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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Thomas Hettche: „Unsere leeren Herzen — Über Literatur“

Am: | November 28, 2017

Dieses Buch wirkt seltsam aus der Zeit gefallen. Das ist bitteschön als ein großes Lob zu verstehen! Denn die hierin versammelten Texte sind in der Lage, den Leser mit einem neuen Blick auszurüsten, wenn es um die Beschäftigung mit Literatur geht. Doch worum geht es eigentlich in diesem Buch?

Thomas Hettches Essays über Literatur sind intellektuelle Ausflüge in die Welt der Sprache, der Fiktionen und des Schreibens. Ihr Autor ist bekannt für seine schönen Geschichten, interessanten Sujets und für seine Fähigkeit, den Figuren seiner Texte Leben einzuhauchen, indem er ihnen eine integrale Ambivalenz zugesteht, sie über das profane Schwarz-Weiß platter Charaktere hinaushebt.

In ähnlicher Weise wie seine literarischen Texte zeichnen sich auch seine literarischen Essays durch eine heute selten gewordene Tiefgründigkeit und ubiquitäre Fähigkeit zur Reflexion aus. Hier schreibt jemand über Literatur, der sein Fach sowohl aus der Praxis jahrzehntelanger Erfahrung als auch mithilfe eines soliden theoretischen Wissens reflektieren kann.

Die Sprache und der Stil dieser Essays wirken sehr elegant und distinguiert, vielleicht sogar etwas altmodisch, doch eher ist es eine Zeitlosigkeit des Schönen, welche dem Leser hier auf 200 Seiten begegnet. Der Bogen der behandelten Texte ist weit gespannt, und seine „Diagnosen einer krisengeschüttelten, entzauberten Moderne“ sind immer auch reflexive und intensive Auseinandersetzungen mit dem eigenen Bewusstsein und Denken. Dabei kommt auch das Erzählen niemals zu kurz, sondern wird in jener spannenden Mischform eines erzählerischen Essays bzw. einer essayistischen Erzählung, die für Thomas Hettches Texte charakteristisch ist, integriert.

Mit Unsere leeren Herzen schreibt Thomas Hettche weiter an seiner intellektuellen Autobiographie, die er mit Fahrtenbuch (2007) und Totenberg (2012) begonnen hat. Es ist natürlich von Vorteil, aber nicht zwingend erforderlich, diese beiden Vorgänger zu kennen. Man kann Unsere leeren Herzen ebenso als Solitär genießen und von Hettches Auseinandersetzungen mit der Literatur und dem Schreiben profitieren.

Was uns in diesem Buch begegnet, ist keine kulturpessimistische Analyse unserer bewegten Zeiten, sondern eine sachliche und subjektive Bestandsaufnahme des Allgemeinzustandes unserer (literarischen) Gegenwart. Gleichwohl sind Rückgriffe auf historische Vorlagen und die Beschäftigung mit Schriftsteller-Kollegen aus den vergangenen Jahrhunderten für diese Essays eher die Regel als die Ausnahme. Das macht diese Lektüre umso faszinierender, weil jeder Text zu einer neuen Reise in eine literarische Region oder Zeit wird, deren Ende bis zum Schluss ergebnisoffen bleibt.

 

 

Autor: Thomas Hettche
Titel: „Unsere leeren Herzen — Über Literatur“
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
ISBN-10: 3462050680
ISBN-13: 978-3462050684

 

 

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