Johannes Forner: „Das Wunder Mendelssohn“
Am: | September 7, 2009
Der deutsche Komponist Robert Schumann bezeichnete Felix Mendelssohn-Bartholdy als den „Mozart des 19. Jahrhunderts“. Und in der Tat galt Mendelssohn schon zu seiner Zeit als „Wunderkind“, das aus einer hoch angesehenen jüdischen Familie stammte.
Felix Mendelssohn wurde am 3. Februar 1809 in Hamburg geboren, doch schon im Sommer 1811 flieht die ganze Familie nach Berlin, um den Auswirkungen der napoleonischen Kontinentalsperre zu entgehen.
Felix’ Großvater väterlicherseits war Moses Mendelssohn, der berühmte deutsch-jüdische Philosoph und Wegbereiter der jüdischen Aufklärung (Haskala).
Bereits früh machte sich die musische Begabung von Felix und seiner Schwester Fanny bemerkbar. Die Eltern förderten dieses Talent und ließen beide Kinder das Klavierspiel erlernen.
Die guten Verbindungen der angesehenen Familie um Abraham Mendelssohn ermöglichten es, dass Felix Mendelssohn 1820 bereits im zarten Alter von 11 Jahren in die renommierte Berliner Singakademie zum Studium der Musik aufgenommen werden konnte.
Etwa zur gleichen Zeit wies der Vater Abraham jedoch seine Tochter Fanny in ihre beruflichen Schranken, obwohl sie bei der Komposition von musikalischen Stücken über eine ähnliche Begabung wie ihr Bruder Felix verfügte. Der Vater schreibt in einem Brief an seine Tochter Fanny: „Die Musik wird für ihn [Felix] vielleicht zum Beruf, während sie für Dich stets nur Zierde, niemals Grundbasis Deines Seins und Thuns werden kann und soll.“
Dies waren klaren Worte, und zu jener Zeit war damit auch das Schicksal von Fannys musikalischer Karriere besiegelt.
Die nächste Weichenstellung bei der Vorbereitung einer goldenen Zukunft für die Kinder durch den Vater betrifft die Religion. Die Mendelssohns sind assimilierte Juden, und die Ausübung ihrer Religion hat längst nicht mehr dieselbe Bedeutung wie zur Zeit des Großvaters Moses Mendelssohn.
So liegt es nahe, dass Abraham Mendelssohn im Sinne einer weiteren Assimilierung der Familie seine vier Kinder im Jahr 1816 protestantisch taufen ließ. Um diesen Schritt auch deutlich sichtbar zu vollziehen, tragen die Kinder zukünftig auch den Nachnamen des älteren Bruder Abrahams, Jacob Bartholdy.
Doch Felix ist mit diesem zusätzlichen Namen nicht einverstanden und wehrt sich gegen den christlichen Beinamen. Er wird zeitlebens den Namen „Bartholdy“ nur widerwillig tragen und lässt ihn vor allem bei Auslandsreisen in Länder, in denen die Emanzipation der Juden weiter voran geschritten war als in Deutschland, am liebsten weg.
Felix Mendelssohn ist ein hochbegabter Künstler, der nicht nur als Musiker und Komponist, sondern auch als Zeichner, Aquarellist und als brillanter Briefeschreiber der Nachwelt ein interessantes und breites Oeuvre hinterlassen hat.
Die Nachwelt bemüht sich auch heute noch – und ganz besonders im 200. Geburtsjahr Felix Mendelssohns -, das ganze Ausmaß dieser Mehrfachbegabung, dieses Gestalters des Musiklebens und die Gefährdungen zu beschreiben, denen dieser genialische Geist ausgesetzt war.
Sein ganzes Leben hindurch war er mit seiner Schwester Fanny auf das Innigste verbunden. Es war mehr als die Liebe zu einer Schwester. Es war die Verbundenheit, die durch die gemeinsame Liebe zur Kunst und zur Musik auch noch verstärkt wurde.
Als Fanny 1847 plötzlich starb, erlitt Felix einen Schock, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Felix zog sich völlig aus dem öffentlichen Leben zurück. Nach zwei Schlaganfallen verlor er das Bewusstsein und starb mit nur 38 Jahren am 4. November 1847.
Im Verlag Faber & Faber, Leipzig, ist nun ein Buch erschienen, das sich um ein Charakterbild Mendelssohns bemüht. Es soll dem Leser einen Einblick geben in das Leben und Wirken dieses bedeutenden Künstlers, den auch Goethe als kleinen Jungen spielen sah und von seinem Talent begeistert war.
Es war auch Felix Mendelssohn, der, wie er selbst scherzhaft bemerkte, „als Jude den Christen ihren Christus wieder schenke“, als er Johann Sebastian Bachs „Matthäuspassion“, die seit gut 100 Jahren nicht mehr aufgeführt wurde, neu arrangierte und in der Berliner Singakademie zur Aufführung brachte.
Sein Oratorium „Elias“, mit dem sich Mendelssohn mehr als 10 Jahre lang beschäftigte, krönt sein künstlerisches Werk und zeigt, wie weit der ursprünglich jüdische Komponist mit seinen Arbeiten in den christlichen Themenkosmos vorgedrungen ist. Was hätte die Nachwelt alles erwarten dürfen von diesem Ausnahmekünstler, wäre er nicht so früh gestorben.
Johannes Forner war von 1972 bis 1981 Chefdramaturg des Gewandhaus-Orchesters in Leipzig. Zu jener Zeit war er der engste Mitarbeiter des ehemaligen Gewandhaus-Kapellmeisters Kurt Masur. Heute ist er Professor für Musikwissenschaft an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater. In zahlreichen Publikationen befasste er sich mit Bartok, Beethoven, Mendelssohn-Bartholdy, Brahms, Wagner und der Musikgeschichte der Stadt Leipzig.
Mit diesem Buch ist ihm ein faszinierendes Charakterbild den „Wunders Mendelssohn“ gelungen, das durch viele Auszüge aus Briefen und anderen Originaldokumenten ergänzt wird. Die Lektüre macht Lust darauf, mehr von einem der bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts zu erfahren.
Autor: Johannes Forner
Titel: „Das Wunder Mendelssohn“
Gebundene Ausgabe: 280 Seiten
Verlag: Faber & Faber, Leipzig
ISBN-10: 3867300909
ISBN-13: 978-3867300902