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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Christian Keysers: „Unser empathisches Gehirn – Warum wir verstehen, was andere fühlen“

Am: | Februar 23, 2015

Vielleicht wird man in wenigen Jahren spöttisch auf die „Spiegelneuronen“ zurückblicken und diese Theorie menschlicher Empathie belächeln; aber das Bild eines neuronalen Spiegelns ist hübsch und leicht verständlich, weshalb man sich seiner bedienen sollte, solange man keine bessere Erklärung für empathisches Verhalten gefunden hat.

Christian Keysers hat nun ein ganzes Buch über das Phänomen menschlicher Empathie geschrieben, das unlängst als Taschenbuch bei btb herausgekommen ist. Keysers darf das, denn er besitzt die nötige Kompetenz: Als Hirnforscher mit internationaler Reputation beschäftigt er sich seit Jahren mit dem Spiegelneuronenkonzept; so konnte er zeigen, dass sich jenes Konzept auch auf unser Verständnis der Emotionen anderer anwenden lässt.

Was ist also so revolutionär an der Vorstellung, dass unsere Empathie auf dem Spiegelneuronenkonzept basiert? Der neurowissenschaftliche Blick auf die Welt ist von der Bemühung beseelt, die komplexen Vorgänge im menschlichen Gehirn mit den Mitteln der Wissenschaft zu erklären. Der ganz dicke Brocken für die Naturwissenschaftler war natürlich die menschliche Autonomie, der freie Wille, die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. Der freie Wille sei nichts weiter als eine neurochemische Illusion, letztlich hätte das Gehirn längst entschieden, was wir machen werden, bevor wir selbst wüssten, was wir machen wollen.

Es ist der alte Kampf zwischen Glauben und Wissen, zwischen Religion und Wissenschaft, der hier tobt. Es ist das physikalistische Weltbild des Determinismus, das zurzeit in den Diskursen die Führungsposition eingenommen hat, während der religiöse Glaube mit seinem dualistischen Menschenbild (Geist und Körper) etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint. Vielleicht ist es auch die Sehnsucht des Menschen nach etwas Handfestem, nach Berechenbarkeit und rationalen Erklärungsmustern, die uns heutzutage mehr in die Richtung deterministischer Theorien tendieren lässt. – Wie auch immer, die Neurowissenschaften versuchen also zu beweisen, dass der Mensch im Grunde keinen freien Willen hat.

Die Empathie, eine der entscheidenden Grundlagen sozialen Verhaltens überhaupt, scheint nun die nächste Baustelle neurowissenschaftlicher Untersuchungen zu sein. Christian Keysers zeigt in seinem Buch anhand vieler Beispiele und einer sehr stringenten Argumentation, warum unser Verständnis fremder Emotionen auf Prozesse in unserem Gehirn zurückzuführen ist – wo sonst sollten wir aber auch Gefühle anderer wahrnehmen und interpretieren? -, und alleiniger Verursacher dieser erfolgreichen Interpretation seien die geliebten Spiegelneuronen.

Wenn man es genau nimmt, so sind ja die Spiegelneuronen selbst empathische Neuronen; sie reagieren bei der beobachteten Tätigkeit eines anderen Organismus genau so, als ob die Tätigkeit vom eigenen Organismus ausgeführt würde. Wenn ich jemanden dabei beobachte, wie er eine Banane isst, verhalten sich meine Spiegelneuronen genau so, als wenn ich selbst eine Banane essen würde. Wie könnte man empathisches Verhalten besser beschreiben?!

Schön zu wissen! Wer es ganz genau wissen will, wie das Spiegelneuronenkonezpt funktioniert und wie es zur Entdeckung des empathischen Gehirns kam, der lese Christian Keysers spannendes Wissenschafts-Sachbuch! Keine Angst, die Lektüre setzt keinerlei Vorwissen voraus. Es ist anregend und angereichert mit einer Fülle von Beispielen geschrieben. Sie werden viel Spaß dabei haben und am Ende ganz genau wissen, warum sie so fühlen, wie sie fühlen und dass sie ihr großes Einfühlungsvermögen letztlich nur den kleinen Spiegelneuronen zu verdanken haben, die in ihrem Kopf so gut funktionieren…

Autor: Christian Keysers
Titel: „Unser empathisches Gehirn – Warum wir verstehen, was andere fühlen“
Taschenbuch: 320 Seiten
Verlag: btb Verlag
ISBN-10: 3442748577
ISBN-13: 978-3442748570

 

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