Susannah Walker: „Was bleibt — Über die Dinge, die wir zurücklassen“
Am: | November 6, 2018
Was bleibt von uns übrig, wenn wir tot sind? — Diese Frage wird sich jeder früher oder später stellen. Die Antwort fällt nicht selten ernüchternd aus: Was übrigbleibt, sind vielleicht die eigenen Kinder oder auch Kunstwerke, falls man Künstler ist; es bleiben den Hinterbliebenen aber vor allem Erinnerungen und die Dinge, die man zurücklässt. Genau an dieser Stelle setzt das Buch von Susannah Walker an.
Es erzählt ihre eigene Geschichte und die ihrer leiblichen Mutter. Sie hatte die Familie verlassen, als Susannah Walker acht Jahre alt war. Depressionen und ein sich über die Jahre steigender Alkoholkonsum machte das Zusammenleben unmöglich. Die Autorin wuchs bei ihrem Vater und seiner zweiten Frau auf; mit ihrer leiblichen Mutter schreibt sie sich nur noch ab und an Briefe. Als sie erwachsen wurde, nahm sie den persönlichen Kontakt zur Mutter wieder auf. Besuche bei ihr fanden nur während ihrer „guten Phasen“ statt, doch der Zustand der Wohnung ließ keinen Zweifel daran, dass diese Phasen eher die Ausnahme waren.
Die Mutter hatte sich seit Jahren zurückgezogen und nur noch selten einen Besuch geduldet. „In den letzten zwanzig Jahren ihres Lebens kämpfte meine Mutter gegen das Chaos an, das ihr Haus zu überwältigen drohte. Es gelang ihr nicht, und mit der Zeit verwandelte sich die Unordnung in Horten. Wenn ich zu ihr kam, stand das Geschirr von meinem letzten Besuch noch auf der Küchenablage, unabgewaschen und an derselben Stelle.“
„Nachdem sie gestorben war, wollte ich das ganze Durcheinander um jeden preis loswerden, aber ich wollte auch herausfinden, wie es überhaupt zustande gekommen war, und dazu musste ich meine Mutter verstehen lernen. Die naheliegende Methode war, ihre Dinge durchzusehen.“
Damit beginnt für die Autorin (und somit auch für die Leser) ein spannendes Abenteuer: die Suche nach der Vergangenheit der Mutter in den Dingen, die sie hinterlassen hat. Es ist eine Reise in die Welt der Erinnerungen entlang der Gegenstände, welche die Mutter gesammelt und gehegt, mit denen sie sich umgeben hat.
Natürlich sind viele jener Dinge auch mit der eigenen Geschichte der Autorin verwoben und lassen Erinnerungen wach werden, die sie schon längst vergessen hatte. Auch alte Familienfotos sind wie Fenster in diese verschüttete Vergangenheit und lassen Fragen entstehen: Wer war ich, als ich auf diesem Foto erschien? Was hatte ich gedacht? Wie ging es meiner Mutter?
Dinge können Geheimnisse verbergen, und manchmal offenbaren sie sie auch. Wenn man sich lang genug und geduldig mit ihnen befasst, geben sie ihr Geheimnis vielleicht preis. Detektive Nachforschungen können helfen, fehlende Informationen zu beschaffen, und am Ende fügen sich alle Puzzle-Teile zu einem stimmigen großen Ganzen zusammen.
„Was bleibt“ liest sich im Grunde wie ein Kriminalroman, obwohl hier niemand zu Schaden kam, niemand beraubt oder ermordet wurde. Es ist ein spannendes Buch, und es berührt den Leser von der ersten bis zur letzten Seite; denn es zeigt, wie viel Leben in den Dingen steckt, die uns umgeben, wenn wir früh genug damit anfangen, sie (die Dinge) und ihre Geschichten mit den Menschen zu teilen, die uns nahestehen. Dann werden wir auch dann noch aus diesen Dingen zu den Hinterbliebenen sprechen, wenn wir selbst schon längst nicht mehr da sind. Dann werden diese Dinge, die wir zurücklassen, denen, die es hören wollen, die Geschichten unseres Lebens erzählen. Denn dies ist das Einzige, worauf wir hoffen dürfen: dass die Geschichten, die man sich über uns erzählt, die Erinnerungen an uns wachhalten werden.
Autor: Susannah Walker
Titel: „Was bleibt — Über die Dinge, die wir zurücklassen“
Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
Verlag: Kein & Aber
ISBN-10: 9783036957869
ISBN-13: 978-3036957869
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