Uwe Krüger: „Mainstream — Warum wir den Medien nicht mehr trauen“
Am: | März 25, 2016
Glauben Sie alles, was Sie lesen? Was im Fernsehen gesendet wird? Was im Internet steht? In der heutigen Zeit ist mehr denn je die eigene Medienkompetenz gefragt. Es wäre naiv zu glauben, dass die Medien nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit verbreiten. Das war eigentlich schon immer so, aber heutzutage scheint sich die Medienlandschaft in einem Transformationsprozess zu befinden, der zu einem medialen Spektrum führt, dessen informative Inhalte seltsam nivelliert zu sein scheinen. Woher das kommt und wie man damit umzugehen hat, ist unter Anderem das Thema dieses interessanten Buches von Uwe Krüger.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Journalistik an der Universität Leipzig. Vor einigen Jahren hat sein Buch „Meinungsmacht“ über die Alpha-Journalisten in Deutschland zu einer breiten öffentlichen Diskussion geführt. Jetzt beschäftigt er sich mit der Glaubwürdigkeit der Massenmedien und dem Phänomen des Mainstreams.
Zu keiner zeit war der Journalisten-Beruf leicht. Immer schon wurde auf den Journalisten ein mehr oder weniger starker Druck ausgeübt, um seine Beiträge in eine Form zu bringen, die der politischen Tendenz des jeweiligen Mediums entsprach. Dieser Druck ist in Zeiten der überall wegbrechenden Medien-Anbieter, der Zentralisierung von Nachrichtenströmen und der omnipräsenten Konkurrenz durch den Online-Journalismus nicht weniger geworden. Sein Ergebnis ist ein erhöhter Konformitätsdruck. Mit anderen Worten: Wer als Journalist bestehen will, muss entsprechend optimal angepasste Inhalte liefern.
Es ist die alte Formel der kapitalistischen Warenwirtschaft: Nur die beste Ware kann einen entsprechend guten Preis erzielen. Im Verdrängungswettbewerb der journalistischen Futterplätze gilt demnach nicht mehr das Qualitätsprinzip, sondern das Prinzip der besten Verwertbarkeit des gelieferten „Contents“. Aus dieser marktwirtschaftlichen Perspektive passt eine differenzierte oder sogar vom Mainstream abweichende Sicht auf die Dinge nicht mehr ins Bild. Erwünscht ist, was nahtlos in die Verwertungskette passt; schwierige Formate und Differenzierungen sind, außer an ausgewiesenen Stellen (Kommentar, Glosse), unerwünscht.
Auf diese Weise erhalten wir auf allen Kanälen und in allen Medien nahezu dieselben Informationen mit jeweils nur marginalen Varianzen in Formulierung oder Anordnung der Informationsinhalte. Somit kommt allgemein das Gefühl auf, dass alle immer nur dasselbe wiederkäuen. Meinungsverschiedenheiten, Grabenkämpfe und journalistische Federkriege sind in dieser Medienlandschaft selten geworden.
Wäre diese Tatsache nicht alleine schon eines Lamentos würdig, wird die Sache aber noch schlimmer, wenn es um die Glaubwürdigkeit der Medien geht. Nicht erst seit den angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen, die als Anlass zum Ölkrieg gegen den Irak dienten, wissen wir, dass die Medien sich zum willigen Handlanger der Mächtigen machen lassen. Das Problem liegt oftmals nicht in der bösen Absicht, sondern in den technischen Möglichkeiten einer plausiblen Präsentation der scheinbar wahren Informationen: Hier ein bisschen Photoshop, dort ein paar Internet-Feeds und Twitter-Postings, und schon hat sich eine Falsch-Information in den Medien etabliert, die sich rasend schnell ausbreiten kann und auf diese Weise allein durch ihre massenhafte Verbreitung an Plausibilität zunimmt.
Der Berufsalltag des Journalisten ist von einem unglaublichen Zeitdruck bestimmt. „Mainstream schlägt Relevanz, Beschleunigung schlägt Recherche.“ schreibt Krüger in seinem spannenden Medien-Report. Wenn sowieso überall mehr oder weniger dieselben Nachrichten gesendet oder gedruckt werden, dann wird das Tempo zum Alleinstellungsmerkmal: Wer die neue Nachricht als Erster bringt, ist der Gewinner des täglichen Wettrennens. Auf diese Weise können sich schnell Falschmeldungen einschleichen, die dann als „Top News“ zum großen Aufmacher werden.
Die dadurch entstehenden Schäden sind nicht nur auf den jeweiligen Tag beschränkt, sondern haben das Potenzial einer langfristigen Schädigung des journalistischen Ansehens. Mit anderen Worten: Die Leser und Zuschauer vertrauen den Medien und ihrer journalistischen Arbeit immer weniger. Diese Tendenz öffnet letztlich sogar jenen politischen Kräften Tür und Tor, die wie Pegida & Co. von einer „Lügenpresse“ sprechen…
Krügers Bericht aus der Medienwelt lässt aufhorchen. Die von ihm diagnostizierte Vertrauenskrise in Bezug auf die Medien hat unmittelbare Auswirkungen auf die politische Landschaft in Deutschland. Wenn die Medien nicht mehr das Sprachrohr eines differenzierten Meinungsspektrums in der Bevölkerung sein können oder wollen, so befördert eine solche mediale Verarmung den politischen Extremismus. Dieser lockt mit eindeutigen und simplen Inhalten in Freund-Feind-Manier und liefert nicht selten diametrale Interpretationsangebote zum gängigen Mainstream.
Der Konsum solch extremer medialer Positionen mag manchen Zeitgenossen als Distinktionsmittel dienen, um sich bewusst vom Mainstream, der öffentlichen Meinung, abzugrenzen. Es kann aber nicht Sinn und Zweck einer Mainstream-Presse sein, extreme Inhalte zu befördern. Der Autor sucht in seiner Analyse der deutschen Medienlandschaft und ihrer Glaubwürdigkeit immer auch den Blick aufs Ganze. Der abgeflachte Mainstream stellt auch insofern eine potenzielle Gefahr für die Demokratie dar:
Wenn immer mehr Menschen das Gefühl haben, nur noch eine Einheits-Meinung übergestülpt und das Weltgeschehen nicht mehr differenziert dargestellt zu bekommen, dann sind prägnante Alternativ-Angebote und Medienformate, die „Klartext“ reden, plötzlich attraktiv. Wenn diese Alternativ-Medien sich jedoch an den Extremen des politischen Spektrums befinden, wird deren „Informationspolitik“ zu einem echten Problem.
Deshalb braucht es wieder einen qualitativ hochwertigen Journalismus, der nicht nur den Mainstream beliefert, sondern in der Lage ist, die Nachrichteninhalte auch in ihrer Komplexität darzustellen. Dazu brauchen wir aber auch wieder Arbeitsbedingungen, die es den Journalisten ermöglichen, ausführlich zu recherchieren und wirklich alle Fakten nicht nur auf ihre Stimmigkeit, sondern auf ihren Wahrheitsgehalt hin abzuklopfen. Wir brauche also wieder eine Presse, die Qualitätsjournalismus zu liefern in der Lage und willens ist.
Vielleicht ist das ein Hirngespinst, eine unrealistische Forderung im Angesicht des globalen Kapitalismus? Vielleicht ist es aber auch der einzige Ausweg aus dem aktuellen Dilemma einer um sich greifenden Politikverdrossenheit und der allgemeinen Ratlosigkeit in weiten Teilen der Gesellschaft? Das politische Klima ist rauer geworden, die Anforderungen an den Einzelnen, sich politisch eindeutig zu positionieren, größer. Will man diesen Herausforderungen, die an unsere Gesellschaft gestellt werden, begegnen, braucht man eine kompetente und differenzierte Informationsgrundlage, um in einen sinnvollen politischen Diskurs einzutreten. Es wird die Aufgabe von Presse und Medien sein, diese Informationen in all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu liefern und für die Menschen aufzubereiten, indem sie sie in einen Sinnzusammenhang bringen.
Autor: Uwe Krüger
Titel: „Mainstream — Warum wir den Medien nicht mehr trauen“
Taschenbuch: 170 Seiten
Verlag: C.H.Beck
ISBN-10: 3406688519
ISBN-13: 978-3406688515
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