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Hans-Olaf Henkel: „Die Abwracker“

Am: | Dezember 1, 2009

Hans-Olaf Henkel: "Die Abwracker - Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen"In diesen Krisenzeiten beschleicht den einen oder anderen vielleicht eine düstere Ahnung, wenn er die täglichen Nachrichten aus Politik und Wirtschaft verfolgt. Könnte es sein, dass unsere Politiker nicht über die richtigen Ideen verfügen, wie das Land aus der Krise zu führen ist?

Natürlich gibt es keine Patentrezepte, und außergewöhnliche Umstände erfordern kreative Maßnahmen. Aber gerade hieran mangelt es in der Berliner Republik. Könnte es vielleicht sogar sein, dass die Politik gar nicht an einer echten Bekämpfung der Symptome interessiert ist? Das wäre viel zu unpopulär und würde Wählerstimmen kosten.

Hans-Olaf Henkel, ehemaliger BDI-Präsident und Vorstandsmitglied im Aufsichtrat mehrerer internationaler Unternehmen, malt in seinem neuen Buch „Die Abwracker“ ein sehr anschauliches Bild von den politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen der Berliner Regierung: Dem am Boden liegenden Patienten Deutschland wird nur schnell eine kleine Spritze verpasst, damit er am Leben bleibt; damit ist jedoch weder die Krankheit diagnostiziert noch werden die Symptome behandelt.

Die Weltwirtschaft ist krank, schwer krank. Was bisher unternommen wurde, glich allenfalls der Ersten Hilfe, die man einem Unfallopfer gibt: Wie der Notarzt eine Beruhigungsspritze verabreicht, hat man staatliche Garantien gegeben; wie er eine Bluttransfusion vornimmt, hat man den Banken Liquidität zugeführt; wie er Amputationen durchführt, um den restlichen Körper zu retten, hat man Giftpapiere in Bad Banks ausgelagert. Niemand würde auf die Idee kommen, all dies als echte Therapie zu bezeichnen.

Wahlgeschenke wie die „Abwrackprämie“ bescherten der Autoindustrie in diesem Jahr wieder satte Zuwächse; jetzt jammert man, dass die Verkaufszahlen auf breiter Front einbrechen, weil niemand mehr ein neues Auto braucht. Staatliche „Wachstumsbeschleunigungsmaßnahmen“ wie der Kündigungsschutz lassen der Wirtschaft die Haare zu Berge stehen. Wie durch solche Aktionen mehr Arbeitsplätze entstehen sollen, ist schleierhaft. Die „Kredit-Klemme“ in Deutschland wird zu einer echten Bedrohung der Wirtschaftsleistung.

Hans-Olaf Henkel ist Hanseat und ein kühler Rechner. In den vergangenen Jahren hat er sich immer wieder zu Wort gemeldet, hat kritische Anmerkungen zur Wirtschaftspolitik gemacht und dabei sowohl eine ausgewogene Distanz als auch einen kühlen Kopf bewahrt.

Jetzt jedoch legt er der Bundesregierung mit seinem neuen Buch „Die Abwracker“ die Rechnung vor. „Sie scheinen auf Zeit zu spielen und übersehen dabei, dass wir keine Zeit mehr haben“, sagt Henkel über die Verantwortlichen in Bonn.

Ein Bruder im Geiste ist der der Vorsitzende des renommierten ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Prof. Dr. Hans-Werner Sinn. Der weise Mann mit dem Vollbart und dem süffisanten Lächeln unterstützt Henkels Bemühungen um schnelle und tief greifende Entscheidungen in der Wirtschaftspolitik. Eine (Teil-)Verstaatlichung maroder deutscher Banken sei „immer noch besser als die Schaffung japanischer Verhältnisse“, sagte er bei der Berliner Buchpräsentation im Bundespresseamt. In Japan herrsche seit über 15 Jahren eine Deflation, genau so wie aktuell in Deutschland. Die Nachfrage stagniert und der Geldfluss ist ins Stocken geraten. Japan versucht seit vielen Jahren mit teuren Konjunkturpaketen die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, bislang erfolglos. Damit in Deutschland nicht dasselbe passiert, müsse man schnellstens gegensteuern und die Banken aus ihrer Eigenkapital-Klemme befreien. Dies geht am einfachsten durch eine teilweise Verstaatlichung.

Deutschland, einig Blasenland

Henkel postuliert, dass wir derzeit von drei gefährlichen Blasen umgeben sind: der Beschäftigungsblase, der Sozialversicherungsblase und der Schuldenblase. Wenn nur eine dieser Blasen platzt, dann gute Nacht, Marie. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass sich unser Land an einem gefährlichen Wendepunkt befindet. Wenn nicht bald wirklich greifende Maßnahmen verabschiedet werden und in der Regierungskoalition weiter gewurschtelt wird wie bisher, dann stehen wir vor einem echten Problem.

Die Krise, an die wir uns schon so gut gewöhnt haben, war erst ein kleiner anhebender Wind. Die richtige Krise kommt im nächsten Jahr und wird eher einem Sturm gleichen. Überhaupt scheinen wir uns keine realistischen Vorstellungen von der Krise zu machen. Schnell war die Rede von der „Gier“ der Manager, die an allem Schuld sei. Henkel meint, es sei schon ziemlich weit hergeholt, die globale Krise mit ihren komplexen Wirkungsmechanismen mit Hilfe eines Begriffs aus dem klassischen Lasterkatalogs erklären zu wollen.

Vor allem sei es an der Zeit, nicht nur mit vereinzelten Maßnahmen den komatösen Patienten am Leben zu erhalten, sondern endlich eine Diagnose zu treffen und die Symptome der Krankheit zu behandeln. Hierbei setzt Henkel gerade nicht auf den regulativen Eingriff des Staates, sondern ist zusammen mit Prof. Dr. Hans-Werner Sinn der Überzeugung, dass die Beseitigung der „Kredit-Klemme“ bei den deutschen Banken die Wirtschaft wieder ankurbeln könnte. Allerdings müsse gleichzeitig der Staat endlich damit aufhören, weiter restriktiv an den Arbeitsgesetzen herum zu schrauben.

Hans-Olaf Henkel favorisiert eine Rückbesinnung auf den Neoliberalismus der Freiburger Schule, also auf den Ordoliberalismus, der ganz und gar nicht auf die freien und unkontrollierten Kräfte der Wirtschaft setzt. Überhaupt bemängelte Henkel eine Unschärfe der Presse im Gebrauch des Begriffs „Neoliberalismus“. Wenn in den Medien von neoliberal gesprochen wird, ist in der Regel ein zügelloser Manchester-Kapitalismus gemeint, der sich nach dem Motto „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“ gegen alle staatlichen Kontrollen zur Wehr setzt. Der Begriff „Neoliberalismus“ stammt jedoch aus den 1930er Jahren, wurde vom deutschen Sozilwissenschaftler und Ökonomen Alexander Rüstrow entwickelt und beschreibt einen freien Markt, der jedoch durchaus staatlichen Rahmenbedingungen und Regeln unterworfen ist.

„Die Abwracker“ ist nicht nur eine Zustandsanalyse der deutschen Wirtschaftspolitik; Henkel schreibt Klartext. Auch verwehrt er sich gegen eine pauschale Verurteilung der deutschen Manager. Es gab den seinerzeit Aufsehen erregenden Fall von Steuerhinterziehung durch den ehemaligen Post-Chef Klaus Zumwinkel, das ist richtig. Dennoch sind solche spektakulären Fälle zum Glück die Ausnahme. Die Mehrheit der Unternehmer würde eine gute Arbeit machen, wenn Ihnen der Staat nicht immer wieder Knüppel zwischen die Beine werfen würde. Diese Glorifizierung der Manager ist wohl eine Frage der politischen Einstellung und des Betrachtungswinkels. Aber um seine These von den weißen Schafen in Nadelstreifen zu bestärken, ist Henkel der Meinung, dass man die wirklich schwarzen Schafe ruhig mal mit Namen nennen sollte.

In Anlehnung an die „Hall of Fame“ der Wirtschafts- und Finanz-Zeitschrift Capital schlägt Hans-Olaf Henkel die Schaffung einer „Hall of Shame“ vor, in der die echten Spndenböcke öffentlich gemacht würden. Am Ende seines neuen Buches macht Henkel gleich drei Vorschläge für die ersten Anwärter auf diesen unschmeichelhaften Titel.

Henkels neues Buch ist nicht nur hoch aktuell, sondern auch im besten Sinne Wut machend. Aus Wut kann der Mut zur Veränderung entstehen. Es bleibt zu wünschen, dass dieses Buch zu einer breiten Diskussion in der Öffentlichkeit und im Gegenzug zu beherzten Maßnahmen seitens der Regierung führt. Denn die Zeit läuft gegen uns. Und wer auf Zeit spielt, hat verloren.

 

Autor: Hans-Olaf Henkel
Titel: „Die Abwracker – Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen“
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
ISBN-10: 3453168291
ISBN-13: 978-3453168299

 

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