Michael Schindhelm: „Dubai Speed – Eine Erfahrung“
Am: | Januar 19, 2010
Vielleicht am schönsten und prägnantesten hat Peter Rosinski am Ende seines Podiumsgesprächs mit Michael Schindhelm im Roten Salon der Berliner Volksbühne im Dezember 2009 das Resümee zu Michael Schindhelms Dubaier Gastspiel gezogen: „Gescheitert aber gescheiter.“
Michael Schindhelms Versuch, als designierter Kulturmanager so etwas wie Kultur in Dubai einzuführen, war vielleicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Über 80% der Bewohner von Dubai sind Ausländer. Menschen aus aller Welt, die als „Gastarbeiter“ in die Vereinigten Arabischen Emirate gekommen sind, um hier das große oder kleine Geld zu machen.
Dubai ist ein in der Welt einzigartiges Projekt, ein auf Wüstensand gebautes Super-Disneyland, ein kapitalistisches Versuchslabor, das mit seinem Prunk und Reichtum alles Dagewesene in den Schatten stellt.
Kürzlich wurde das welthöchste Gebäude, das „Dubai Burj Khalifa“ eröffnet. Mit seinen 828 Metern Höhe hat es nicht nur 2,5 x so hoch wie der Eiffelturm, sondern es ist auch ein schönes Beispiel für den maßlosen Reichtum des kleinen Beduinen-Volkes am Golf.
Kultur findet in Dubai nicht statt. Sie gehört zu den „weichen Standortfaktoren“ und ist letztlich entbehrlich. Meint man. Die Taktgeber dieser multinationalen und ausschließlich am Profit orientierten Gesellschaft sind die Geldströme der Finanzmärkte.
Wenn das Bild nicht so verbraucht wäre, könnte man davon reden, dass der Reichtum Dubais wirklich „auf Sand gebaut“ ist. Doch im Sommer 2009 brachen auch über Dubai die Auswirkungen der globalen Finanzkrise herein und brachten den Kurs des glitzernden Wüstenschiffes ins Schlingern. Nicht nur das Großprojekt „Dubai World“ wurde Ende 2009 fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, kam in finanzielle Schwierigkeiten und verursachte einen milliardenschweren Verlust. Seit der Krise ist auch am Golf Ernüchterung eingetreten.
Für eine vermeintlich überflüssige Ware wie „Kultur“ war nun weder Zeit noch Geld übrig. Schindhelms Aufgabe galt als beendet noch bevor er sein Projekt fertig stellen konnte. Er hatte dies früh genug erkannt und war bereits im Sommer 2009 nach Deutschland zurück gekehrt.
Von 2007 bis 2009 war Schindhelm als Kulturmanager in Dubai tätig. Er arbeitete an der Errichtung eines Opernhauses und weiterer Kulturstätten, scheiterte jedoch nicht nur an den täglichen Schwierigkeiten, die sich aufgrund der kulturellen Unterschiede ergaben, sondern letztlich am Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise, deren Ausläufer auch die Vereinigten Arabischen Emirate erfassten.
Während dieser Zeit schrieb Michael Schindhelm ein Tagebuch, in dem er seine Gedanken und Erlebnisse verarbeitete. Die Erfahrung eines Jahres ist nun unter dem Titel „Dubai Speed“ erschienen. Es ist das Logbuch eines Kulturarbeiters. Um ein weiteres biblisches Zitat in den Wüstensand zu werfen, könnte man Schindhelms Aufgabe auch als die eines „Predigers in der Wüste“ beschreiben, dem kaum einer zuhört, den aber alle irgendwie toll und wichtig finden. Jemanden in aller Freundlichkeit auflaufen zu lassen, war schon immer die perfideste und eleganteste Art, ihn außer Gefecht zu setzen.
„Dubai Speed“ liest sich schnell und spannend. Es ist der Reisebericht eines kulturellen Wanderers. Schindhelm lernt die multinationale und multikulturelle Gesellschaft der Emirate von innen kennen, hat jedoch nur wenige Berührungspunkte zur einheimischen Bevölkerung, bildet seinen internationalen Stamm von Mitarbeitern und lebt in seinem Netzwerk seltsam losgelöst von gesellschaftlichen Einflüssen.
Genauer gesagt, ist Dubai ist ein Modellversuch, denn „die“ Gesellschaft gibt es hier nicht. Wo jetzt die glitzernden Fassaden der Wüstenmetropole den nächtlichen Himmel erleuchten, war vor wenigen Jahrzehnten Wüstensand. Die Ureinwohner dieses Landstrichs sind Beduinen. Das Öl hat den Reichtum gebracht und eine einzigartige Explosion des Wohlstands ausgelöst, mit der die kulturelle Entwicklung nicht mithalten konnte. Der Zusammenprall mit einer Überzahl an Menschen aus anderen Teilen der Welt und aus anderen Kulturen hat ebenfalls zu kulturellen Verwerfungen geführt.
Die Zusammenführung der kulturellen Identität der einheimischen Bevölkerung mit den multikulturellen Einflüssen der „Gastarbeiter“ wäre Schindhelms Aufgabe gewesen – eine Aufgabe, die überfordern muss und die nur über einen Zeitraum von vielen Jahren und in einer gemeinsamen Anstrengung aller Verantwortlichen bewältigt werden kann.
Michael Schindhelm sieht sein Projekt nicht als gescheitert an. Das Ende seines Einsatzes am Persischen Golf stellt nur das Ende eines Kapitels einer längeren Geschichte dar. „Die Geschichte dieser Stadt und ihrer Menschen ist offen. Ich habe mir die Überzeugung bewahrt, dass Dubai und die Golfregion – allen gegenwärtigen Widersprüchen und Schwächen zum Trotz – daran arbeiten, eine politische und soziale Alternative zu ihren oft in Unfrieden, sozialer Ungerechtigkeit und religiösem Fanatismus verhafteten Nachbarn aufzubauen. Das wird ihnen nur im Dialog mit Menschen aus aller Welt gelingen. Dieser Dialog hat vielleicht gerade erst begonnen.“
Das Fazit des Autors klingt optimistisch, wenngleich Schindhelms Erfahrungsbericht seiner permanenten Reibung an den kulturellen Widerständen dem Leser ein anderes Resümee nahe legen könnte. Der Report dieser Erfahrung kann aber auch zwischen den Zeilen gelesen werden als eine Anleitung zum kulturellen Arbeiten in weniger extremen Gegenden. Wenn es zum Beispiel um den kulturellen Dialog zwischen Ost und West geht, der auch in Deutschland zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer noch immer nicht als beendet angesehen werden sollte.
„Dubai Speed“ ist ein hoch aktuelles Buch. Ein schlaues und klüger machendes Buch. Ein lesenswertes Buch für alle, die sich mit Kultur beschäftigen.
Autor: Michael Schindhelm
Titel: „Dubai Speed – Eine Erfahrung“
Taschenbuch: 256 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423247681
ISBN-13: 978-3423247689
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