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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Axel Brüggemann: „Wir holen uns die Politik zurück!“

Am: | Mai 21, 2009

Axel Brüggemann: "Wir holen uns die Politik zurück!"Zwei Themen bestimmen im Frühling die Neuerscheinungen unter den politischen Sachbüchern ganz besonders, die aktuelle globale Wirtschaftskrise und das Superwahljahr 2009 in Deutschland.

Matthias Machnig und Joachim Raschke haben in ihrem Buch „Wohin steuert Deutschland?“ eine umfangreiche und hoch qualifizierte Diskussionsgrundlage zur Lage der Nation geliefert. Hans Herbert von Arnim („Volksparteien ohne Volk“) kritisiert das veraltete und nicht wirklich demokratische Wahlrecht der Bundesrepublik und zeigt anhand vieler Beispiele, wie die verkrusteten Strukturen in der „politischen Klasse“ zu einem realen Demokratieabbau bei gleichzeitiger Selbstbedienungs-Mentalität der herrschenden Klasse führt. Hans-Martin Tillack geht in seinem Buch („Die korrupte Republik“) noch einen Schritt weiter und zeigt anhand seiner Korruptionsrecherchen, an welch bedenkenswertem Scheidepunkt unsere „korrupte Republik“ angelangt zu sein scheint.

Axel Brüggemanns Buch „Wir holen uns die Politik zurück!“ beleuchtet das Thema Wahlen von der Wählerseite aus. Die allgemeine Politik-Verdrossenheit eines großen Teils der Bevölkerung hat zu einer seltsamen Entpolitisierung der Gesellschaft geführt. Die Wähler sind müde und ratlos geworden.

Der Autor will gegen diesen Müdigkeitstrend angehen und fordert zum Handeln auf. Nicht-Wählen ist nach seiner Meinung nicht die richtige Reaktion auf die abgekoppelte Politik der Berliner Republik. Wer nicht wählen geht, kommt in der Statistik nicht vor. Sein Votum bleibt also unberücksichtigt und dient im Zweifelsfall sogar eher den radikalen Parteien am linken und rechten äußeren Ende des politischen Spektrums. Wer das nicht will, sollte wählen gehen.

Doch wen soll man wählen, wenn man der politischen Klasse in toto nichts mehr zutraut (oder eben alles zutraut, auch jede Schandtat) oder der Meinung ist, im Rahmen parlamentarisch-demokratischer Strukturen gar nicht mehr als plebeszitäres Korrektiv Einfluss auf die Politiker nehmen zu können?

Die Politik bemüht sich ja scheinbar wieder um mehr Bürgernähe. Jüngstes Beispiel dafür war das vor kurzem bei RTL ausgestrahlte, erste „Townhall Meeting“, in dem Bundeskanzlerin Angela Merkel die Fragen von Bürgern live beantwortete. (Das Ganze kann auch nachträglich auf der Homepage der Bundesregierung angeschaut werden.) Frau Merkel ist ein Profi, und ihre Art, Fragen zu beantworten, ist eine perfektes Beispiel dafür, wie Politiker Fragen beantworten, und es macht exemplarisch das ganze Ausmaß des Problems deutlich:

In asiatischen Kampftechniken ist es die hohe Kunst, die Kraft eines Angreifers sanft aufzufangen und ebendiese Kraft mit Schwung an den Angreifer selbst wieder zurück zu geben. Genau diese Technik beherrscht unsere Bundeskanzlerin auf rhetorischem Gebiet nahezu in Perfektion. Diese Unberührbarkeit der politischen Klasse und jene freundliche Art, mit vielen Worten absolut nichts Verbindliches zu sagen, sind es die die Kluft zwischen Politik und Gesellschaft immer größer werden lässt. Jene Kluft macht den Einzelnen mutlos und ist für die Stabilität unseres demokratischen Systems auf Dauer gefährlicher als jede heftige politische Auseinandersetzung und offen kritische Disput.

Axel Brüggemann ist freier Journalist und lebt in Berlin. In seinem Buch „Wir holen uns die Politik zurück!“ nimmt er die aktuelle politische Lage im Superwahljahr 2009 unter die Lupe. Brüggemann konstatiert, dass die öffentliche Diskussion über die allgemeine Politik-Verdrossenheit durch die Vehemenz der Weltwirtschafts- und Finanzkrise von der Tagesordnung verschwunden ist. Damit ist jedoch das Problem der gefrusteten Wähler nicht von selbst verschwunden; es ist immer noch da, vielleicht stärker als jemals zuvor.

Nur durch einen radikalen Schritt kann die politische Diskussion um Wähler, Politiker, Macht und Wählerauftrag wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden: durch massives Ungültig-Wählen.

Wenn eine signifikante Anzahl von Wählern bewusst „falsche“ Stimmzettel abgibt, ist das nicht dasselbe wie eine Totalverweigerung des Urnengangs. „Falsch-Wähler“ werden ein öffentlicher Teil des Wahlergebnisses und ein statistisch quantifizierbarer Faktor des Wähler-Votums sein.

„Deutschland hat gewählt!“ wird es an den vielen Wahlabenden des Superwahljahres 2009 heißen. „Davon gaben x % der Wähler ungültige Stimmzettel ab.“ Diese über das ganze Jahr verteilten Nachrichten könnten, so Brüggemann, eine öffentliche, politische Diskussion anstoßen, in der es endlich um grundlegende Fragen gehen kann: um Parteiprogramme und Koalitionsverhandlungen, um fehlende Bürgernähe und um die Chancen und Risiken des parlamentarischen Mandats der Abgeordneten im Vergleich zu einem imperatien Direktmandat einer plebeszitären Demokratie.

Unsere Republik und unser Grundgesetz werden 60 Jahre alt, und die Alterserscheinungen der Demokratie werden vielleicht gerade jetzt, im Krisenjahr 2009, besonders deutlich. Die „Krise als Chance“ zu sehen, das kann nur heißen, einen öffentlichen Diskurs anzustoßen, um den erstarrten demokratischen Strukturen unserer Politik wieder neues Leben einzuhauchen. Wie man das anstellen könnte, verrät Axel Brüggemann in seinem aktuellen Buch und proklamiert: „Wir holen uns die Politik zurück!“

 

Autor: Axel Brüggemann
Titel: „Wir holen uns die Politik zurück“
Broschiert: 192 Seiten
Verlag: Eichborn
ISBN: 3821857080
EAN: 978-3821857084

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