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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Barbara Streidl: „Langeweile“

Am: | August 6, 2018

In Reclams kleiner Buchreihe der „100 Seiten“ finden sich Titel über dies und das, über Gott und die Welt — warum also nicht auch über die Langeweile?! Wir alle kennen Langeweile. In der Regel wird sie als ein ungeliebter Zustand empfunden, den man möglichst schnell wieder beenden und überwinden möchte. So assoziieren wir mit Langeweile meist Stillstand, Warten und Zeitverschwendung. Dies ist ein spätes Erbe unserer vom Christentum und vom anglo-amerikanischen Kapitalismus geprägten Gesellschaft; spätestens seitdem Benjamin Franklin 1748 in seiner Schrift „Advice to a Young Tradesmen“ das Motto „Zeit ist Geld“ herausgegeben hatte, wurde die Zeit ökonomisiert und dem Rentabilitätsdenken unterworfen.

Barbara Streidl zeigt in ihrem schlauen Essay über die Langeweile, dass wir sie aber auch ganz anders interpretieren könnten: als eine Zeit des Durchatmens, der Entschleunigung sowie als Quelle und Vorbedingung jeder Form von Kreativität. Denn der angestrengte und in stressige Arbeitsprozesse eingebundene Geist hat einfach keine Zeit für Kreativität; so gesehen, kann schnell aus einem ungeliebten und als sinnlos erachteten Wartezustand eine begrüßenswerte Unterbrechung des permanenten Wettlaufs werden.

Entstanden ist die Idee zu diesem Buch aus einer persönlichen Notlage der Autorin heraus: Durch eine Hirnhautentzündung vorübergehend an ein Krankenhausbett gefesselt, wurde sie plötzlich mit einer Situation konfrontiert, die für das Aufkommen von lähmender Langeweile prädestiniert zu sein scheint. Doch das Gegenteil war der Fall!

Barbara Streidl empfand die Langeweile ihrer Tage im Krankenhausbett, in dem sie in regelmäßigen Abständen ihre Infusionen empfangen hat, durchaus nicht als quälend, sondern als sehr angenehm: Es war eine Auszeit vom Alltag, deren Ende absehbar war und der sie sich nicht entziehen konnte. Da es ihr körperlich und mental nicht schlecht ging, nutzte sie diese entschleunigte Zeit und genoss die Langeweile.

Wie man die Langeweile interpretiert und wie man mit ihr umgeht, hängt von der jeweiligen Sichtweise ab. In der Philosophiegeschichte haben Blaise Pascal, Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer eine ziemlich klar (und negative) Vorstellung von der Langeweile, denn sie sind der Meinung, dass der Mensch ein Bewegungstier ist und sich durch Handlungen definiert. Nietzsche hingegen hat immer gerne provoziert, und so überrascht es auch nicht, dass er durchaus positiv über die Langeweile geschrieben hat.

Gehen wir zurück in die griechische Antike, so begegnet uns der Begriff der acedía (ἀϰήδεια), die später in der frühchristlichen Tradition der Kirchenväter und durch Thomas von Acquin schnell zu einer der sieben Wurzelsünden wird. Zunächst bedeutet ἀϰήδεια ja einfach nur „Sorglosigkeit“; doch im christlichen Kontext wurde die ἀϰήδεια schon bald als „Faulheit“, „Langeweile“ und „Nachlässigkeit“ negativ konnotiert.

Kann man 100 Seiten über Langeweile schreiben, ohne langweilig zu werden? Natürlich kann man das! Der Autorin ist es auf jeden Fall gelungen, das Thema mit Leben zu füllen. Zum einen begeht sie nicht den Fehler, eine rein theoretische Abhandlung über den Begriff der Langeweile verfassen zu wollen, sondern schreibt aus der Ich-Perspektive über die Langeweile.

Zum anderen unternimmt sie einen Streifzug durch die Wissenschaften und bindet Quellen aus Philosophie, Psychologie und Literatur in ihre umfassende Betrachtung des Phänomens mit ein. Dadurch erhält der Text eine intrinsische Dynamik, die den Leser bei Laune hält und so etwas wie Langeweile niemals aufkommen lässt. Ein wunderbar leicht zu lesendes und spannendes Büchlein, das man nicht nur zur Hand nehmen sollte, wenn einem langweilig ist!

 

 

Autor: Barbara Streidl
Titel: „Langeweile“
Taschenbuch: 100 Seiten
Verlag: Reclam Verlag
ISBN-10: 3150204534
ISBN-13: 978-3150204535

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