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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Hanns-Josef Ortheil: „Was ich liebe und was nicht“

Am: | November 10, 2018

Die Bücher von Hanns-Josef Ortheil sind bedingungslos autobiographisch. Das ist einerseits der Grund für ihre starke Authentizität und für eine realistische Abbildung unserer Wirklichkeit; andererseits birgt ein solch konsequent autobiographisches Schreiben auch immer die Gefahr eines selbstgefälligen Tones oder — schlimmer noch — der Langeweile.

Es liegt nicht zuletzt an dem Schreibstil und an seiner individuellen Sicht auf die Dinge, dass Ortheils Bücher gar nicht erst in die Nähe jener Gefahrenzonen geraten, sondern immer unterhaltsam, spannend und auch lehrreich sind.

„Was ich liebe und was nicht“ macht hier keinen Unterschied. Es ist wieder einmal ein durch und durch autobiographischer Text, dieses Mal angelehnt an die Selbstaussagen von Roland Barthes, die jener in seinem Buch „Über mich selbst“ 1975 in essayistischer Form zusammengetragen hat.

Hanns-Josef Ortheil verspürte schon lange den Wunsch, eine ebenso von jeglicher Zensur befreite Form zu wählen, um die eigenen Vorlieben zu beschreiben. Schreibend sich dem Gegenstand seiner Liebe zu nähern, ist das Privileg des Schriftstellers. Und was läge da näher, als den Versuch, den Essay, zu wagen und sich auf die Suche nach den Wurzeln und den Bausteinen der eigenen Identität zu begeben.

Der Leser wird Zeuge dieses spannenden Prozesses der Selbstentdeckung und Selbstoffenbarung, jener zwei Seiten der Beschäftigung mit sich selbst, die unauflöslich miteinander verbunden sind. Nur indem ich mich (mir selbst gegenüber) offenbare und mein Inneres nach außen kehre, bin ich in der Lage, mich selbst zu erkunden und letztlich zu erkennen.

Der Autor hat seine Reise zu sich selbst in einzelne Gruppen unterteilt, wohl auch, um dem Leser etwas mehr an Struktur zu geben, als es Roland Barthes seinerzeit für nötig erachtete. Bei Barthes autobiographischem Schreiben gibt es lediglich die Unterteilung in „Bilder“ und „Fragmente“, wobei sich letzte über gut zweihundert Seiten erstrecken.

Bei Hanns-Josef Ortheil steht das Fragmentarische weniger im Vordergrund, und doch sind seine kurzen Berichte aus der Welt des Schriftstellers und des scharfsinnigen und genauen Beobachters der Welt in ihrer Struktur dem Vorbild von Barthes nicht unähnlich. „Was ich Liebe und was nicht“ ist vor zwei Jahren als Hardcover bei Luchterhand erschienen, jetzt als preisgünstige Taschenbuchausgabe bei btb.

Ortheil schreibt über Reisen, Mahlzeiten, Kino, Musik hören, Kunst, Mode, Sport, Wohnen, Glauben, Philosophieren und natürlich über Lesen, Schreiben und die Schriftstellerei. Bei der Lektüre kommt es zu einer engen Verbindung zwischen Autor und Leser. Er spricht zu uns wie zu einem intimen Freund, wir nehmen unmittelbar teil an seinen Gedanken, seinen Vorlieben und Abneigungen, an seinem Leben.

Es ist neben „Musikmomente“ und „Der Stift und das Papier“ sein vielleicht persönlichstes Buch, in dem er sich dem Leser völlig öffnet. Ein spannendes und intimes Selbstzeugnis, das Dokument einer Recherche nach den eigenen Fundamenten. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und den Leser nicht unberührt lassen wird.

 

 

 

Autor: Hanns-Josef Ortheil
Titel: „Was ich liebe und was nicht“
Taschenbuch: 368 Seiten
Verlag: btb Verlag
ISBN-10: 3442716888
ISBN-13: 978-3442716883

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