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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Jason & Mirco von Juterczenka: „Wir Wochenendrebellen“

Am: | September 25, 2019

Spannend, spannend — so kann Leben sein. Jason ist 12 Jahre alt. Und jung. Und sehr eigen. Denn er ist Autist mit Asperger-Syndrom. Als Behinderung sehen weder er noch seine Familie es. Denn es ist richtig so, wie es ist. Jason ist richtig so, wie er ist. Und seine Familie unterstützt ihn dabei, in diesem Leben zurecht zu kommen.

Jason selber sagt auch, die eigentliche Behinderung sei, wenn andere Menschen seine Regeln verletzen. Und das ist auch die Krux des Ganzen. Er stellt sie auf, kann nicht anders und erwartet mit Nachdruck die Einhaltung.

Sein Vater, der das Buch in enger Zusammenarbeit mit ihm geschrieben hat, schildert den Weg seiner Entwicklung und Ausnahmen. Denn der Buchtitel „Wochenendrebellen“ ist wörtlich zu nehmen: Es sind Zeiten, in denen Vater und Sohn durch das Land ziehen, um Fußballvereine und Fußballstadien kennenzulernen.

Anders kann sich Jason nicht zu einem Lieblingsverein entscheiden. Dafür muss er zunächst alle gesehen haben. Logisch, oder?! Er macht die Zugplanung, bestimmt, welche Vereine angesehen werden. Und dafür kann er am Wochenende beispielsweise mit Menschen-massen, die ihm im Alltag nicht genehm sind, sehr gut umgehen. So ein Stadion hat schließlich eine Menge Besucher.

Der Junge ist hochintelligent, interessiert sich für Chaostheorie und kann in diesen Bereichen einige Menschen belehren. Das möchte er nicht. Er will auch nicht sympathisch wirken oder aufmüpfig sein. Er möchte einfach nur er sein mit seinem — rein faktisch gesammelten — Wissen. Und es wäre ihm sehr angenehm, die Menschen wären auch so sachlich. Keine Sprüche, kein Sarkasmus, keine Doppeldeutigkeiten oder sogenannte Nettigkeiten.

Im Grunde steckt in jedem von uns ein Autist. Wer wünscht sich nicht einfach mal klare Kommunikation ohne viel Drumherum?! Das ist auch nicht so anstrengend und bringt weiter.
Mirco Juterczenka möchte sensibilisieren. Denn die „Behinderung“ kann auch Bereicherung sein. Und es geht nicht um Defizite — das wird normalerweise gerne hervorgehoben. Oder romantisiert als „Genie“ mit einzigartigen Fähigkeiten. Sein Sohn, um den es hier geht, ist ein Mensch. Und als solcher einzigartig genug. Mit genialen Fähigkeiten in manchen Dingen. Mit absolutem Unvermögen in anderen Dingen. Und den Autisten als solchen gibt es nicht.

Übrigens — hier geht es viel um Fußball. Ich interessiere mich „minus null“ für Fußball, in keiner Situation, überhaupt nicht. Aber sogar mir wurde diese besondere Stimmung eines Fußballspiels durch dieses Buch nahegebracht! Viele Hintergründe vermittelt, von denen ich noch nie gehört hatte. Und dieses Wirtschaftskonstrukt Fußball beiläufig beschrieben in unterhaltsamer Art und Weise.

Mit brutaler Offenheit erzählt der Vater auch von kaum vorstellbaren Situationen. In denen Eltern alles abverlangt wird, sie über eigene Grenzen gehen müssen. Da der Junge eine Naturgewalt sein kann und seine teilweise heftigen Reaktionen — noch dazu in der Öffentlichkeit — anders nicht zu handhaben wären. Der Vater macht es. Aus Liebe. Und der Sohn fordert es von ihm. Er liebt sicher auch, in seiner eigenen Weise. Aber es ist aus seiner Sicht schlicht eine Notwendigkeit, wenn er beispielsweise bestimmte Rahmensituationen für den Toilettengang auch auf der Reise fordert.

Gut zu lesen ist auch, wie Mirco Juterczenka seine Empfindungen dabei zulässt. Er versteht seinen Sohn. Aber lässt auch seine Gefühle dabei zu, vor allem sich selbst gegenüber. Und er hat gelernt, die Liebe seines Kindes aus ganz anderen Dingen zu erkennen. Da ist nicht spontanes Kuscheln oder gar eine Liebeserklärung drin. Aber viele andere Dinge. Und der Lohn für ihn ist sowieso zu sehen, wie dieser Junge über das ganze Gesicht strahlt, Fortschritte macht und seinen Weg findet.

Die Beiden haben für ihren Fußball-Podcast Preise gewonnen. Mit diesem Buch bzw. diesen Einnahmen werden soziale Dinge gefördert. Alles angeschoben von Jason. Es ist Unterhaltung, Faszination. Und irgendwie tröstlich. Denn jeder ist eigen. Und mit gutem Willen kann auch jeder seine Nischen finden. Wäre schön, mehr Menschen denken darüber nach!

Alles in allem, beim Lesen vergisst man die Zeit. Es ist wie ein Gespräch, eben eine Erzählung. Man fühlt mit, kommt ins Nachdenken, leidet mit und ist fasziniert. Und lernen lässt sich eine Menge, auch ganz nebenbei. Über Menschen, Fußball, mögliche Familienformen, mögliche Beziehungen zwischen Eltern und Kindern.

Jetzt ist „Wir Wochenendrebellen“ auch als preisgünstiges Taschenbuch bei Goldmann erschienen. Noch ein Grund mehr, sich diese spannende und bewegende Lebensgeschichte anzuschauen.

(cs)

 

Autor: Jason & Mirco von Juterczenka
Titel: „Wir Wochenendrebellen“
Taschenbuch: 288 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag
ISBN-10: 344215975X
ISBN-13: 978-3442159758

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