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Alexander Waugh: „Das Haus Wittgenstein“

Am: | September 5, 2009

Alexander Waugh: "Das Haus Wittgenstein - Geschichte einer ungewöhnlichen Familie"Alexander Waugh hat eine Biografie der Familie Wittgenstein verfasst – ein fulminantes Werk von über 440 Seiten. Es ist die „Geschichte einer ungewöhnlichen Familie“, wie es auch im Untertitel heißt. Und in der Tat: Die Wittgensteins sind eine sehr ungewöhnliche Familie gewesen.

Vater Karl hatte es als Stahlmagnat zu großem Vermögen gebracht. Im familiären Bereich war er ein Despot, unter dem seine Familie sehr litt. Die Ehe brachte neun Kinder hervor. Von seinen fünf Söhnen brachten sich drei um, einer wurde ein weltbekannter Philosoph, und der andere ein angesehener Pianist.

Karl Wittgenstein führte ein offenes Haus, in dem Musiker wie Brahms, Mahler oder Richard Strauss und die Wiener Avantgarde verkehrten.

Alexander Waugh hat sich der Geschichte dieser Familie angenommen und in jahrelanger Kleinarbeit recherchiert. Heraus gekommen ist ein Mosaik aus vielen Puzzleteilchen, dier er geschickt zusammensetzt. Waughs Biografie liest sich wie ein Roman. Es ist die oft zitierte und auch hier wieder sich bestätigende Kunst gerade anglo-amerikanischer Schriftsteller ein Sachbuch-Thema derart interessant zu beschreiben, dass es sich liest wie gute Prosa.

Die Geschichte dieser Familie beginnt beim Vater Karl Wittgenstein, der in jungen Jahren nach Amerika flieht, dort jedoch nicht sein Glück machen kann, 1866 abgemagert und arm nach Österreich zurück kehrt, dort zu allem Überfluss mit Leopoldine Kalmus auch noch eine Jüdin heiratete, dann aber im Stahlbereich seine unternehmerischen Fähigkeiten beweisen und dank seines oft hasardeurartigen Geschäftsgebarens auch noch zu reichlich klingender Münze machen konnte.

Karl Wittgenstein starb 1912. Ein Jahr später hatte Paul Wittgenstein sein Konzertdebüt als Pianist. Die Kritiken waren insgesamt positiv und wohlwollend; der bekannte Musikkritiker Max Kalbeck bescheinigte ihm, ein „ernster Künstler“ zu sein. Im Ersten Weltkrieg wurde Paul verwundert, und sein rechter Arm musste amputiert werden. Dennoch setzte er seine Karriere als Pianist fort und ließ sich fortan von bekannten Komponisten wie Ravel, Hindemith, Prokofjew oder Britten eigens „Stücke für die linke Hand“ komponieren.

Ludwig verschenkt sein Erbe und wird Philosoph. Auch dies eine klare Lebensentscheidung, die vielleicht auf die harte Schule väterlicher Erziehung zurück zu führen ist. Paul und Ludwig sind die einzigen überlebenden Söhne, nach sich Rudi in Berlin das Leben nahm, weil er mit seinen homosexuellen Neigungen nicht mehr zurecht kam; nachdem Bruder Hans spurlos verschwand, dann in Amerika wieder auftauchte und „bei einer Kanufahrt verunglückte“, wie es in einer Zeitungsmeldung hieß, wahrscheinlicher ist jedoch ein Freitod durch Ertrinken. Und auch Kurt war den Anforderungen des Vaters nicht gewachsen und nahm sich am Ende des Ersten Weltkriegs an der italienischen Front das Leben.

„Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter“ – Dieser Satz stammt von Nietzsche und könnte auch als Prämisse für Karl Wittgensteins Einstellung zur Erziehung seiner Kinder widerspiegeln. Wer durch diese harte Schule gegangen ist, ist auch zu Außergewöhnlichem fähig.

Die Wittgensteins waren hochbegabte Menschen, aber sie waren auch schwierige Menschen, mit einem eigenen Sinn und eine anerzogenen Sturheit. Das wird auch in Waughs sehr schön verdeutlicht.

Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich ziehen auch schwierigere Zeiten für die Familie Wittgenstein auf. Durch Heirat mit jüdischen Verwandten verbunden, stammen die Wittgensteins ursprünglich auch selbst aus einer früh assimilierten deutsch-jüdischen Familie aus dem Wittgensteiner Land im Kreis Siegen. Karls Großvater war der Gutsverwalter Moses Meyer gewesen, der für die Grafen von Sayn-Wittgenstein-Hohenstein gearbeitet hatte.

Die Nazis verabschiedeten die „Nürnberger Gesetze„, und nach dem Gesetz galten Karl Wittgensteins Nachkommen plötzlich als „Volljuden“.

Ludwig Wittgenstein war in Cambridge und wurde 1939 britischer Staatsbürger. Seine Schwester Margaret Stonborough war mit einem Amerikaner verheiratet und besaß somit automatisch die US-Staatsbürgerschaft. Und Paul Wittgenstein gelang zusammen mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen Töchtern rechtzeitig die Flucht in die Schweiz. Aber die älteren Schwestern Hermine und Helene lebten noch in der „Ostmark“, wie Österreich nach dem Anschluss ans Dritte Reich genannt wurde.

Vater Karl Wittgenstein hatte kurz vor seinem Tod alle Konten in die Schweiz und die USA verlegt – eine Tat, die der Familie später zu weitgehender Unabhängigkeit verhelfen und sie vor den Behelligungen durch die Nazis schützen sollte. Doch die Nazis erpressten die Wittgensteins. Für die hübsche Summe von 215 Kilo Goldbarren bescheinigten die Nazis dem Wittgensteinschen Ahnherrn Hermann Christian auf Weisung Hitlers ihre „arische“ Abstammung. Doch die Spannungen durchzogen und belasteten die ganze Familie vor und während des Zweiten Weltkrieges.

Das Buch endet mit dem Tod Paul Wittgensteins 1959, der seinen Bruder Ludwig, den Philosophen, um knapp drei Jahre überlebte.

Alexander Waugh stammt selbst aus einer interessanten Familie. Er ist der Enkel des bekannten britischen Schriftsteller Evelyn Waugh und Sohn von Auberon Waugh, einem gefürchteten Theaterkritiker in London. Als Musikkritiker hat er auch zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter den Bestseller „Classical Music – A New Way of Listening“ (1995). Er lebt heute als Publizist, Theaterautor und Musikproduzent in Somerset in England.

„Das Haus Wittgenstein“ ist der geglückte Versuch, die verschiedenen exzentrischen und tragischen Persönlichkeiten dieser bemerkenswerten Familie in einem einzigen Buch zu vereinen und der interessierten Nachwelt zu erschließen.

 

Autor: Alexander Waugh
Titel: „Das Haus Wittgenstein – Geschichte einer ungewöhnlichen Familie“
Gebundene Ausgabe: 439 Seiten
Verlag: Fischer (S.), Frankfurt
ISBN-10: 3100922204
ISBN-13: 978-3100922205

 

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