Nina Pauer: “LG ;-) – Wie wir vor lauter Kommunizieren unser Leben verpassen”
Am: | September 20, 2012
„Hast du die gestreifte oder die gepunktete Pyjamahose an?“, fragte Tom. „Punkte“, schrieb Anna. „Und wie viel Bier stehen diesmal noch in der Minibar?“, lautete ihre Gegenfrage. Während Anna und Tom chatteten, klickte Anna oft noch einmal Toms Profilfotos durch. Sie fand ihn attraktiv: blonder Stoppelbart, lässige Jacketts, […]“
Was haben wir hier auf dem Tisch liegen: ein Sachbuch, das sich mit der Frage beschäftigt, „wie wir vor lauter Kommunikation das Leben verpassen“? Oder einen Roman über die Virtualisierung unserer Lebenswelt und über die Parallelisierung von Internet- und Echtwelt-Erfahrung?
„Nina Pauer erzählt und erklärt dieses neue Leben, das auch ihr eigenes ist. Sie klagt nicht über Facebook & Co., sondern sie beschreibt die Wirkung exzessiver Kommunikation bis tief in das analoge Leben hinein.“ – So heißt es im Klappentext auf der Rückseite dieses 232 Seiten dicken Buches aus dem Fischer-Verlag.
Nina Pauer ist Journalistin, sie verfügt über einen Wikipedia-Eintrag, über einen eigenen Blog und arbeitet u.a. für das ZEIT-Magazin und für das Feuilleton der ZEIT. Sie ist beruflich also da angekommen, wo viele gerne wären.
2011 hat sie ihr erstes Buch veröffentlicht – „Wir haben keine Angst“ -, in dem sie sich, wie es in ihrem Wikipedia-Eintrag heißt, in Romanform mit dem Lebensgefühl und den „Luxusproblemen“ ihrer Generation beschäftigt.
„LG ;-)“ ist dasselbe in Grün, nur dass es diesmal um das Lebensgefühl und die „Kommunikationsprobleme“ ihrer Generation geht. Auch „LG ;-)“ ist eine Mischung aus Roman und Selbstreflexion, tagebuchartigen Einträgen und kulturkritischen Abschnitten mit Essay-Charakter.
Man kann das lesen, man kann es sogar mit Vergnügen lesen, wenn man möchte und wenn man die richtige Einstellung zu dem Buch gefunden hat, nämlich dass man nichts erwartet: keinen spannenden Plot, keine tiefen Gedanken und keine Vorschläge, wie man aus dem Kommunikationsschlamassel unserer Zeit ausbricht und mit allen Anderen zusammen wieder eine vernünftig strukturierte Kommunikations-Kulturlandschaft gestaltet.
All das muss und darf man auch gar nicht von einem Buch erwarten, dessen Titel schon die gerade moderne Belanglosigkeitsfloskel der „Lieben Grüße“ trägt. Es wäre ungerecht, mehr zu erwarten als nette Unterhaltung und einen Schnappschuss der leicht übergeschnappten und omnikommunikativen Generation Facebook. – Nein, mehr zu erwarten ist ungerecht von mir, aber so bin ich nun einmal. Wenn ich mir ein Buch vornehme, dann möchte ich mehr als nette Unterhaltung. Ich bin auf der Suche nach Erkenntnis. Erkenntnisvermehrung ist das Ziel all unserer kulturellen Aktivität. Erkenntnisvermehrung oder eben gute und tiefgründige Unterhaltung. Aber darunter versteht eben jeder etwas Anderes…
Dennoch gibt es einen Grund, warum das Buch hier besprochen und sogar zur Lektüre empfohlen wird: „LG ;-)“ ist ein Zeitdokument. In wenigen Jahren werden wir entweder über die Blödigkeit der Protagonisten schmunzeln, weil wir mit ihnen das Platzen der elektronischen Kommunikationsblase und den Untergang der virtuellen Leerwelt miterlebt haben – oder die Protagonisten werden über uns abgekoppelte, noch nicht per Permalink mit den Hotspots der Kommunikation verbundene schmunzeln, die wir immer noch keinen Facebook-Account haben, selbst wenn die Wursttheke beim Fleischer um die Ecke schon die neuesten Wurstmeldungen twittert und der Eisberg-Salat im Supermarkt mehr „Likes“ als Kalorien hat…
Vielleicht sollte man vor diesem Hintergrund Nina Pauers „LG ;-)“ sogar im Deutschunterricht an den Höheren Schulen lesen? Genügend Diskussionsstoff bietet das Thema des viel sagenden Nichtssagens, wie es in Pauers neuem Buch präsentiert wird, allemal.
Autor: Nina Pauer
Titel: „LG ;-)“
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: FISCHER
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3100606302
ISBN-13: 978-3100606303
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