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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Matthias Machnig, Joachim Raschke (Hg.): „Wohin steuert Deutschland?“

Am: | Mai 4, 2009

Matthias Machnig, Joachim Raschke (Hg.): "Wohin steuert Deutschland?"Am 27. September 2009 ist Bundestagswahl. Wie aber wird diese Wahl aussehen? Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland steht eine Große Koalition zur Wiederwahl.

Damit nicht genug: Im Superwahljahr 2009 stehen insgesamt 16 Wahlen an: Kommunalwahlen, Landtagswahlen, die Wahl des Bundespräsidenten, des Europa-Parlaments und auch die Wahl zum 17. Bundestag. Wie positionieren sich die politischen Parteien im Wahlkampf, und was für eine Wahl wird die
Bundestagswahl eigentlich werden?

Richtungswahl, Kompetenzwahl, Verantwortungswahl, Lagerwahl,… – Nie schien die politische und wirtschaftliche Lage in Deutschland so unübersichtlich und offen; nie hatte die Politik weniger Patentrezepte, die schnell aus dem Ärmel des Armani-Sakkos zu schütteln wären.

Die beiden Herausgeber der Buches „Wohin steuert Deutschland“ haben im Vorlauf zum Wahljahr 2009 eine Mammutaufgabe vollbracht: Der handliche Reader aus dem Verlag Hoffmann & Campe versammelt auf über 350 Seiten die Beiträge von 32 Experten auf dem Gebiet der Politik: Politologen, Soziologen, Marktforscher, Politiker, Journalisten und Publizisten geben ihre ganz persönliche und sachkundige Einschätzung zur Lage der Nation im Allgemeinen und zum wahrscheinlichen Ablauf des Bundestagswahlkampfes und Ausgang der Bundestagswahl im Besonderen.

Das politische und gesellschaftliche Klima in Deutschland ist aktuell geprägt von einer Stimmung der Orientierungslosigkeit. Wohin geht die Reise? Wie kann Deutschland angesichts der weltweiten wirtschaftlichen Krise handlungsfähig bleiben und die damit verbundenen immensen Aufgaben bewältigen?

Hat die Große Koalition ihre Arbeit erledigt? Und ist es überhaupt noch verantwortbar, in diesen Zeiten großer nationaler wie internationaler Herausforderungen einen Wahlkampf klassischer Art zu führen?

„Wie vollzieht man eine Scheidung bei gemeinsamem Sorgepflicht für das Land und das mitten in der Krise?“ fragen die Herausgeber und charakterisieren damit punktgenau die Situation, in der sich die Große Koalition vor dem Wahlkampf befindet. Darf es eigentlich noch um Partei-Interessen und um die Frage „Wer ist besser?“ gehen, wenn das Schicksal des Landes von ganz anderen Fragen abhängt?

Entscheidend für die Wahl des neuen Bundestages wird sein, wie viel Lösungskompetenz die Parteien bis zum 27. September zeigen. Die Wahrnehmung der Bürger hat sich verändert. Die Parteienlandschaft hat sich verändert. Die großen Volksparteien verdienen ihren Namen immer weniger. Parteien mit einem Wahlanteil von 35 Prozent bei einem Nichtwähleranteil von 22 Prozent (2005) können nicht mehr als Volks-Parteien bezeichnet werden.

Ein weiterer Punkt ist Politikverdrossenheit. Schaut man sich die Programme der großen Parteien an, so steht das Eine drin. Das Andere wird in der Tagespolitik entschieden, und eine dritte Position wird gegenüber der Presse vertreten. Es ist das alte Spiel, und die Bürger haben es längst durchschaut, sind jedoch der Spielchen müde geworden. Die Unehrlichkeit, das Lamentieren und Lavieren der Politiker, die tägliche Lobby-Arbeit und kaum versteckte Interessenvertretung – all dies wird von der Mehrheit der Bürger als „typisch Politik“ angeprangert, aber blieb bislang unterm Strich ohne Folgen, weil die allgemeine Lethargie über die Empörung siegte. Es liegt auch an einem schleichenden Gewöhnungsprozess. Politik „ist eben so“.

Ganz anders und gefährlich wird es jedoch jetzt in den Zeiten der Krise, die jeden auf die eine oder andere Weise betrifft oder zukünftig betreffen wird. Unsere Gesellschaft ist schon längst dabei, sich zu spalten: das abgehängte Prekariat und die Hartz-IV-Welt am einen Ende des Spektrums und die ebenfalls immer noch wachsende Oberklasse der Gesellschaft mit den sehr gut Verdienenden am anderen Ende. Der Mittelstand dünnt aus und wird sich eher nach unten orientieren müssen in Richtung Verarmung und das massenhaft. Je größer der soziale Graben zwischen Arm und Reich wird, desto radikaler wird die politische Manifestation des eigenen Standpunktes. Der Aufstieg des Linkspartei und die Entstehung eines dauerhaften 5-Parteien-Systems in Deutschland sind klare Anzeichen für diese Entwicklung.

In „Wohin steuert Deutschland?“ zeigen die Autoren in klugen und gut verständlichen Beiträgen, wie facettenreich die politische Landschaft in Deutschland immer noch (oder vielleicht gerade jetzt?) ist. Das politische Klima ist eindeutig rauer geworden, und die ökonomischen Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise haben den positiven Effekt, dass die üblichen Grabenkämpfe der Parteien zurück gestellt werden zugunsten einer pragmatischen Sachpolitik. Das tut einerseits den Parteien gut und hebt das Ansehen in der Bevölkerung; es macht jedoch andererseits die Parteienlandschaft unübersichtlich und die Parteien für den Bürger schwer unterscheidbar. Das ist in Anbetracht einer bevorstehenden Bundestagswahl eine bisher nie da gewesene und gefährliche Situation.

Die Große Koalition kann trotz interner Meinungsverschiedenheiten den „Dampfer Deutschland“ bislang ganz gut um die Eisberge herumlotsen. Aber was an der Regierungspolitik ist nun wirklich SPD? Was CDU? Kann es im jahrelangen Miteinander wirklich noch ein Gegeneinander geben, das dem Wähler glaubhaft vermittelt werden kann?

Während des Wahlkampfes und in den Diskussionen der nächsten Monate wird es vor allem um Fragen zu folgenden Themen gehen: Führung, Strategie, Reform, Programme. Es wird auch um die Fragen zu Koalitionen und neuen Kooperationen gehen. Es wird um Richtungsfragen gehen und um Kompetenzfragen.

Es wird kein klassischer Wahlkampf werden. Die guten Zeiten sind vorbei. Die Gefahr für unser Land besteht darin, dass die wirtschaftliche Krise auch zur Krise der Parteien wird. Wenn Parteiprogramme austauschbar werden und die klassischen Positionen nicht mehr vertreten werden, so ist dies eine Sache; eine ganz andere ist es, wenn sich ein wachsender Teil der Bevölkerung gar nicht von den Parteien vertreten fühlt – oder eben von den falschen Parteien am linken und rechten Flügel. Dann wird es gefährlich für unsere Demokratie.

Die aktuelle Krise ist eine große Chance für unsere Demokratie. Der soziale Friede ist aufgrund der globalen Verwerfungen ohnehin gefährdet – nicht nur in Deutschland. Die großen Parteien haben es jedoch in der Hand, den sozialen Unfrieden in demokratische Bahnen zu lenken und damit die Demokratie sogar zu stärken. Dies wäre eine echte Trendwende in Zeiten wachsender Politikverdrossenheit.

„Wohin steuert Deutschland?“ ist ein wichtiges Buch, und es gehört auf den Tisch jedes verantwortlich denkenden Wählers. Davon gibt es vielleicht mehr als man denkt. Wer sich ein realistisches Bild unserer aktuellen Situation und der Parteienlandschaft in Deutschland machen will, dem sei dieses Buch ans Herz und in die Hand gelegt: klare Kaufempfehlung!

Autor: Matthias Machnig, Joachim Raschke (Hg.)
Titel: „Wohin steuert Deutschland?“
Broschiert: 352 Seiten
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN: 3455501133
EAN: 978-3455501131

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