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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Else Buschheuer: „Verrückt bleiben! – Mein Leitfaden für freie Radikale”

Am: | März 27, 2012

Die Masse der Menschen führt ein Leben in stiller Verzweiflung.“ Dieser bemerkenswerte Satz stammt von Henry David Thoreau. Vor fast 160 Jahren beschrieb er in „Walden“ sein Einsiedlerleben in einer Blockhütte, in die er sich 1845 in die er sich in die Wälder von Concord (Massachussetts) am Walden Pond zurückzog.

Dieser Satz von den Menschen in stiller Verzweiflung scheint wie auf unsere heutige Zeit zugeschnitten. Wir sind gestresst, gehetzt von einer unbarmherzigen Durchttaktung unseres Alltags, erbarmungslos unterworfen einem Diktat permanenter Verfügbarkeit und der völligen Aufhebung der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben.

Alles Quatsch! Selbst schuld! Dass man nicht gleich zurück in die Wälder ziehen und der Zivilisation entsagen muss, zeigt Else Buschheuer in ihrem gerade soeben erschienenen „Leitfaden für freie Radikale“ mit dem hübschen Titel „Verrückt bleiben!“

Die Berliner Zugabfertiger nölen für gewöhnlich ein genervtes „Z’rrückbleim!“ in die Lautsprecheranlage, wenn’s losgehen soll. In der Verfilmung des Theatererfolgs „Linie 1“ machte Dieter Hildebrandt in bester Sponti-Manier daraus ein sympathisch-antiautoritäres „Verrrrückt bleiben!“, das man auch als programmatische Vorgabe verstehen kann.

Mit „Verrückt bleiben!“ hält der Leser gleich mehrere Bücher in der Hand: eine Autobiografie, den Versuch einer ersten Lebensbilanz, einen Ratgeber zum besseren und selbst bestimmten Leben, vor allem aber ein richtig schönes Buch, das man immer wieder zur Hand nehmen kann, von jetzt an bis zum Tag, an dem man den Deckel von innen schließt.

„Verrückt bleiben!“ kann man schnell und in kurzer Zeit lesen. Dann jedoch merkt man schon bald, wenn man nicht völlig vernagelt ist, wie die Sätze in einem nachklingen und zu arbeiten beginnen. Zu arbeiten beginnen, das heißt, dass sie einen Veränderungsprozess anstoßen, einen zum Nachdenken bringen und das eigene Leben hinterfragen lassen:

Wie lebe ich wirklich? Bin ich glücklich? Bin ich an dem Ort, mit dem Partner, mit der Arbeit, an und mit dem ich wirklich sein möchte? Was ist aus meinen Träumen geworden? Wo will ich hin?

Mir ging es bereits bei der Lektüre so, dass ich mir Fragen stellte. Fragen stellen, das ist eine gefährliche Sache. „Die meisten Menschen führen ein Leben in stiller Verzweiflung“ (s.o.), sie haben längst resigniert, sich mit den bestehenden Lebens-, Arbeits- und Liebesverhältnissen abgefunden und arrangiert.

Doch so leicht sterben die Träume nicht, sie sind immer noch da. Und weil sie noch da sind, machen wir oft uns selbst und den Menschen um uns herum das Leben schwer.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einen Ratgeber schreibe!“ sagt Else Buschheuer in unserem Gespräch. Doch anders als die vielen Beziehungs- und Psycho-Ratgeber, die es regalweise in den Buchhandlungen gibt, ist ihr Buch ein wirklich praxiserprobter Leitfaden zu einem besseren Leben.

Else Buschheuer hat bereits Einiges erlebt. Sie war die „Wetterfee“ bei Pro7 und hat damit ihre frühen schriftstellerischen Arbeiten finanziert, dann kam „Ruf! Mich! An!“, ihr frecher Debütroman, der 2000 ein Riesenerfolg wurde und jetzt gerade wieder frisch aufgelegt wird, sie ist nach New York gezogen und hat für deutsche Zeitschriften Kolumnen verfasst, schreibt für die Süddeutsche, Das Magazin und den Spiegel; sie moderiert einmal im Monat das Kino-Magazin „Kino Royal“ beim MDR, sie war in Kalkutta bei Mutter Theresa und hat Leprakranke gepflegt, sie war zweimal verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Sie wechselt regelmäßig ihr Outfit und ihren Wohnsitz, wenn sie das Gefühl hat angekommen zu sein, zieht es sie auch schon wieder fort.

Angefangen hat diese Unruhe eigentlich schon in früher Jugend. Mit 16 stößt sie auf Else Lasker-Schüler, die radikale Malerin und Schriftstellerin des frühen 20. Jahrhunderts. Das Mädchen, das eigentlich Sabine Knoll heißt und 1965 im sächsischen Städtchen Eilenburg zur Welt kam, färbt sich die Haare schwarz, schneidet sie kurz und nennt sich fortan Else. Mit 20 findet sie eine kooperative Standesbeamtin, die ihr eine neue Geburtsurkunde ausstellt. Seitdem steht in ihrem Pass der Vorname Else.

Erfinde Dich selbst! So könnte auch die Aufforderung an den Leser lauten, den Else Buschheuer während ihres ganzen bisherigen Lebens selbst beherzigte. Wir machen uns viel zu viele Gedanken darum, was die Anderen denken, und achten viel zu wenig darauf, was wir selbst gern tun möchten.

Auch wenn das alles natürlich stimmt, so ist die Gefahr groß, dass solche Sätze wie inhaltslose Allgemeinplätze klingen. Doch in Else Buschheuers neuem Buch ist das nie der Fall. Zu sehr ist der gute Rat mit den eigenen Erfahrungen sowie mit einer Vielzahl von griffigen Beispielen und hübschen Zitaten verwoben.

„Verrückt bleiben!“ liest sich wie eine Anleitung zu einem besseren Leben, die von jemandem geschrieben wurde, der selbst besser lebt.

Gerade bei philosophischen Themen und wenn es ans Eingemachte geht (Wie lebe ich? Wie nutze ich meine Zeit? Wie stehe ich zu meinen Bedürfnissen nach Wohnung, Essen, Schlafen, Sex? Welche Arbeit halte ich für sinnvoll? Wie gehe ich mit Anderen um? Wie mit mir selbst?) neigen Autoren dazu, mit ihrem Wissen zu prahlen und den großen Experten-Larry raushängen zu lassen. Was bei aller fachlichen Finesse fast immer zu kurz kommt, ist die eigene Authentizität.

Ganz anders bei Frau Buschheuer. Hier spürt der Leser von der ersten Zeile an, dass es der Autorin überhaupt nicht um den Aufbau eines hierarchischen Verhältnisses zwischen Autorin und Leser(in) geht – hier oben die allwissende Autorin, da unten die (noch) dumme Leserschaft. – Nein, Quatsch! Else Buschheuer führt einen Dialog mit dem Leser wie eine gute Freundin, mit der man nach dem zweiten oder dritten Glas Wein richtig gut ins Gespräch kommt und sich über die „großen Fragen“ unterhält.

Anhand der Erlebnisse, die bunt und leicht in den Text eingestreut werden, erzählt die Autorin, wie sie sich einen Lebensraum geschaffen hat, an dem sie atmen und die Dinge selbst gestalten kann. Wer sich daran stört, hat ein Problem, doch das ist seines.

Das klingt zunächst furchtbar egozentrisch und asozial: Ich lebe, wie es mir selbst gefällt, egal was die Anderen sagen oder ob sie mich für verrückt halten.

Wenn wir jedoch nur einen Schritt weiter denken und nicht immer gleich „socially correct“ sein wollen, wird schnell klar, dass ein selbst bestimmtes und auf eigenen Grundsätzen basierendes Leben im Grunde viel gesünder ist als jede Überanpassung an ein sozial sanktioniertes, aber trauriges Leben als Rädchen im Mahlwerk unserer Gesellschaft.

Auf die Frage angesprochen, wo denn bei all der Selbstverwirklichung im Anderssein noch die soziale Komponente, das Engagement für Umwelt, Gesellschaft und Zukunft bliebe, meint Else Buschheuer, dass beide Seiten natürlich zusammen gehören. Ihr käme es nur seltsam vor, dem Leser in diesem Buch auch noch gute Ratschläge zu einem ethisch korrekten Umweltverhalten zu geben. Auch sie trenne ihren Müll, verwende Biostrom und fahre mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Aber in dieses Buch gehöre das wirklich nicht rein. Hier ginge es um den Aufbruch zu einer selbst bestimmten Lebensführung.

Man muss sich natürlich trauen. Selberdenken ist die erste und oberste Aufgabe eines Verrückten. Else Buschheuer liebt den Romanhelden „März“ des gleichnamigen Romans von Heiner Kipphardt. „Den kennt heute leider keiner mehr, dabei ist das solch ein schönes Buch!“ schwärmt sie.

Den Einwand, dass die meisten Menschen sich aus ihren Beziehungen, Arbeits- und Lebensverhältnissen nicht selbst befreien könnten, weist sie strikt zurück.

Es gibt immer einen Weg.“ Natürlich ist es besser, sich zu trennen, anstatt sich wegen der Kinder 18 Jahre lang die Köpfe einzuhauen, und den Arbeitsplatz oder den Beruf zu wechseln, wenn man keinen Ausweg aus der Tretmühle sieht. Man muss sich trauen und den ersten Schritt gehen. Auch wenn man kein Licht am Ende des Tunnels sieht, muss man daran glauben, dass es einen Ausgang gibt. Alles Andere ist dann Sache der eigenen Träume und des eigenen Verhaltens.

Die positiven Beispiele aus Else Buschheuers Leben und ihre grundsätzlich neugierige und optimistische Einstellung zum Leben werden auch den ängstlicheren Lesern eine Menge Mut machen und ihnen die Freude am Experiment nahe bringen.

Gestalten Sie Ihr Leben! Seien Sie kein Frosch, sondern schaffen Sie klare Verhältnisse, werden Sie sich selbst klar über ihre Wünsche, Träume, Ziele.

Probieren Sie Dinge aus! Machen Sie etwas Verrücktes und wenn es Ihnen Spaß macht, machen Sie es weiter. Denken Sie nicht zu viel über Ihre eigenen Makel nach, sondern kultivieren Sie Ihre Macken! Ihre Eigenheiten machen Sie zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit.

Man kann in unserer durchgestylten Welt nur Spuren hinterlassen, wenn man den Hauptweg, auf dem alle entlang latschen, verlässt. Seien Sie anders, seien Sie Sie selbst!

So paradox es klingt: Um gesund zu bleiben, muss man verrückt werden. Denn was wir als „verrückt“ bezeichnen, ist nur das Leben abseits der Norm und das Laufen gegen den Strom. Wer sich nicht von Anderen bestimmen und durch gesellschaftliche Konformitäten einengen lässt, wer den Traum von einem selbst bestimmten und aufregenden Leben und noch eigene Träume und Ideen hat, gilt als verrückt.

Aber was wäre normaler, als verrückt zu werden?! Wie man einen solchen Zustand ganz leicht erreichen und ein glückliches und unabhängiges Leben führen kann, zeigt Else Buschheuer durch ihr eigenes Leben und zum Nachlesen in ihrem neuen Buch „Verrückt bleiben!“

Das vollständige Interview mit Else Buschheuer auf der Leipziger Buchmesse 2012 finden Sie hier.

Autor: Else Buschheuer
Titel: „Verrückt bleiben! – Mein Leitfaden für freie Radikale“
Taschenbuch: 188 Seiten
Verlag: Aufbau Verlag
ISBN-10: 3351027435
ISBN-13: 978-3351027438

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