Richard David Precht: „Erkenne Dich selbst – Eine Geschichte der Philosophie 1“
Am: | Februar 8, 2016
Es ist ein Großprojekt. Nur wenigen Philosophen würde man heute noch zutrauen, eine publikumswirksame Philosophie-Geschichte zu schreiben. Zumal das Thema selbst für den interessierten Laien ziemlich spröde klingt: eine Geschichte der Philosophie. Das bedeutet: 2500 Jahre abendländischer Philosophie, im ersten Teil angefangen mit den Vorsokratikern bis in die Renaissance.
Richard David Precht dürfte weit und breit der einzige populäre Philosoph sein, dem es gelingen könnte, ein solches Mammut-Projekt nicht nur durchzustehen (bzw. durchzuschreiben), sondern auch von einer breiten Masse gelesen zu werden. Seit seinem Erstlings-Erfolg „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“ ist er von den Bestseller-Listen nicht mehr wegzukriegen. Das Beste daran ist: Er wird nicht nur gekauft, sondern auch gelesen!
Sein auf drei Bände konzipiertes Geschichts-Projekt ist nicht nur ehrgeizig, sondern vielleicht sogar in der Lage, dem gewöhnlichen deutschen Leser eine große Portion Kenntnisse aus der langen und wechselhaften Geschichte der Philosophie zu vermitteln, welches jener später gewinnbringend für das eigene Denken und Handeln verwenden kann. Wenn dies gelänge, hätte Precht in der Tat ein Meisterstück vollbracht: die philosophische Erziehung eines großen Lesepublikums!
Der erste Band der Trilogie, der seit einiger Zeit vorliegt, ist gleich eine dicke Nuss. Es dürfte nur wenige Zeitgenossen geben, die sich wirklich für die Antike und das Mittelalter interessieren. Klar, die alten Griechen hatten es faustdick hinter den Ohren, und im Mittelalter ging es auch ganz schön zur Sache; aber was die Philosophiegeschichte betrifft: Platon, Sokrates & Co. Hatten ja noch ganz gute Ideen. Doch dann kam das finstere Mittelalter und mit ihm der Siegeszug der religiösen Ideen.
Richard David Precht widmet diesen langen Jahrhunderten der Philosophiegeschichte einen dicken Schmöker von 574 Seiten. „Erkenne Dich selbst“ steht schlauerweise auf dem Titel, und dies gibt auch die Richtung dieses langen Textes vor. Denn der Autor interessiert sich weniger für die Vermittlung von geschichtlichen Daten und philosophischen oder philologischen Haarspaltereien, als für die Frage nach der Selbsterkenntnis und der aus ihr resultierenden richtigen Lebensweise.
Seine Reise durch die Geschichte der Philosophie führt den Leser durchaus chronologisch, versucht sich aber zum Glück nicht sklavisch genau an dieses Schema zu halten. Rück- und Vor-Blenden sind erlaubt, wenn es dem Duktus des Textes und seines Inhalts entspricht.
Es ist ja für diesen Autor typisch, dass er seine Beweisführungen stets mit dem Aktuellen zu verknüpfen sucht, wobei er das Vergangene mit der Gegenwart konfrontiert und schaut, was passiert. Richard David Precht ist, wie nur wenige andere Sachbuchautoren, in der Lage, einen Sachverhalt spannend zu erklären, und er ist ein Meister der Selektion, trennt das Nebensächliche vom Bedeutenden. Anders wäre auch eine Geschichte der Philosophie – selbst auf rund 1800 Seiten – nicht zu erzählen. Es müssen Auslassungen gewagt, Zusammenfassungen geschrieben und Streiflichter gesetzt werden, die dem Leser zeigen, dass diese Geschichte, die ihm hier erzählt wird, bei aller Ausführlichkeit niemals das ganze Spektrum der Philosophiegeschichte abzubilden vermag.
Der Text liest sich – wie immer bei Precht – wunderbar flüssig und geht dennoch nicht zum einen Auge rein und zum anderen Ohr hinaus. Der Text fordert zum Denken, zum Nach-Denken auf. Precht konfrontiert den Leser immer wieder mit verblüffenden Tatsachen, lässt ihn Anteil haben an den Gedanken eines Thales von Milet wie eines William von Ockham.
Die Lektüre eröffnet auch dem philosophisch vorgebildeten Leser einen neuen Zugang zur Philosophie des Abendlandes. Das ist die Gabe, das Talent des Autors, jene Historiographie nicht mit einer Vielfalt von Fakten zu verblassen, sondern sie in all ihrer schillernden Buntheit zu präsentieren, die, bei den Lesern die Neugier nach mehr, nach tiefergehender Lektüre zu wecken, imstande ist.
Mit anderen Worten: Diese hier begonnene Trilogie einer Geschichte der Philosophie ist ein bemerkenswertes Großprojekt, welches (bislang) das Zeug hat, zu einem neuen Standardwerk zu avancieren, vielleicht am ehesten vergleichbar mit Egon Friedells „Kulturgeschichte des Abendlandes“. Unbedingte Leseempfehlung für alle, die sich für Philosophie sowohl im geschichtlichen als auch im praktischen Sinne interessieren!
Autor: Richard David Precht
Titel: „Erkenne Dich selbst – Eine Geschichte der Philosophie 1“
Gebundene Ausgabe: 576 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag
ISBN-10: 3442312620
ISBN-13: 978-3442312627
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