mit auf eine Wanderung durch das Leben von Theodor Fontane. Doch was genau soll man darunter verstehen?

Theodor Fontane wird noch heute — wie schon in seinen letzten Lebensjahrzehnten — nicht nur als erfolgreicher Schriftsteller des Bürgerlichen Realismus und als solcher vor allem mit seinen Gesellschaftsromanen aus dem Berlin des 19. Jahrhunderts assoziiert, sondern vor allem als der Autor der berühmten „Wanderungen“ durch die Mark Brandenburg. Zwar ist diese Verkürzung auf das Wanderungen-Projekt nicht grundsätzlich falsch, bleibt aber eben doch eine starke und somit dem vielseitigen Künstler, Journalisten, Kritiker und Menschen Fontane nicht im Ansatz gerecht.


Günther Rüther: „Theodor Fontane — Aufklärer – Kritiker – Schriftsteller“

Wem die im Fontane-Jahr 2019 neu erschienenen „großen“ Biografien zu wuchtig sind und wer es lieber praktisch und kompakt mag, für den ist vielleicht das in der Weimarer Verlagsgesellschaft erschienene Buch von Günther Rüther interessant.

Der Politikwissenschaftler Dr. Günther Rüther, Jahrgang 1948, war bis 2014 Leiter der Abteilung Begabtenförderung und Kultur der Konrad-Adenauer-Stiftung und lehrt als Honorarprofessor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Sein Fontane-Buch ist eine 176 Seiten starke und reich illustrierte Biografie des großen „Aufklärers, Kritikers und Schriftstellers“, wie der Untertitel dieses Buches lautet. Für den Politikwissenschaftler ist naturgemäß die politische Entwicklung Fontanes von besonderem Interesse, und in der Tat war Fontanes politischer Weg alles Andere als gradlinig.


Iwan-Michelangelo D´Aprile: „Fontane — Ein Jahrhundert in Bewegung“

Im Fontane-Jahr 2019 wird der Buchmarkt anlässlich des 200. Geburtstags Theodor Fontanes mit einer ganzen Reihe von Biografien geflutet. Viele sind hervorragend geschrieben, entsprechen den hohen Anforderungen des heutigen Lesepublikums an den Biografen und gewähren einen mehr als umfassenden Einblick in das Leben und Werk Fontanes.

Doch eine Biografie sticht aus der Menge heraus und überstrahlt sie alle: die Biografie des Berliner Literaturwissenschaftlers und Historikers Iwan-Michelangelo D´Aprile. Die Gründe für diese Sonderstellung sind schnell benannt: Zum einen gelingt es D´Aprile, das Leben und Wirken Fontanes nicht einfach nur in chronologischer Abfolge der wichtigsten Stationen isoliert zu beschrieben, sondern es in den tiefgreifenden Umwälzungsprozess einzubetten, in den alle gesellschaftlichen Teilbereiche im Laufe des 19. Jahrhunderts einbezogen waren; zum anderen hebt sich der Autor durch die Schönheit seiner Sprache und die Klarheit seiner Formulierungen vom Gros der anderen Biografen ab.


Hans Dieter Zimmermann: „Theodor Fontane — Der Romancier Preußens“

Fontane ist 2019 in aller Munde: der Grand Seigneur aus Neuruppin, der große Romancier Preußen, einer der bedeutendsten Vertreter des Bürgerlichen Realismus, Zeitzeuge und Akteur des 19. Jahrhunderts, Apotheker und Bestseller-Autor, Revolutionär und Korrespondent im preußischen Staatsdienst, Freidenker und Artikelschreiber für die erzkonservative Kreuz-Zeitung, Frauenversteher und Familienmensch, Europäer und Preuße.

So vielschichtig wie das 19. Jahrhundert, so lebendig und abwechslungsreich verlief auch das Leben von Theodor Fontane. Die biografischen Eckdaten sind weithin bekannt; die Frage ist, was Biografen aus Anlass des 200. Geburtstags des großen Romanciers am Ende des Jahres 2019 daraus machen. Zimmermanns Fontane-Buch ist insofern eine rühmliche Ausnahme, als sich nicht nur mit dem Oberflächlichen begnügt, sondern keine Mühen scheut, tief in den Archiven gräbt und auf diesem Weg zu einem stimmigen Gesamtbild kommt. So präsentiert sich dem Leser eine ungeheuer dichte und komplexe Lebensbeschreibung, die bei allem Detailreichtum nicht erdrückend wird.


 

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