Wolfgang Engler: „Lüge als Prinzip – Aufrichtigkeit im Kapitalismus“
Am: | Juli 27, 2009
Es sind stürmische Zeiten für das kapitalistische System. Nach Jahrzehnten einer florierenden Wirtschaft und des permanent wachsenden Wohlstands in unserer Gesellschaft hat die Erfolgskurve des marktwirtschaftlichen Systems einen starken Knick erlitten, verursacht durch die weltweite Wirtschaftskrise.
Die durch die Spekulationsblase am amerikanischen Immobilienmarkt ausgelöste Finanz- und Bankenkrise hat nun alle Schichten der Gesellschaft erreicht. Der „Mann auf der Straße“ fühlt sich in seiner Ungewissheit bestärkt und fängt immer lauter an zu fragen, ob nicht vielleicht das ganze System, „der Kapitalismus“, abgewirtschaftet habe.
Glaubt man den täglichen Nachrichten, so scheint sich die Vermutung zu bestätigen, dass die Lüge eine der Grundbedingungen für ein funktionierendes kapitalistisches System sein könnte. Gelogen wird eigentlich überall: in den Banken, in den Unternehmen, in der Politik. Wie steht es also mit der Aufrichtigkeit des Einzelnen? Ist es überhaupt hilfreich, in unserer Gesellschaft ehrlich zu sein? Oder heißt die Devise nicht eher „Frech kommt weiter“ und „Wer die Wahrheit sagt, hat schon verloren“?
Wolfgang Engler hat sich in seinem Buch „Lüge als Prinzip“ dieser Frage angenommen. Eigentlich ist Aufrichtigkeit ein Schlüsselbegriff zum Verständnis unserer Kultur. Werte wie Anstand und Ehrlichkeit gehören zur Grundausrüstung eines harmonischen Miteinanders. Das ist in jeder Partnerschaft zu begutachten: Wo Ehrlichkeit und Offenheit fehlen, gehen die Partner schnell getrennter Wege.
Das Bürgertum hat im Laufe der Geschichte das gegenseitige Vertrauen in der Gesellschaft hinten angestellt und setzte immer mehr auf unsichtbare Regelungen, auf Verträge und Gesetze. Fortan wurde die Gesellschaft durch Regelwerke zusammen gehalten und nicht nur durch gegenseitiges Vertrauen.
Die jüngste Geschichte des Börsen-Crashs und des Zusammenbruchs der globalen Wirtschaft widerlegt diese These. Die Abwendung von der freiwilligen Sozialmoral des Kapitalismus hin zu einem Korsett aus Gesetzen und Einschränkungen zur Regelung des Miteinanders führte zu einer Auflösung der gegenseitigen Achtung und Solidarität innerhalb der Gesellschaft und zu einem schrankenlosen Egoismus der Akteure.
Wolfgang Engler untersucht in seiner Abhandlung, wie die Lüge in der Gesellschaft immer weiter Einzug hielt und die Aufrichtigkeit verdrängte. Warum lügen Menschen überhaupt? Welche Auswirkungen hat dieses Verhalten auf den Markt und das Wirtschaftssystem?
Während sich die Lüge als Erfolgsprinzip immer weiter entfaltet, versuchen die Kräfte der Aufrichtigkeit das gesellschaftliche und wirtschaftliche System von innen heraus zu stabilisieren, indem sie den Menschen in den Vordergrund stellen. Seine Bedürftigkeit und Empfindsamkeit stehen bei ihnen im Mittelpunkt des Interesses, während die Verfechter des egozentrischen Lügen-Prinzips nur den eigenen Vorteil suchen.
Der Autor ist Jahrgang 1952, Soziologe und stammt aus Dresden. Er publizierte zahlreiche Studien über Lebensformen in Ost und West, kritische Analysen über die Moderne, Demokratie sowie den Wandel des Politischen und der Öffentlichkeit in den industriellen Massengesellschaften.
Engler geht es nicht nur um eine Analyse unseres gesellschaftlichen Systems; er sucht auch nach einem Rezept für den Ausweg aus der gegenwärtigen Krise. Sein Fazit lautet:
Nur wenn es dem Kapitalismus gelingt, zu seinen eigenen sozialmoralischen Wurzeln zurück zu kehren und das verlogene und nur auf den eigenen kurzfristigen Vorteil bedachte Handeln durch ein aufrichtiges und auch den Nächsten als Menschen und bedürftiges Individuum wahrnehmendes Verhalten zu ersetzen, wird unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sich aus sich selbst heraus erneuern und als bewährtes Erfolgsprinzip stabilisieren können.
170 Seiten spannender Analyse und das Plädoyer für einen humaneren Kapitalismus mit sozialem Verantwortungsbewusstsein.
Autor: Wolfgang Engler
Titel: „Lüge als Prinzip – Aufrichtigkeit im Kapitalismus“
Sondereinband: 213 Seiten
Verlag: Aufbau-Verlag
ISBN: 3351027095
EAN: 978-3351027094