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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Interview mit Kathrin Fischer auf der Leipziger Buchmesse 2012 über ihr Buch „Generation Laminat“

Am: | April 13, 2012

RALPH KRÜGER: Frau Fischer, Sie haben ein sehr spannendes Buch geschrieben. Wie kamen Sie auf das Thema?

KATHRIN FISCHER: Das ist lange gewachsen. Einerseits interessieren mich gesellschaftspolitische Themen. Ich habe auch 2004 schon einmal ein Buch über „Scham“ gemacht. Ich hatte schon lange das Gefühl, dass in unserer Gesellschaft eine gewisse Leistungsangespanntheit und Besorgtheit und Aggressivität zunimmt. Darüber wollte ich auch 2004 schon ein Buch schreiben, aber da bekam ich das Thema noch nicht richtig zu fassen. Dann jedoch gab es einen ganz konkreten Punkt, dass ich dachte, ich bin jetzt Anfang vierzig und wohne in einer Mietwohnung auf Laminat. Ich bin aufgewachsen in einem Haus mit Pferd und Kamin. Ich selbst habe mein durchschnittliches Akademikergehalt um 6000 Euro, das ist ja nicht so wenig, und trotzdem kann man sich in Frankfurt nur eine Mietwohnung mit Laminat leisten. Mein Englischlehrer damals kaufte sich ein Haus und konnte sich mit seinem damaligen Gehalt ein Leben mit Familie, Frau und drei Kindern leisten. Dann dachte ich, dass es vielleicht daran läge, dass ich eine alleinerziehende Mutter mit Kind bin. Aber das ist ja schon der erste Denkfehler. Die Leute nehmen schon ganz selbstverständlich an, um den Wohlstand zu halten, in dem wir groß geworden sind, brauchen wir anderthalb bis zwei Gehälter, wo früher eines gereicht hat. Und diese Schieflage hat mich dann inspiriert nachzudenken: Vor dreißig Jahren konnte man von dem Gehalt noch diese Art von Wohlstand erzeugen, heute nicht mehr. Also was ist passiert? Da müssen ja Fakten vorhanden sein, und dann habe ich mich auf die Suche danach begeben.

RALPH KRÜGER: Unsere Generation, die „Generation Laminat“, wie Sie es nennen, ist ja nicht nur die so oft beschworene Mittelschicht, die vor allem an ihrem unteren Ende immer stärker bröckelt, sondern die sorglose Generation der Wohlstandskinder aus der Blütezeit der Bundesrepublik. Eigentlich haben wir in unserem Leben nie gelernt, etwas anderes als Wohlstand zu erwarten, und uns auch niemals bewusst machen mussten, dass wir selbst gesellschaftlich etwas verändern können und müssen. In Ihrem Buch sind viele sehr erhellende Aussagen und Fakten versammelt, die eine langsame „Laminatisierung“ der ehemals solidden Mitte, wie ich es nennen würde, belegen. Die Angst vor dem Abstieg ist ein weit verbreitetes Gefühl in unserer Gesellschaft. Sie sagten, Sie hatten die Idee zu diesem Buch bereits 2004. Seitdem ist ja einiges passiert: wir hatten die Lehman-Krise, die Banken-Krise, jetzt die Euro- und die Staaten-Krise… Diese vielen Krisen sind ja eher dazu geeignet, diese Entwicklung noch zu verschärfen und zu beschleunigen. Die Schieflage in unserer Gesellschaft, in der die Armen immer ärmer und die Reichen immer reichen werden, verstärkt sich.

KATHRIN FISCHER: Nachdem ich das Buch fertiggestellt habe, habe ich noch einiges dazu gelesen, und ich denke, ich würde meine Thesen heute noch viel strukturierter und radikaler fassen. Es gibt einfach eine Spannung zwischen Marktinteressen, kapitalistischen Interessen und demokratischen Interessen. Kapitalbesitzer wollen Rendite. Bürger wollen Sicherheit und Schutz. Und das geht nicht zusammen. Wir sind in den ersten dreißig Jahren nach dem Krieg, in jenen „temps glorieuses“ aufgewachsen, in denen ein unglaubliches Wachstum herrschte. Da konnte man die Gesellschaft befrieden mit diesem Wachstum. Da konnten die Kapitaleigner ihre Renditen einfahren, und trotzdem konnte man hohe Lohn- und Tarifabschlüsse machen usw. Das wurde jedoch in dem Moment, als das Wachstum stoppte, schwierig. Dann gab’s erst eine Staatsverschuldung, dann gab’s auch zusätzlich eine private Verschuldung, und die ist ja dann auch 2008 eingebrochen. Ich glaube, dass wir ganz massiv in einer schweren demokratischen Krise stecken, weil wir im Grunde von Märkten regiert werden. Es gibt ja den schönen Begriff des autoritären Kapitalismus. Mit dieser ganzen Euro-Krise wird das offenbar: In Griechenland sitzt der ehemalige Zentralbankchef an der Regierung, der übrigens auch Zentralbankchef war, als die ganzen Statistiken gefälscht wurden… Das ist schon interessant. Überall sitzen jetzt die Banker und die Finanztechnokraten an der Macht, und ich bin der Meinung, dass wir zurzeit eine demokratische Entleerung erleben. Oft geht es mir so, wenn ich das erzähle, dass es dann heißt: „Ach, Gott. Erzähl‘ mir was Neues!“, und das ist eine Haltung, die mich ärgert. Nichts von dem, was ich in meinem Buch, ist in diesem Sinne neu. Neu ist für mich an dem Buch, das ich diese Zustände persönlich mache. Denn mir ist wichtig, dass man sich noch und wieder darüber aufregen kann. ich habe das auch lange Zeit verloren. Aber wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr mit Spott und Ironie und Witzeleien getan ist, sondern wo wir etwas verteidigen müssen, nämlich unsere Demokratie und unsere Bürgerrechte gegen die Interessen des Marktes.

RALPH KRÜGER: Es ist ja immer auch eine Frage, auf welcher Treppenstufe man steht. Für die einen sind Spott und Ironie probate Ausdrucksformen ihres Missfallens. Hingegen für diejenigen, die schon einige Sprossen auf der sozialen Leiter herunter gerutscht sind, bleibt vielleicht nur noch ein Gefühl der eigenen Ohnmacht und der Hilflosigkeit.

KATHRIN FISCHER: Diese defätistische Haltung findet sich aber auch bei jenen, die noch nicht abgerutscht sind. Die Mitte rutscht ja nicht einfach nur nach unten ab, sondern sie teilt sich. Die Unteen rutschen nach unten, aber die Oberen wandern auch weiter nach oben. Und bei diesen Oberen sieht man schon diese Tendenz, nach unten hin dicht zu machen und weiter nach oben zu schielen. Dafür gibt es den schönen Begriff einer „rohen Bürgerlichkeit“. So entsteht der neue Typus des „Roh-Bürgers“, der in seiner Haltung menschenverachtend und zynisch wird. Davor habe ich einfach Angst. Ich finde, dass man mit Spott und Ironie nicht weiter kommt.

RALPH KRÜGER: Leben wir in einer Finanzdemokratie?

KATHRIN FISCHER: Ich glaube, man kann eigentlich nicht mehr von einer Demokratie sprechen. Viele Soziologen weisen ja auch darauf hin, dass es „die Demokratie“ de facto nicht mehr gibt. Es ist mittlerweile ein politisches Theater geworden, aber eigentlich sind es die Markt- und Finanzinteressen, die unsere Politik steuern. Die Staaten sind ja erpressbar, denn sie brauchen Staatsanleihen. Sie müssen sich Geld leihen. Wenn diejenigen, die das Geld haben, bei der großen Verschuldungsmasse, die wir haben, nur ein bisschen die Zinsen erhöhen, dann hat das enorme Azuswirkungen auf den Haushalt. Das heißt, die Staaten sind komplett erpressbar. Ich finde es unglaublich, dass 2008 die ganzen Nationalstaaten die Banken retten – mit unserem Geld! Mit dem Geld meines Sohnes, mit meinem Geld! Ich bezahle die Gewinne der Anderen, und jetzt stellen die sich hin und sagen: „Leute, Ihr habt so viele Schulden aufgenommen, jetzt müssen unsere Rating-Agenturen Euch mal runterstufen…“

RALPH KRÜGER: Was die ganze Zinsen- und Schuldenlast natürlich noch teurer macht…

KATHRIN FISCHER: Und da noch von Demokratie zu reden…?! Wir haben ja auch keine Alternative mehr, denn jede Partei sagt uns, wir müssen sparen, wir müssen Kürzungen im öffentlichen Bereich hinnehmen – Bildung, Gesundheit, es wird alles gespart. Warum, warum?

RALPH KRÜGER: Man konnte doch eigentlich sagen, die paar Milliarden mehr machen es dann auch nicht mehr schlimmer, um zum Beispiel die Bildung zu fördern… Wir geben so viel Geld aus, um den Euro zu retten, die Banken zu retten und um das Finanzsystem als Verbund zu erhalten.

KATHRIN FISCHER: Aber warum?! Wir sind ja nicht solidarisch mit Griechenland, sondern wir sind solidarisch mit den Banken in Griechenland und mit unserer Exportindustrie. Die sagen nämlich, die Griechen und die Italiener brauchen aber Geld, damit unsere Metallbauer und Autobauer dorthin ihre Autos verkaufen können… Das sehe ich nicht ein. Das war auch mein grundsätzliches Gefühl, das zu dem Buch geführt hat: Das Gefühl, ich bin jetzt Anfang vierzig und habe nur meine Mietwohnung. – Meine Mutter hatte ein Haus, aber wer hat eigentlich in meinem Bekanntenkreis noch ein Haus? Wie finanzieren die das? Mit den Großeltern. Und dieses Gefühl mal ernst zu nehmen, war mir sehr wichtig. Alle sagen immer, das ist doch Wohlstandsgejammer, guck‘ mal nach Manila auf die Müllkippe… Da würde ich jedoch sagen, das ist für mich nicht der Referenzpunkt, von dem aus ich den Maßstab für einen Wohlfahrtsstaat anlegen möchte. Ich nehme mein Gefühl also ernst, und über dieses Gefühl entsteht eine starke Politisierung.

RALPH KRÜGER: Ich finde diese persönliche Sicht und Herangehensweise über die Befragung und Beobachtung Ihrer Freunde auch sehr schön. Dabei ziehen Sie aber immer auch das aktuell Politische mit ein. Ganz wichtig ist jedoch auch die Analyse der Ursachen für diese Entwicklung.

KATHRIN FISCHER: Das ist ein großes Wort, aber ich habe mich an Kant orientiert, der geschrieben hat: „Begriffe ohne Anschauung sind leer. Anschauung ohne Begriffe ist blind.“ Ich habe mich immer geärgert, wenn in den Medien theoretisiert und proklamiert wurde, dass die Mittelschicht erodiere und es eine Spreizung von Arm und Reich gäbe. Wir reden immer alle darüber, als würde es uns selbst gar nicht betreffen.

RALPH KRÜGER: Das ist der systemische Ansatz…

KATHRIN FISCHER: Aber ich möchte das gerne konkreter begreifen. Denn ich erlebe das ja bei mir und in meinem Freundeskreis. Diese Ängste nehme ich zusammen mit den Analysen und sage mir dann, dass ich diejenige bin, über die die Theoretiker reden.

RALPH KRÜGER: Diese Konkretisierung ist Ihnen in Ihrem Buch durchaus gelungen. Ich bin ja selbst Jahrgang 1961 und gehöre somit auch zu derselben Generation. Während der Lektüre gab es für mich mehrere Stellen, an denen ich ins Grübeln kam und die politische Haltung meines Umfelds sehr gut beschrieben fand. Ihr Buch ist also nicht nur eine Analyse unserer sozialen Umbruchssituation, sondern regt auch zum Nachdenken an über die sich bietenden Möglichkeiten, diese Entwicklungen zu stoppen und die Verhältnisse zu verändern. Die eigene Situation ist den meisten Menschen sehr präsent im eigenen Bewusstsein. Dass diese Situation aber immer auch verbunden ist mit einer gesellschaftlichen Gesamtsituation sowie durch eine ganz konkrete Sozial- und Wirtschaftspolitik gesteuert und durch diese mitbestimmt wird, dessen ist man sich nur selten bewusst. Aber es ist eine Tatsache. – Interessant ist jedoch der Sachverhalt, den Sie auch in Ihrem Buch ausführlich behandeln, dass unsere Generation es niemals gelernt hat und auch nie lernen musste, dass Staat und Gesellschaft auch durch uns selbst verändert werden können.

KATHRIN FISCHER: Das war für mich selbst die große Lehre aus dem Buch, dass man das kann. Wir sind damit aufgewachsen, den Staat als ein durchsichtiges Wesen um einen herum wahr zu nehmen. Aber Autobahnen sind nicht vom Himmel gefallen, und Krankenversicherungen wurden nicht von Gott geschaffen, sondern das wurde irgendwann einmal gemacht. Dinge, die von Menschen gemacht sind, können Menschen auch anders machen. So kann man sich auch eine besser Welt vorstellen und so endet mein Buch auch mit der Hoffnung auf die Machbarkeit von Veränderung.

RALPH KRÜGER: Aus Ihrem Buch nehme ich die Erkenntnis, dass wir versuchen können, eine politische Diskussion anzustoßen. Es gibt ja schon einige neue Ansätze: Es gibt die Wutbürger, es gibt die Occupy-Bewegung, es gibt Attac. Das sind alles Ansätze, die in der Lage sind, einen bürgerlichen Protest zu artikulieren, und dazu auffordern, wieder verstärkt über gesellschaftliche Entwicklungen zu diskutieren. Welchen Sinn und welche Erfolgsaussichten haben Ihrer Meinung nach solche nationalen Diskussionen in einer globalen Welt? Könnte Deutschland als isolierter Staat mit seiner Vorreiterrolle überhaupt etwas bewirken, oder sind wir nicht durch die Globalisierung schon viel zu sehr eingebunden in das europäische und weltweite politische und wirtschaftliche Geflecht?

KATHRIN FISCHER: Ich glaube schon, dass wir zunächst Sand ins Getriebe der Finanzindustrie streuen müssen. Wenn wir das nicht machen, geht die „Logik des Systems“ einfach immer so weiter und die Politik wird immer enthüllter. Ich finde Ihre Frage schwierig, denn sie ist so, als ob man sagte: „Naja, wir haben grünen Storm und sparen am Wasser, aber in China bauen sie Kohlekraftwerke… Was hat das Sparen eigentlich für einen Sinn?“ Solch eine Resignation mit dem Hinweis auf die globalen Verhältnisse hilft uns auch nicht weiter. Das ist ein Totschlag-Argument. Ich glaube eher, dass man sich daran erinnern muss, dass es immer wieder Momente in der Geschichte gab, wo Leute etwas verändert haben. Die Veränderung wurde immer erkämpft: Frauen haben ihre Rechte erkämpft, die Sklaverei wurde abgeschafft,… Wenn Sie einen Unternehmer fragen, ob er Tarifverträge braucht, um konkurrenzfähig zu sein, dann wird der auch antworten: nein. Am besten wäre doch Kinderarbeit… Ich denke einfach, dass wir jetzt kämpfen müssen. Das wird dann auch eine Vorbildfunktion auf internationaler Ebene haben, da bin ich mir sicher. Im Moment kommen viele verschiedene Punkte zusammen, und irgendwann kommt der letzte Stein dazu, und dann ist es wie ein Mosaik, in dem alles zusammen passt. Dann entsteht etwas Neues.

RALPH KRÜGER: An einer Stelle Ihres Buches geht es um die Manager. Sie sprechen da von der Schwierigkeit eines Managers, ein Unternehmen zu leiten, das ihm nicht gehört. Diese Denkweise, dass ich als Manager eben nur meinen Job mache, und wenn der Laden auseinander fällt, gehe ich eben zum nächsten Laden, scheint wohl weit verbreitet zu sein – so Ihre Hypothese. Wäre aber die Folgerung aus dieser Annahme nicht der Versuch eines Wechsels zu einem eher sozialistischen System der Einheit von Arbeiterschaft und Produktionsmitteln? Müssen die Produktionsmittel wieder Eigentum der Arbeiter werden und die Unternehmen den Angestellten gehören?

KATHRIN FISCHER: Das sagen ja die ganzen Analysen des amerikanischen Soziologen Richard Sennett, die ich auch einleuchtend finde. Er sagt, dass das Kapital, wenn man einen Investor hat, lediglich ungeduldig Geld haben will und nach einem halben Jahr, wenn die Rendite nicht stimmt, wieder seine Investitionen abzieht. Dadurch werden die Handlungshorizonte für die Unternehmen viel enger. Vielleicht brauchen wir nicht unbedingt ein sozialistisches System, sondern nur Unternehmen, die wieder einem Unternehmer gehören und nicht von fremdem Kapital abhängen. Ich weiß nicht, ob Sozialismus nicht auch schon wieder zu weit in einer „Schublade“ gedacht ist, die wir kennen – Kapitalismus, Sozialismus… Ich fand die Versuche von dem englsichen Wirtschaftsprofessor Tim Jackson, ein alternatives Wirtschaftsmodell zu entwickeln, sehr interessant. Sein Modell hat durchaus kapitalistische Elemente, aber eben auch grüne Elemente. All diese Dinge, die da zusammen kommen, lassen etwas Neues entstehen, das sich nach alten Mustern nicht mehr kategorisieren lassen wird. ich kann von mir selbst nicht behaupten, ich sei Sozialistin. Aber ich bin mittlerweile eine entschiedene Gegenerin dieses Kapitalismus, den wir hier haben. Ich halte ihn für sehr gefährlich für die Demokratie. Was genau die Schlussfolgerung daraus ist, bleibt zunächst offen. Im Moment sind wohl eher einzelne Initiativen gefragt.

RALPH KRÜGER: Am Ende Ihres Buches haben Sie auch einige konkrete Umsetzungsideen und einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt, mit dem man der ganzen Situation begegnen kann: Man muss zunächst das Gefühl wahrnehmen, dass etwas falsch läuft und dass man so nicht leben möchte. Das ist doch eigentlich kein „Programm“, sondern nur die Wahrnehmung eines Gefühls, das man unzufrieden ist…

KATHRIN FISCHER: Ich denke, das darf man nicht zu gering schätzen. Das war auch für mich der Ursprung meines Wunsches, dieses Buch zu schreiben. Irgendwann muss man sich erlauben, dieses Gefühl zu haben und es nicht weiter zu verdrängen. Wir sind alle immer so smart und wollen erfolgreich und anpassungsfähig sein und in dem großen Strom mitschwimmen, schicke Klamotten, schicke Wohnlandschaft haben und so weiter. So war es jedenfalls bei mir, eine gewisse Art von angepasster Intelligenz. Jedoch dieses Gefühl, dass ich sage, ich will so aber gar nicht leben und ich will nicht, dass mein vierjähriger Sohn, wenn er über eine kleine Straße geht, hinterher singt: „Ich bin nicht überfahren worden! Das ist mein großes Lebensglück!“ Ist das die richtige Welt, in der schon ein Vierjähriger Angst vor Autos haben muss? Ist es richtig, dass ich ein Kaufmonster bin und in diesem Kreislauf gefangen bin, immer mehr Arbeit, mehr Geld und mehr Konsumchancen zu haben? Dieser Konsum macht uns gar nicht mehr glücklich, weil es nur noch Statuskonsum ist. Ich muss diese und jene Klamotten haben, um mich zu präsentieren… Insofern finde ich diesen ersten Punkt, der so schlicht klingt, sehr wichtig. Denn er ist der Ausgangspunkt von allem, sich erst einmal einzugestehen, dass man ein Unbehagen fühlt. Dadurch ist man nicht gleich rausgefallen aus der Riege der gewinner, sondern das ist der Anfang von Veränderung.

RALPH KRÜGER: Ein Gefühl des Unwohlseins, das dann das Selberdenken provoziert.

KATHRIN FISCHER: Genau. Nicht man selbst ist verkehrt, sondern das, was einem das Unwohlsein bereitet, ist nicht richtig. Diese Art von Selbstbewusstsein zu entwickeln, ist entscheidend.

RALPH KRÜGER: Der zweite Punkt Ihres Fünf-Punkte-Plans ist, dass man sich schlau macht. Das soll dann im dritten Schritt zu einem anderen Handeln führen, so dass man versucht, sich auch anders zu verhalten.

KATHRIN FISCHER: Auch nicht immer einfach.

RALPH KRÜGER: Die ganzen kleinen Dinge und die alltäglichen Verhaltensweisen gehören ja auch dazu: Müll trennen, Energie sparen, öffentliche verkehrsmittel benutzen, Bio kaufen,…

KATHRIN FISCHER: Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema, und natürlich gehört das auch dazu. Das hat mit Verantwortlichkeit zu tun.

RALPH KRÜGER: Das war ein ganz spannender Punkt in Ihrem Buch, der mich auch sehr zum Nachdenken angeregt hat: Sie diagnostizieren in unserer Mittelschicht ein Gefühl der Ohnmacht, einen verstärkten Rückzug ins Private und eine „Reduzierung auf Bescheidenheit“. Das ist ein allgemeiner Trend, den jeder in seinem Umfeld und bei sich selbst vielleicht auch wahrnehmen kann, nämlich die Tendenz zu sagen: Ich muss ja gar nicht alles haben um glücklich zu sein…“ – Das ist eine selbstgewählte Reduktion aufs Wesentliche, die jedoch vielleicht eher aus einer unbewussten Erkenntnis der Begrenztheit der eigenen finanziellen Mittel erwächst als aus einer echten Überzeugung. – Das fand ich sehr spannend, dass der Mangel schon derart psychologisch verinnerlicht ist, dass wir ihn uns schöndenken… – Aber kommen wir zurück zu Ihrem Fünf-Punkte-Plan: Der nächste Schritt ist, politische Forderungen zu entwickeln. Das ist jetzt der Sprung aus der privaten Welt zu dem Anderen, zur Gesellschaft. Wie geht das? natürlich gibt es soziale Netzwerke, es gibt das Internet, es gibt Nachbarschafts- und Bürger-Initiativen. Aber wie entwickelt man heutzutage politische Forderungen und wie, so der fünfte und letzte Punkt Ihres Programms, wird man politisch handlungsfähig?

KATHRIN FISCHER: Indem man das Wünschen in das eigene Denken miteinbezieht, kommt man schnell zu konkreten Forderungen. Für mich war das zum Beispiel mit dem Euro so. Ich habe als Journalistin lange keine Position zum Euro gefunden. Ich habe die ganze Sache nicht durchschaut. Wenn ich mir aber angucke, dass dieser Verbund und dieser Euro nur gerettet werden können, wenn man auf Kosten der Zukunft meines Sohnes Schulden produziert, dann ist es nicht richtig. Damit habe ich schon eine politische Forderung entwickelt. Deshalb meine ich auch, dass der erste Punkt meines Programms, sich das eigene Unbehagen einzugestehen und auch Wünsche zu spüren, extrem wichtig ist. Wenn man sagt, ich will so nicht leben, und ich will die Zukunft unserer Kinder nicht verbrauchen, um gegenwärtig Krisen zu erzeugen, dann muss das System anders gestaltet werden. Wie man das dann macht, ob man in eine Partei eintritt, ob man einen Nachbarschaftsgarten bewirtschaftet oder einfach viel mit anderen Leuten redet und diskutiert, bleibt jedem selbst überlassen. Ich selbst bin vor einiger Zeit an die Uni Flensburg gegangen, weil die sich politisch genau in dieser Richtung aufstellt: Nachhaltigkeit und auch Transformationsforschung, die untersucht, wie Gesellschaften diesen Wandel vollziehen können. Das finde ich unglaublich spannend, weil ich tatsächlich glaube, dass wir uns in einer sehr gefährlichen Situation befinden und diesen Wandel hinbekommen müssen.

RALPH KRÜGER: Der klassische Weg in einem funktionierenden demokratischen System wäre ja, sich in einer politischen Partei zu engagieren.

KATHRIN FISCHER: Oder eine neue zu gründen. Wenn es genügend Leute gibt, die sich bei Attac oder sonstwo organisieren und ihr Unbehagen ausdrücken, bin ich mir sicher, dass es politische Akteure geben wird, die das aufnehmen. Vielleicht entsteht auch etwas Neues aus der Mitte, wie das bei den Grünen vor dreißig Jahren der Fall war. Vielleicht muss man gar nicht so sehr in den vorhandenen Strukturen denken, sondern wirklich überlegen, ob es nicht andere Wege gibt. Denken Sie nur ans „Guerilla-Knitting“, wo Leute stricken, oder „Guerllia-Gardening“, das brachliegende öffentliche Räume begrünt… Ich finde es einfach toll zu sehen, mit wieviel Fantasie, Lust an Gestaltung, aber auch Widerstand hier Neues passiert. Einfach zu sagen, bis hierhin und nicht weiter. – Unbequem sein wollen, das klingt so pathetisch, aber ich fand es lange Zeit einfach nicht smart, unbequem sein zu wollen. Ich war eine erfolgreiche Journalistin, und eine erfolgreiche Journalistin ist nicht unbequem. Die kommen nicht mit Utopien an und mit einem moralinsauren Gerede darüber, wie die Welt eigentlich aussehen sollte. Jetzt aber bin ich wieder unbequem und mache bestimmte Sachen nicht mehr mit.

RALPH KRÜGER: Denkbar als politisches Handlungsfeld wäre ja auch zum Beispiel eine Struktur wie die ehemalige APO…

KATHRIN FISCHER: Ja, „APO 2.0“, wie es Harald Welzer in seinem Buch genannt hat!

RALPH KRÜGER: In Ihrem Buch habe ich viele persönliche Anregungen erhalten, die ich gerne durchdenken werde. Indem Sie Ihre persönlichen Erlebnisse schildern, machen Sie es dem Leser einfach, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen und konkrete Schritte für sich selbst zu überlegen.

KATHRIN FISCHER: Das ist mir auch an diesem Buch wichtig. Ich habe viel Befremden mit meinem Buch ausgelöst, weil es so persönlich geschrieben ist, aber genau das war mir wichtig. Denn alles, was in dem Buch an Analysen und an Fakten versammelt ist, kann man genauso gut bei Soziologen oder beim DIW nachlesen. Ich bin auch der Überzeugung, dass man nur, indem man auch selbst nachdenkt und mit dem befremdlichen Gefühl eines Anderen konfrontiert wird, selbst anstoßfähig wird und darauf reagieren kann. Vielleicht sagt man, hat die sie noch alle, oder die hat ja recht, oder mir geht’s ja auch so… – Es muss sich jemand zeigen, damit man ein Gegenüber hat, auf den man reagieren und mit dem man sich austauschen kann. Deshalb war mir diese persönliche Form so wichtig. Mir ging es nicht um Eitelkeit, sondern mein Buch ist eine Einladung zum gegenseitigen Austausch.

RALPH KRÜGER: Wie sind Sie vom Schreiben her an dieses Buch gegangen? Sie hatten die Grundidee zu dem Buch. Haben Sie dann zunächst eine Gleiderung oder ein Exposé geschrieben?

KATHRIN FISCHER: Das darf man eigentlich überhaupt nicht erzählen… Es war ganz chaotisch. Es gab dieses Gefühl „Generation Laminat“. Dann war der Verlag interessiert, und ich habe eigentlich nur ein kurzes Exposé geschrieben, in dem es um diese Generation geht, die sich nichts für Ihre Zukunft erhofft hatte, außer dass es immer so weiter geht wie bisher, und die jetzt merkt, dass es nicht geht. Dann gab mir der Verlag grünes Licht. Danach habe ich angefangen zu lesen, und deshalb hat mein Buch auch etwas von einem Entwicklungsroman. Die ich am Anfang war, war ich am Ende des Buches nicht mehr. Ich habe mich beim Schreiben meines Buches verändert. Hätte ich noch mehr Zeit gehabt, hätte ich vielleicht gesagt, ich schmeiße alles weg und schreibe das Buch noch einmal neu. Das wäre aber wahrscheinlich blöd gewesen, denn jetzt gefällt mir mein Buch so, wie es ist.

RALPH KRÜGER: Diese Entwicklung ist ja auch für den Leser spannend mitzuverfolgen.

KATHRIN FISCHER: Es ist genau so wie es meine Freundin, die ich in dem Buch zitiere, sagte: Es ist ja total spannend, ich frage mich die ganze Zeit, worauf das Buch hinausläuft. Das habe ich mich während des Schreibens auch oft gefragt. Ich saß da und hatte den Abgabetermin vor Augen und fragte mich auch oft, worauf läuft mein Buch eigentlich hinaus? Das war schon ein ziemlich intensiver Prozess. Die Struktur mit den bröckelnden Eckpfeilern ist mir relativ schnell klar geworden nach meinem Interview mit Berthold Vogel vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen.

RALPH KRÜGER: Die bröckelnden Eckpfeiler Arbeit, Staat und Familie.

KATHRIN FISCHER: Genau. Was aber als Conclusio herauskommt, die Frage, kann oder soll man Gewalt anwenden, wie kann man Widerstand machen – die blieb bis zum Ende offen.

RALPH KRÜGER: Wie lange haben Sie insgesamt in etwa an dem Buchprojekt gearbeitet?

KATHRIN FISCHER: Richtig dran geschrieben habe ich etwa ein halbes Jahr. Vieles von dem, was ich im Buch verwende, habe ich schon vor längerer Zeit gelesen und es beschäftigte mich schon länger. Auch einige Aspekte meines Buch über die Scham, das ich 2004 gemacht hatte, passten da plötzlich wieder rein. Da merkte ich, dass ich mich schon damals mit Sachen beschäftigt hatte, die mich bewegten und innerlich beunruhigten.

RALPH KRÜGER: Gibt es denn schon ein neues Projekt, an dem Sie arbeiten?

KATHRIN FISCHER: ich habe jetzt seit zwei Monaten einen neuen Job und arbeite an der Uni in Flensburg als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit. Ich bin an einer Uni, die im Aufbruch ist, mein Sohn und ich, wir sind von Frankfurt nach Flensburg gezogen: alles neu, alles anders. So gesehen, habe ich auch ohne Buchprojekt jede Menge zu tun. Aber ich finde diese Art zu schreiben schön und kannes mir wieder einmal vorstellen zu machen. Dazu muss es aber auch ein Thema sein, das mich wirklich packt. Im Moment sind mei Sohn und ich aber erst einmal damit beschäftigt, gemeinsam anzukommen und uns zu orientieren.

RALPH KRÜGER: Dann wünsche ich Ihnen dabei viel Erfolg und danke Ihnen sehr für dieses ausführliche Gespräch.

KATHRIN FISCHER: Vielen Dank.

 

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