Julia Friedrichs: „Gestatten: Elite – Auf den Spuren der Mächtigen von morgen“
Am: | Mai 24, 2009
Elite, das Wort war viele Jahre in der Bundesrepublik tabu. Elite – das klang nach Auslese, nach Herrenrasse, Abgrenzung von den Minderwertigen und Ausgrenzung der Schwächeren.
„Survival of the fittest“, die darwinistische Grundthese des Rechts des Stärkeren, galt nicht als eine vernünftige Grundlage des bundesrepublikanischen Bildungssystems. Chancengleichheit und die Förderung der Lernschwachen, das waren die politischen Vorgaben, die man sich in all den Jahrzehnten seit Bestehen der Bundesrepublik stolz auf die Fahnen schrieb. Jeder sollte und konnte sich, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, an den gleichen Möglichkeiten einer grundsoliden Bildung und Ausbildung erfreuen. Und jetzt? Elite?
Ganz offen wurden in Deutschland erst wieder während der Schröder-Ära von „Eliten“ gesprochen. Leistung müsse sich wieder lohnen, und wer schlauer ist als die Anderen, der sollte auch eine entsprechende Förderung seiner Ausbildung genießen dürfen.
Unverhohlen wurde der Begriff der „Elite“ als Sahnehäubchen der deutschen Intelligenz verwendet, das steif und stolz auf dem dünnen Kaffee der Mittelmäßigkeit schwamm.
Bezeichnenderweise fällt diese „Elitisierung“ der Bildung unter Gerhard Schröder genau in jene Zeit, als die Gesetze um Hartz IV verabschiedet wurden, die zur breiten Prekarisierung der armen Schichten in Deutschland führten.
Im Nachhinein scheint es so, als ob unsere dem Gedanken der sozialen Gleichberechtigung und dem Sozialstaat verbundene Gesellschaft plötzlich sowohl nach oben als auch nach unten hin offen wurde. Der unsere Gesellschaft umhüllende Schutzpanzer der sozialen Marktwirtschaft, der unten schützend und oben begrenzend wirkte, wurde weg gezogen und machte den Begriff der „Leistungseliten“ auf der einen und der „Minderleister“ auf der anderen Seite gesellschaftsfähig.
Aber wie definiert sich eigentlich der Begriff der „Eliten“? – Wer gehört dazu? Wer muss draußen bleiben? – Christopher Jahns, der Direktor der European Business School (EBS) beschreibt Eliten mit den folgenden Worten: „Elite heißt (…), dass wir besonders talentierte Studenten als Elite von morgen ausbilden. Damit meine ich Menschen, die zum Einen umfassende wissenschaftliche Kenntnisse haben, also fachlich nicht zu schlagen sind. Management-Kompetenz ist für mich aber eher ein Handwerk. Elite zu sein, bedeutet mehr. Wir wollen, dass sich die Studenten persönlich fortbilden, Fertigkeiten, Verantwortungsbewusstsein und soziale Kompetenz entwickeln, so dass sie später in der Wirtschaft und Gesellschaft Führungspositionen ausfüllen können, in denen sie andere leiten, führen und ihnen Vorbild sind. Das ist für mich mit dem Elitebegriff verbunden.“
Eliten sind Menschen auf dem Weg nach oben. Karriere in den Chefetagen der Banken, Unternehmensberatungen und internationalen Großunternehmen. Bei der Lektüre von Julia Friedrichs’ Buch wird klar, dass die angehenden Eliten bereits während der Ausbildung in einer Art „Parallelwelt“ leben. Dabei entscheidet allein die Leistung über den Erfolg der Ausbildung. Die Studenten stehen in einem permanenten Wettbewerb untereinander; es gibt ein regelmäßiges Ranking, und die Studenten der obersten Plätze haben die besten Berufsaussichten nach ihrem erfolgreichen Abschluss.
Leistung als Erfolgskriterium ist ja an sich nicht verkehrt; aber wenn jeder, der unter 50-60 Wochenstunden arbeitet, als so genannter „Minderleister“ oder „Niedrigleister“ betrachtet wird, dann scheint bei dieser völligen Ausrichtung auf Leistung der Aspekt der soziale Kompetenz in der Ausbildung der Eliten zu kurz zu kommen.
Das Klettern auf der Karriere-Leiter ist so lange kein Problem, solange man mitspielt. Was aber braucht man, um wirklich zur Elite von morgen dazu zu gehören? – „Four E’s and one P“ nennt es ein Coach an der EBS in einer Veranstaltung für Studienanfänger: Edge (grenzenloses Denken), Energy (Initiative zeigen), Energize (Mitarbeiter führen), Execute (Dinge mit maximaler Wirkung umsetzen) und Passion (emotionale Begeisterung). Alles Andere ist „gelerntes Handwerk“, wie es Christopher Jahns von der EBS oben nannte.
Permanente Weiterbildung und eben „emotionale Begeisterung“ sin unentbehrlich für eine Karriere in elitären Gefilden. Kommt dieser Prozess des Dauerbrennens und der Selbstausbeutung ins Stocken, so heißt die Devise ganz schnell „EDEKA“ (Ende der Karriere).
Julia Friedrichs hätte selbst in diese illustren Kreise, die in ihrem Buch beschrieben werden, mit einem sechsstelligen Jahresgehalt aufsteigen können; das lukrative Job-Angebot von McKinsey lag bereits vor. Zum Glück entschied sie sich jedoch gegen eine Karriere bei der internationalen Unternehmensberatung und blieb dem Journalismus treu.
Ihre Nachforschungen nehmen den Leser mit auf eine Reise in eine fremde Welt, die Welt der Eliten in Deutschland. Es ist eine parallel zur realen Gesellschaft existierende Scheinwelt, in der Geld weniger wichtig ist, als man annehmen könnte. Schneller Reichtum ist nur ein Motiv unter vielen, wenn man die angehende Elite nach ihren Motiven befragt; der Wunsch, Verantwortung zu übernehmen und etwas in Gesellschaft und Wirtschaft bewirken zu können, ist oft wichtiger als Geld. Geld hat in diesen Kreisen, eben weil es da ist, viel weniger Bedeutung als dort, wo es fehlt.
Ein ganz großes Lob gebührt dem packenden Schreibstil der Autorin. Der Leser pendelt mit Julia Friedrichs gemeinsam zwischen ihrer Berliner Studenten-WG und den Top-Adressen elitärer Ausbildung und der Berufswelt der Absolventen.
Durch diese ständigen Wechsel wird die Diskrepanz zwischen beiden Lebenswelten und die Parallelität der Welt der Eliten mit allen Sinnen erfahrbar.
Der persönliche Reportagestil erinnert an den Enthüllungs-Journalismus eines Günter Wallraff, allerdings mit dem Unterschied, dass sich Friedrichs bei der persönlichen Bewertung der geschilderten Verhältnisse bewusst zurück hält. Doch die im Buch aufgeführten Beispiele sprechen für sich.
Die Existenz von Eliten in Politik und Wirtschaft ist eine Realität. Man kann dies kritisieren oder gut heißen; es ändert nichts an der Tatsache, dass die Studenten und Absolventen jener Elite-Schulen die Zukunft unseres Landes in Top-Positionen maßgeblich mitbestimmen werden, und sie tun dies mit einer, wie es scheint, erschreckenden Unfähigkeit zur Empathie und mit mangelnder sozialer Kompetenz. Menschen sind nur ein Faktor unter vielen, nur ein Parameter im Rechenwerk der Unternehmens-Kennzahlen. – Das ist das eigentlich Gefährliche an den Eliten, und Julia Friedrichs’ Buch gibt das atmosphärisch sehr gut wieder.
An den meisten Elite-Unis werden die Studenten angehalten, sich auch sozial zu engagieren, und man muss während des Studiums so genannte „Sozialpunkte“ sammeln. In den meisten Fällen scheint dieses Engagement nur vordergründig zu sein und allein dem Zweck zu dienen, eben diese Sozialpunkte zusammen zu kriegen. So „engagiert“ man sich eben in der „Initiative Finanzen“, dem „Investment Club“ oder geht Blut spenden. Bis auf wenige Ausnahmen scheint das Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Menschen ein blinder Fleck in der Weltsicht der Eliten zu sein. Das ist gleichermaßen erschreckend und nachvollziehbar.
Die rein prozessorientierte Herangehensweise an ökonomische Aufgaben und die systemimmanenten Funktionsmechanismen einer immer noch nur an Gewinnmaximierung orientierten Unternehmensberatung führen zu einer nahezu vollkommenen Ausblendung der Wahrnehmung von realen, menschlichen Schicksalen hinter dem „human factor“ der Arbeitskraft.
Kapitalismus-Kritik kann man von diesen Eliten nicht erwarten; diese Aufgabe müssen schon Andere übernehmen. Und so gibt es auch noch die „Eliten der anderen Seite“. Das ist an sich ein Paradoxon, wie auch Michael Hartmann, Eliteforscher an der TU Darmstadt, weiß: „Elite hat immer mit Machtpositionen zu tun.“ – Wer Elite ist, ist also in der Regel in der Lage, Macht auszuüben. Es gibt aber auch Leute, die sich bewusst kritisch gegen die Macht stellen und dabei auch noch intelligent vorgehen. Solche Gegen-Eliten finden sich in den aktiven NGO’s (Nicht-Regierungs-Organisationen) wie Greenpeace oder attac. – Das ist irgendwie beruhigend.
Julia Friedrichs’ Buch „Gestatten: Elite“ sollte die Diskussion über die Aufgaben von Eliten in unserer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wieder neu anstoßen. Gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise haben die Protagonisten und Verfechter des alten, schrankenlosen, finanzwirtschaftlichen Systems sehr an Glaubwürdigkeit verloren. Das neoliberale Credo von den „sich selbst regulierenden Märkten“ wurde durch die Erfahrungen des vergangenen Jahres falsifiziert.
Es wäre nicht zuletzt die Aufgabe gerade der Eliten der Wirtschafts- und Finanzwelt, das ganze System neu zu denken und eine offene Diskussion über echte Alternativen zum bestehenden Finanzsystem und die Einführung geeigneter Schutzmechanismen zu führen.
Wer wissen will, wie die Welt der Eliten in Deutschland von innen aussieht, der findet in Julia Friedrichs die perfekte Reisebegleitung, die jene „Cream of the crop“ der Bildungseliten besucht und kritisch unter die Lupe genommen hat. Auf diese Weise entstand ein Stimmungsbild jener abgehobenen Managerklasse, für die das Wort „Armut“, das im Wörterbuch zwischen „Armani“ und „Arroganz“ steht, keine Bedeutung mehr hat und anscheinend auch keinen natürlichen Reflex sozialen Verantwortungsbewusstseins auszulösen scheint.
Hat man dieses Buch gelesen, wird die eigentliche Problematik der Eliten sehr deutlich: ihre faktische Abkoppelung vom Rest der Gesellschaft und ihre Blindheit für die Bewältigung der sozialen Konfliktfelder in Wirtschaft und Gesellschaft von morgen.
Autor: Julia Friedrichs
Titel: „Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen“
Gebundene Ausgabe: 255 Seiten
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN: 345550051X
EAN: 978-3455500516
Das Buch ist inzwischen auch als Taschenbuch erhältlich.
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