Christoph Schönborn, Barbara Stöckl: „Wer braucht Gott?“
Am: | Juni 2, 2009
Kardinal Christoph Schönborn fiel vor einigen Jahren mit seinen provozierenden Äußerungen zur Evolutionstheorie auf. Er führte die Ursache für die Entstehung des Universums nicht auf den „Zufall“ zurück, sondern auf einen Schöpfergott. Die naturwissenschaftlichen Verfechter der Urknall-Theorie bezeichnete er als „Evolutionisten“ und „Neo-Darwinisten“.
Im Jahr 2009 relativierte er seine Aussagen und distanzierte sich von den fundamentalistischen Anhängern des „Intelligent Design“. Sein Weltbild ist eher geprägt vom „theistischen Evolutionstheorie“, die durchaus den naturwissenschaftlichen Thesen der Evolutionstheorie zustimmt, jedoch den Anfang und die Ursache für die Entstehung des Universums einem schöpferischen Gott zuschreibt. Dies ist die einzig plausible Verknüpfung des christlichen Glaubens mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften. (Viele seiner Aussagen zum Thema Evolution findet man übrigens auch auf den Internetseiten von StephansCom.at, dem Radiosender des Wiener Stephansdoms.)
Im Jahr 2007 führte die österreichische TV-Moderatorin ein ausführliches Interview mit Kardinal Schönborn. Heraus kam ein Buch, das nun auch im Piper-Verlag als Taschenbuchausgabe erschienen ist.
Wo ist Gottes Platz in einer Zeit der wachsenden Verdrängung von Glaube und Kirche aus dem Alltag? Können wir Krisen ganz ohne Glauben und Kirche überwinden? Wer braucht Gott?
Schönborn ist Erzbischof der Diözese Wien. In fünf Kapiteln über 188 Seiten diskutieren die beiden nicht nur über den Wert des Glaubens, sondern auch aktuelle kirchenpolitische Themen, wie das Zölibat oder die Stellung der Frau in der (katholischen) Kirche.
Wenn auch Schönborn ein Katholik und Ordinarius für die Gläubigen des byzantinischen Ritus in Österreich ist, spiegeln seine Aussagen in den meisten Punkten die Meinung der katholischen Kirche insgesamt wider. Mehr als bei der evangelischen Kongregation kann man bei der katholischen Kirche von einer dogmatischen Einheitlichkeit ausgehen, was das Meinungsbild betrifft.
Natürlich sind auch in der katholischen Kirche verschiedene Strömungen und Meinungen zu finden; wenn es aber um den „common sense“ geht, dann ist die katholische Sicht auf die weltlichen Dinge in der Regel klar.
Schönborn war übrigens 2005 Teilnehmer am Konklave und somit auch an der Wahl von Benedikt XVI. zum neuen Papst beteiligt. Von solch einem Geistlichen erwartet man nicht gerade radikal neue Ansichten bezüglich des christlichen Glaubens und des Katholizismus’.
Und so liest sich dieses Gespräch nett, aber letztendlich harmlos. Barbara Stöckl versucht natürlich, ihren Gesprächspartner aus der Reserve zu locken, aber Schönborn ist ein Medien-Profi.
Souverän fängt er allzu provokative Fragestellungen geschickt auf, wie z.B. bei der Frage, wie es die katholische Kirche mit dem Zölibat hält, und gibt seiner Gesprächspartnerin butterweiche, beschwichtigende und unverfängliche Antworten, die sich schön anhören, manchmal über mehrere Seiten gehen, aber nichts Verbindliches sagen.
Wer jedoch einen aktuellen Überblick über die Standpunkte der katholischen Kirche zu verschiedenen Themen der Kirche und Gesellschaft bekommen will, ist mit diesem Buch vielleicht besser beraten als mit einem der vielen Bücher des amtierenden Papstes.
Benedikt XVI. steht zu sehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, als dass ihm seine Publikationen und Äußerungen zu aktuellen Themen die Möglichkeit zu einer öffentlichen Diskussion böten. Dann lese man lieber die Bücher von Hans Küng, Kardinal Lehmann, Notker Wolf oder eben – warum nicht?! – Kardinal Schönborn.
Als Taschenbuchausgabe tut der Kaufpreis nicht weh, und durch die Interview-Form erhält man einen interessanten, anderen Einstieg in verschiedene Themen, die sonst durch mehr oder weniger staubtrockene Abhandlungen der katholischen Literatur behandelt werden. Deshalb am Ende doch die Empfehlung, dieses Buch zu lesen – mit einem kritischen Blick und dem Wissen, dass man allzu viele radikale Neuigkeiten von einem hochrangigen katholischen Theologen des „Establishments“ nicht erwarten sollte.
Viele seiner Aussagen zum Thema Evolution findet man übrigens auch auf den Internetseiten von StephansCom.at, dem Radiosender des Wiener Stephansdoms.
Autor: Christoph Schönborn, Barbara Stöckl
Titel: „Wer braucht Gott?“
Broschiert: 188 Seiten
Verlag: Piper
ISBN: 3492253334
EAN: 978-3492253338
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