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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Thomas Leif: „Angepasst & ausgebrannt – Die Parteien in der Nachwuchsfalle“

Am: | Juni 12, 2009

Thomas Leif: "Angepasst & ausgebrannt - Die Parteien in der Nachwuchsfalle"Der CDU-Wahlkampfberater Michael Spreng bringt es auf den Punkt: „Das zentrale Problem ist, dass alle Parteien die Jugend verloren haben, völlig überaltert sind. Der Altersdurchschnitt liegt inzwischen bei weit über fünfzig. Die wenigen engagierten Mitglieder sind alt, es gibt kaum noch aktiven Nachwuchs. Die jungen Menschen, wenn sie sich überhaupt politisch engagieren, gehen zu Attac, zu Amnesty International, zu Robin Wood oder zu Greenpeace. Die meisten aber flüchten sich in Online-Netzwerke. Die haben gewissermaßen die Vereine, die Parteien und andere Organisationen ersetzt. Und die Parteien haben keinen Zugang mehr zu diesem Teil der Bevölkerung.

Die großen Volksparteien leiden unter einer massiven Überalterung. Jeden Monat verlassen rund 1000 Parteimitglieder SPD und CDU. Die Zahl der Partei-Eintritte ist dagegen verschwindend gering. Die Parteien befinden sich in der Nachwuchsfalle. Politik bietet den meisten jungen Erwachsenen keine attraktive Alternative zu einer Karriere in der Wirtschaft.

Der Autor Thomas Leif ist promovierter Politikwissenschaftler und Chefreporter Fernsehen beim SWR in Mainz. Zu seinen bekanntesten Buchveröffentlichungen zählen „Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland“ und „Beraten & verkauft. McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater“.

In seinem neuen Buch geht er der Frage nach, wie und ob sich die Parteienlandschaft in Deutschland dem Problem des fehlenden Nachwuchses stellt. Dazu hat er neben seinen umfangreichen Recherchen auch Vertreter aller Parteien in exklusiven Interviews befragt. Diese Gespräche bilden die Brücke zwischen den einzelnen Abschnitten dieses über 470 Seiten starken Buches.

Der erste Abschnitt attestiert den Niedergang der Parteien, weil in vielen Fällen an die Stelle der Leidenschaft und des politischen Engagements die bloße Hoffnung auf ein Mandat, auf einen Posten getreten ist. Politische Karriere wird durch optimale Anpassung beschleunigt und durch die Verteidigung einer eigenen Meinung und eines überzeugten Standpunktes eher behindert.

Im zweiten Abschnitt befasst sich Leif eingehend mit den Nachwuchsorganisationen der Parteien. Jene Kaderschmieden wirken seltsam abgekoppelt vom politischen und parlamentarischen Geschehen. Die Karriere der Zöglinge wird auf dem Reißbrett entworfen. Eigene Parlamentserfahrung kann der Nachwuchs nur selten sammeln.

Um dem Mitgliederschwund zu begegnen und auf die schleichende Politikverdrossenheit im Lande zu reagieren, haben nahezu alle Parteien vor wenigen Jahren umfangreiche Reformkonzepte vorgestellt. Wirklich umgesetzt wurde hier jedoch nur wenig. Eine Jugendquote bei der Mitgliedersuche gibt es nicht; die Parteien wirken auf (Noch-)Nicht-Mitglieder nicht selten wie ein „closed shop“. Solch ein abschottendes Verhalten verpestet das politische Klima in Deutschland und hält auch viele Interessierte davon ab, sich in und für Parteien zu engagieren.

Der Gründer der „Netzwerker“ der SPD, Hans-Peter Bartels, stellt mit Bedauern fest, „dass zu wenige sich engagieren und dass zu viele, ohne selbst allzu viel darüber zu wissen, schlecht über Politik denken. Politiker sind in den Augen vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger eine korrupte Bande von Leuten, die sich selbst bereichern und nichts können.“ – Dass er damit in manchen Fällen nicht ganz Unrecht hat, zeigt auch das neue Buch von Hans-Martin Tillack („Die korrupte Republik“), dessen Rezension Sie hier lesen können.

Die politische Klasse wirkt seltsam abgehängt und los gelöst vom realen Leben. Und in der Tat spielt sich im politischen Alltag vor allem jede Menge Lobbyarbeit ab. Die Parteimitglieder verschanzen sich vor den Bürgern und treffen sich in geheimbundähnlichem Milieu, wie dem berüchtigten „Xantener Bund“, in dem man konspirativ bespricht, wer auf welchen Posten gehievt und wer verhindert werden soll. Die Beschreibungen von Gebilden wie dem „Anden-Pakt“, der „Pizza-Connection“ und einer ganzen Liga von „Think Tanks“, in denen Berater und Lobbyisten ihre Arbeit an, für und mit den Politikern betreiben, machen den vierten Abschnitt in Leifs Buch aus.

Im fünften Teil des Buches versucht der Autor dann nach seiner erschütternden und aufrüttelnden Analyse der bundesrepublikanischen Parteienlandschaft nach vorne zu schauen und Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Kernpunkt ist eine stärkere Beteiligung der Bürger an den Entscheidungsprozessen unserer Demokratie: Volksabstimmungen, Plebiszite und die verstärkte Einführung so genannter „Bürgerhaushalte“, bei denen die Bürger über einen Teil der Haushaltsausgaben selbst abstimmen und mitentscheiden dürfen. Auch eine direkte Beteiligung der Bürger durch die Möglichkeiten der neuen Technologien wie E-Partizipation und E-Voting sind zu begrüßen.

Auf diesem Wege könnte durch eine Reaktivierung des Bürgerinteresses an Fragen der Politik auch das verkrustete Nachfolgeproblem der Parteienmitglieder gelöst werden. Das Interesse der Bürger würde wieder geweckt, sie würden sich mehr engagieren und erhielten gleichzeitig von den Parteien mehr Unterstützung und eine neue Plattform für ihr Engagement.

Am Ende seines Buches fasst Leif seine Standpunkte in 17 Thesen zusammen, die noch einmal alle Aspekte der in dem Buch behandelten Problemzonen aufgreifen: „Ohne die Wiederherstellung des Primats der Politik und der Einführung einer Jugendquote ist die Auszehrung der Demokratie nicht zu stoppen“, so der Autor.

Thomas Leifs Buch wird hoffentlich die nötige Beachtung finden und eine längst fällige Debatte anstoßen über die Frage, wie die Zukunft der Parteien in Deutschland aussehen kann. Die Antwort auf diese Frage wird darüber entscheiden, wer die Zukunft unseres Landes gestalten wird.

 

Autor: Thomas Leif
Titel: „Angepasst & ausgebrannt – Die Parteien in der Nachwuchsfalle“
Gebundene Ausgabe: 496 Seiten
Verlag: C. Bertelsmann
ISBN: 3570011291
EAN: 978-3570011294

 

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