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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Ralf Junkerjürgen: „Jules Verne“

Am: | März 12, 2019

Das bürgerliche 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Industrialisierung und der Wissenschaften. Die damalige rasante Entwicklung der für uns heute so selbstverständlichen Infrastrukturen der kommunalen Versorgung, des Verkehrs- und Kommunikationswesens legte das Fundament für die sie begleitende Industrialisierung und mit ihr der Bildung jener modernen Bürgergesellschaft, wie wir sie mit dem Beginn der Moderne identifizieren.

In Deutschland war es in der Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem die Eisenbahn, die mit ihrem Verkehrsnetz nicht nur eine Vereinheitlichung der Zeit schaffte, sondern eine bislang unvorstellbare Mobilität ermöglichte. Das neue Tempo des Reisens führte bei vielen Zeitgenossen zur Wahrnehmung eines verschwindenden Raumes, und auch das Zeitempfinden war durch die Beschleunigung des Transports einem radikalen Wandel unterworfen.

Die technologischen Entwicklungen, der Siegeszug der Naturwissenschaften und der Maschinen, die völlige Um- und Neugestaltung der Arbeitswelt sowie die nach und nach spürbaren Verbesserungen der Lebensbedingungen führten zu einem Fortschrittsoptimismus, der sich in weiten Bevölkerungsschichten zu einer fundamentalen Sichtweise auf die Welt im Allgemeinen, aber auch auf die eigene Lebenssituation im Besonderen führte.

Um 1830 prägte der französische Philosoph und Gründer der Soziologie, Auguste Comte, für diese grundlegende Denkweise den Begriff des Positivismus. Angesichts der historischen Entwicklung ist es nicht übertrieben, das 19. Jahrhundert auch als das Zeitalter des Positivismus zu bezeichnen.

In dieses Jahrhundert der Wissenschaften und des Fortschritts wird am 8. Februar 1828 in Nantes der kleine Jules Verne als erstes Kind von Pierre und Sophie Verne geboren. Er wird sein Leben, abgesehen von einigen (auch weiteren) Reisen in den Städten Nantes, Paris und Amiens verbringen.

Als Sohn aus einem gutbürgerlichen katholischen Elternhaus studiert er zunächst auf den Wunsch des Vater Jura, entwickelt jedoch schon frühzeitig künstlerische Neigungen und hält sich viel in den literarischen Zirkeln von Paris auf, wo er unter Anderem auch die Bekanntschaft mit Alexandre Dumas macht.

Nach dem Studium arbeitet Verne zunächst als Sekretär am Theater, später sogar als Börsenmakler. Im Umfeld des Theaters entstehen seine ersten literarischen Arbeiten: kleine Stücke und Theaterkritiken. Der Erfolg hält sich jedoch in Grenzen. Erst 1861 kommt es zu einer Begegnung, die für Vernes Leben folgenreich sein wird: Er lernt den jungen Verleger Pierre-Jules Hetzel kennen.

1863 erscheint Fünf Wochen im Ballon. Die Kritik erkennt in diesem Buch eine neue literarische Gattung: den „wissenschaftlichen Roman“. Schon ein Jahr später erfolgt die Buchausgabe von Reise zum Mittelpunkt der Erde. 1866 schließlich kommt es zu jener Vereinbarung zwischen Verne und Hetzel, die beide für mehrere Jahrzehnte sowohl geschäftlich als auch freundschaftlich zusammenschweißen wird:

Man beschließt die Erstellung der Buchreihe der Außergewöhnlichen Reisen, für die Jules Verne fortan exklusiv seine Romane schreiben würde — ein bis zwei pro Jahr. Buchreihen haben für Verlag und Autor den Vorteil, dass sie nach einer gewissen Anzahl von Titeln in der Lage sind, eine dauerhafte Kundschaft zu etablieren, die das Lesepublikum mit jedem neuen Titel der Reihe vergrößert.

In Bezug auf Jules Verne hatte Hetzel den richtigen Riecher: Die Außergewöhnlichen Reisen sollten schnell zum Markenzeichen seines Verlags werden und diesen bis zu seinem Verkauf 1914 prägen. Auf diese Weise entstand eine enge schriftstellerisch-verlegerische Kooperation zwischen Hetzel und Verne, die sich am Ende sogar zwischen den beiden Söhnen fortsetzen sollte.

Der Rest ist Geschichte. Jules Verne war ein fleißiger und systematisch arbeitender Schriftsteller, dem scheinbar nie die Ideen ausgingen. Die Erfindungen und Entdeckungen seines Jahrhunderts boten ihm reichlich Stoff für neue Geschichten. Nicht selten arbeitete er gleichzeitig an mehreren Manuskripten. Somit ist die Liste seiner literarischen Werke beeindruckend.

Nun ist eine neue Biografie von Jules Verne erschienen. Der bekannte Literatur- und Kulturwissenschaftler und Professor für Romanische Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg, Ralf Junkerjürgen, hat sie geschrieben. Ihm gelingt es, ein sehr lebendiges Bild des französischen Urvaters des „wissenschaftlichen Romans“ zu zeichnen.

Der Autor verbindet die wichtigsten Lebensstationen Vernes mit einem intensiven Blick auf sein schriftstellerisches Schaffen und zeigt so, dass beides eng und untrennbar miteinander verbunden ist. Jules Verne hat sein Leben dem Schreiben gewidmet, und nicht selten ging diese Konzentration auf die künstlerische Arbeit zulasten des familiären Lebens.

Exemplarisch zeigt Ralf Junkerjürgen am Leben und Werk Jules Vernes, wie sich im Leben eines Künstlers alles dem künstlerischen Schaffen unterordnet, ja, unterordnen muss, damit ein bedeutendes und so umfangreiches Werk entstehen kann, wie die vielen Romane von Jules Verne.

Die Lektüre dieser leicht und spannend geschriebenen Biografie schließt nicht nur eine Lücke im deutschsprachigen Raum, wo sich noch nicht sehr viele Biografen mit Verne beschäftigt haben, sondern sie wird sicherlich auch viele Leser dazu inspirieren, ihre Jugendlektüre aufzufrischen und den einen oder anderen Roman von Jules Verne wieder einmal zu lesen.

 

 

 

Autor: Ralf Junkerjürgen
Titel: „Jules Verne“
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: wbg Theiss
ISBN-10: 9783806237467
ISBN-13: 978-3806237467
ASIN: 3806237468

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