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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Karl Kraus: “Ausgewählte Werke” in vier Bänden (Hg.: Christian Wagenknecht)

Am: | Januar 24, 2017

Karl Kraus wurde 1874 Jičín, einer Kleinstadt im heutigen Tschechien, geboren und starb 1936 in Wien. Von 1899 bis 1933 gab er die Zeitschrift „Die Fackel“ heraus, deren alleiniger Autor er die meiste Zeit war; nur vor 1912 gab es noch andere Autoren, wie zum Beispiel Peter Altenberg, Houston Stewart Chamberlain, Egon Friedell, Else Lasker-Schüler, Adolf Loos und Frank Wedekind.

„Die Fackel“ darf zurecht als das Hauptwerk von Karl Kraus angesehen werden. Doch obwohl die Zeitschrift insgesamt mehr als 20.000 Seiten umfasst, ist Kraus´ Werk damit noch nicht hinreichend umrissen. Zahlreiche Theaterstücke, Dramen, Gedichte, Aphorismen-Sammlungen und weitere Texte zeichnen Karl Kraus als einen Ausnahme-Schriftsteller aus. Betrachtet man die schier unglaubliche Produktivität von Karl Kraus, so kommt man zu der Ansicht, dass der Mann sein Leben vorwiegend schreibend verbracht haben muss.

Wer viel zu sagen hat, erzeugt auch schnell Widerspruch. Karl Kraus hatte nicht viele Freunde, dafür jedoch umso mehr Feinde. Stefan Zweig bezeichnete Kraus in seinen Memoiren „Die Welt von Gestern“ als den „Meister des giftigen Spotts“. Ein Sprach-Erzieher ersten Ranges, war Karl Kraus stets darauf bedacht, der Presse, die er abfällig als „Journaille“ bezeichnete, die Leviten zu lesen.

Peter Altenberg, Else Lasker-Schüler und Georg Trakl wurden von Kraus gefördert, aber die Liste seiner Feinde ist deutlich länger. Er legte sich mit vielen Zeitgenossen an: hier sind exemplarisch Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Maximilian Harden, Sigmund Freud und Alfred Kerr zu nennen. Allen voran bekam Alfred Kerr, der berühmte Theaterkritiker der Weimarer Zeit, seine literarischen Giftspritzen zu spüren.

Die vorliegende vierbändige Auswahl aus den Werken von Karl Kraus, die jetzt bei Lambert Schneider erschienen ist, stellt sich die schwere Aufgabe, aus dem riesigen Text-Berg, den der sprachbesessene Autor im Laufe seines Lebens geschaffen hat, eine repräsentative Auswahl zu treffen.

So werden im ersten Band über den Überschriften „Sittlichkeit und Kriminalität“ sowie „Die chinesische Mauer“ Texte aus der „Fackel“ versammelt, die das ganze Spektrum dieser Zeitschrift abbilden soll, von den Glossen und Randnotizen bis zu den großen Kritiken und Essays. Im zweiten Band („Literatur und Lüge“, „Untergang der Welt durch schwarze Magie“) setzt sich Karl Kraus explizit mit seinen literarischen Zeitgenossen auseinander und beschwört in zahlreichen zeitkritischen Texten den Untergang der alten Welt.

Der dritte Band ist dem „Weltgericht“ gewidmet, den Texten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und der Zeit danach. Im vierten und letzten Band sind nach zahlreichen wunderbaren Sprachglossen schließlich – wenigstens auszugsweise – zwei der wichtigsten Texte von Karl Kraus versammelt: das Bühnenstück „Die letzten Tage der Menschheit“ und „Dritte Walpurgisnacht“, jene erst nach dem Ende des zweiten Weltkriegs postum veröffentlichte Anklageschrift gegen den Nationalsozialismus.

Alfred Polgar nannte Kraus in seinem Nachruf einen „Hüter im Bezirk des Geistes“; er war jene kritische Instanz, die die literarische Welt seiner Zeit stets im Blick hatte und keinen Moment aus den Augen ließ. Wie eine Gouvernante wachte er darüber, dass die Sprache sauber und rein, die Gedanken klar blieben und die Ideen nicht verwässert werden. Sein Sprachwitz und die Treffsicherheit seiner Aphorismen und Bonmots machen Karl Kraus auch heute noch zu einer zeitlosen Instanz, wenn es um den kunstvollen und genauen Einsatz der deutschen Sprache geht.

„Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen?“ fragte er einmal in der „Fackel“. – Diese Frage sollte man sich jederzeit stellen, wenn man sich in einem der überfüllten Paläste der großen Buchhandelsketten von zigtausend uninteressanten Neuerscheinungen umzingelt sieht! – Aber in Bezug auf Karl Kraus selbst stellt sich diese Frage nicht: Hier gibt es so viel zu lesen und zu entdecken, dass der eine oder die andere vielleicht sogar durch diese schön gestaltete und gelungene Auswahl aus dem Werk von Karl Kraus dazu verführt wird, sich über diese vier Bände hinaus mit der „Fackel“ und anderen Schriften von ihm zu befassen.

 

Autor: Karl Kraus
Titel: “Ausgewählte Werke” in vier Bänden (Hg.: Christian Wagenknecht)
Gebundene Ausgabe: 2400 Seiten
Verlag: Lambert Schneider
ISBN-10: 3650401746
ISBN-13: 978-3650401748

 

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