Carl Hoffman: „Frauen & Kinder zuerst – Die gefährlichsten Reisen der Welt“
Am: | Juli 22, 2011
„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat haben.“ Besser als Theodor Fontane kann man die Message dieses Reisebuchs nicht auf den Punkt bringen. Carl Hoffman hat sich auf reisen begeben. Nun gut, das ist nun wirklich keine Meldung wert, denn Millionen von Menschen sind permanent auf Reisen und versuchen in der Regel, so schnell und bequem wie möglich von A nach B (und meisten s auch wieder zurück) zu kommen.
Carl Hoffman hat gleich in mehrfachem Sinne einen anderen Weg gewählt. Seine Reisen gehören zu den gefährlichsten, abgründigsten, aufregendsten, ja wahnwitzigsten Touren, die man sich vorstellen kann bzw. lieber gar nicht erst vorstellen möchte.
Doch zusammen gepresst zwischen zwei Buchdeckeln kann man den wohligen Schauer des „Armchair Traveller’s“ genießen, der nur liest, was der andere erlebt und erlitten hat. Vielleicht ist das auch der eigentliche und zentrale Sinn und Zweck jeder Form von Literatur: ein Gefühl beim Leser auszulösen, das er ohne die Lektüre nicht gehabt hätte, ja, ihm den Zugang zu einer Welt zu eröffnen, die ihm sonst verschlossen geblieben wäre.
Und was für eine Welt zeigt uns der Autor da! In „Frauen und Kinder zuerst!“ Start- und Zielpunkt seiner Weltreise ist Washington D.C. an der amerikanischen Ostküste. Alles ganz bequem und im gewohnten amerikanischen Luxus? Von wegen!
„’Los, los, los!’ rief eine Chinesin vor dem New Century Busbüro, einem heruntergekommenen Kellerraum in einem alten Regierungsgebäude in Washingtons winziger Chinatown. Der Bus wartete um die Ecke, und der Fahrer wollte losfahren. Und zwar sofort.“
So beginnt also die Reise um die Welt in einem so genannten „China-Bus“ durch die K Street in Richtung New York. Carl Hoffman reiste mit dem Flugzeug, dem Bus, im Auto und im LKW, fuhr mit Zügen oder Schiffen von Kanada über Kuba nach Südamerika, von dort nach Afrika und weiter im Zick-Zack-Kurs nach Südost-Asien, Indien, Afghanistan, in die Mongolei, nach Russland und zurück an die Westküste Nordamerikas.
Reisen bringt uns den Menschen näher, und Hoffman wollte dabei vor allem den normalen Reisenden näher kommen, die eben nicht in der Business Class um die Welt fliegen, um möglichst schnell von einem Punkt der Welt an einen anderen zu kommen, der genau so aussieht wie der Ort, den sie verlassen haben.
Hoffman reist wie die Armen reisen. In vollgepferchten Bussen, in Zügen ohne Klimaanlage, Fenster und Toiletten, auf Schiffen, die mit doppelt so vielen Menschen beladen werden als ihre Zulassung erlaubt, und in klapprigen Flugzeugen, deren Absturzquote besorgniserregend hoch ist.
Unfälle sind auf diesen Reisen eher die Regel als die Ausnahme, und doch bleibt den Menschen, mit denen Hoffman reist, nichts anderes übrig als mitzufahren. Denn oft ist es die Fahrt zu einem neuen Leben, zum Job, zur Beschaffung von Nahrungsmitteln oder einfach zur Familie oder weg von ihr. Hoffman begegnet vielen dieser Menschen und lässt auch den Leser hautnah am Schicksal dieser Menschen teilhaben.
Nach solch einer Reise schaut man anders auf diese Welt. Unsere Luxus-Insel des industrialisierten Nordens macht sich in der Regel keine Vorstellung davon, was Reisen im Süden für die Menschen bedeutet. Es ist vielfach ein Kampf ums Überleben mit dem permanenten Risiko des Absturzes, des Unfalls und der Auslöschung der eigenen Existenz.
Der Autor ist selbst ohne größere Schäden mit diesen Menschen um die Welt gereist. Es hat sein Denken verändert, wie er in einem Trailer zu seinem Buch auf YouTube eindrucksvoll erzählt.
Die Ironie der Geschichte: Die letzte Etappe seiner Weltreise trat Hoffman in den USA an. Er fuhr mit dem Greyhound-Bus von Kalifornien nach Washington D.C. – oder besser: er versuchte es. Denn der Bus brach zusammen und hatte einen Totalschaden, so dass er die Gesamtstrecke nicht schaffen konnte.
Autor: Carl Hoffman
Titel: „Frauen & Kinder zuerst – Die gefährlichsten Reisen der Welt“
Broschiert: 352 Seiten
Verlag: btb Verlag
ISBN-10: 3442753120
ISBN-13: 978-3442753123
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