Hasso Spode: „Traum Zeit Reise — Eine Geschichte des Tourismus“
Am: | Juni 10, 2025
Der Begriff „Tourismus“ entstammt dem französischen Wort tour, das wiederum aus dem lateinischen tornare – „drehen“ – abgeleitet ist. Es beschreibt sinnbildlich eine Bewegung, die irgendwann wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Heute verbinden wir mit Tourismus meist Urlaubsreisen, Erholung und Mobilität. Doch der Weg dorthin war lang, geprägt von politischen, technischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen. Die Geschichte des Tourismus ist auch eine Geschichte des Fortschritts – und der Wechselwirkung zwischen Menschen und Orten.
In seinem neuen Sachbuch über die Geschichte des Tourismus schöpft Hasso Spode, apl. Professor für Historische Soziologie an der Leibniz-Universität Hannover und Ehrenvorsitzender des Historischen Archivs zum Tourismus an der TU Berlin, aus dem umfangreichen Wissen seiner jahrzehntelangen wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema. So ist mit Traum Zeit Reise ein neues Lehrbuch und Kompendium zur Tourismus-Geschichte entstanden, das seinen kulturgeschichtlichen Schwerpunkt im deutschen Sprachraum setzt und sowohl für Studierende als auch für einen weiteren Kreis interessierter Leser geeignet ist.
Immer wieder gelingt es dem Autor, den Blick zu weiten und kollektive, gesellschaftliche Stränge herauszuarbeiten. Etwa wenn er vom Aufstieg der Individualreisen spricht, von Backpackern, Kulturtouristen, Aktivurlaubern – denjenigen, die fernab der Pauschalblase Erfahrungen suchen. All das macht aus Traum Zeit Reise mehr als ein Fachbuch. Es wird zu einem Reflexionsraum, in dem wir uns fragen, was wir aus Reisen machen, was Reisen mit uns macht, und wie es uns formt – als Individuen in politischen Zeiten, in globalisierten Beziehungen, in klimatisch angespannten Kategorien.
Dass sein Fokus stark auf Deutschland liegt, zeigt auch die Gliederung: Dunkle Kapitel rund um institutionelle Reisen unter Diktatur, lichte Kapitel zur Demokratisierung des Tourismus nach dem Krieg, sodann ambivalente Betrachtungen des globalen Reisens mit Klimakrise und digitalem Wandel. Doch nicht-europäischen Triebkräften bleibt wenig Raum. Spode vermeidet es (vielleicht bewusst?), die Ursprünge des Tourismus als Thema völkerkundlicher und postkolonialer Analysen einzubetten – etwa die kolonial geprägten Pilger- und Luxusreisen ins Sublime der Natur in Indien oder in Afrika. So bleibt sein wunderbar leicht, unterhaltsam und facettenreich erzähltes Panorama doch letzten Endes ein eurozentrisches Porträt, das zwar seine farbigen Akzente kennt, in der globalen Perspektive aber etwas matt wirkt.
Eine solche Öffnung des perspektivischen Blickes auf eine globale Geschichte des Tourismus hätte die Lesbarkeit dieses Buches wohl kaum verbessert und den Rahmen gesprengt. Die Konzentration auf den Abriss einer eurozentrischen – ja, deutschen Geschichte des Tourismus gereicht dem vorliegenden Buch eher zum Vorteil.
Und so leuchtet das Buch durch seine Reflexionen, durch seine Fragen an uns: Warum reisen wir? Was suchen wir? Was halten wir zurück? Er zeigt Reisen als Erinnerung, Sehnsucht, Zäsur, Selbsterfahrung, als gelebte Nostalgie und als ökonomische Maschinerie zugleich. Immer wieder stellt er heraus, dass Tourismus weitaus mehr ist als Kommerz oder Freizeit: Es ist ein Medium kultureller Identitätsbildung, sozialer Transparenz, ökologischer Herausforderung, politischer Propaganda. Und gerade diese Vielschichtigkeit macht den Reiz der Lektüre aus.
Traum Zeit Reise liest sich wie eine gefühlte Zeitreise durch mehrere Jahrzehnte europäischer Tourismusbewegung, angereichert mit philosophischen Untertönen, kulturgeschichtlichen Bildern und politischen Reflektionen. Wer sich eine stringente, global vergleichende Kulturgeschichte von Reisen wünscht, wird kritische Lücken ausmachen – in Asien, Afrika, Lateinamerika, in kolonialen und postkolonialen Kontexten. Wer aber ein Buch sucht, das Reise-Ästhetik, Erlebnispotenzial, politische Dimension und Gesellschaftsstärke verknüpft und dabei den narrativen Sog liebt, wird in Spodes Buch eine reiche Fundgrube finden. Man liest sich durch die Zeit – von Romantik über Ideologien, den Boom der 1960er, Pauschalreisen wie auch individuelle Grenzgänge – mit einem Bewusstsein für das Zusammenspiel von Bewegung und Bewusstsein.
So ist Traum Zeit Reise zugleich ein Lobgesang auf das Reisen und ein Appell zur Wachheit. Spode fordert uns auf, das Reisen als politisches, ästhetisches und moralisches Phänomen zu verstehen, das selbstverständlich auch auf die Umwelt wirkt. Die Geschichte des Tourismus zeigt eindrucksvoll, wie sich gesellschaftlicher Wandel in Bewegungsmustern, in Sehnsüchten und Praktiken des Reisens spiegelt. Von den kultischen Pilgern der Antike über die Grand Tours der Aufklärung, vom Eisenbahn- und Bädertourismus des 19. Jahrhunderts bis zum Massentourismus und seinen digitalen Varianten des 21. Jahrhunderts – jede Epoche hat ihren eigenen Reisestil hervorgebracht.
Was sich dabei durchzieht, ist der Mensch als suchendes Wesen: nach Erholung, Erkenntnis, Abenteuer, Distanz. Tourismus bleibt ein Spiegelbild unserer Zeit – mit all ihren Widersprüchen und Möglichkeiten. Und obwohl sich Formen und Ziele ständig verändern, bleibt der Kern des Reisens unverändert: das Bedürfnis, die Welt jenseits des Gewohnten zu erleben.
Autor: Hasso Spode
Titel: „Traum Zeit Reise — Eine Geschichte des Tourismus“
Herausgeber: BeBra Verlag
Seitenzahl: 320 Seiten
ISBN-10: 389809264X
ISBN-13: 978-3898092647
Tags: deutsch tourismus geschichte > deutschland > geschichte des tourismus > grand tour > hasso spode > Hasso Spode Geschichte des Tourismus > Hasso Spode Traum Zeit Reise — Eine Geschichte des Tourismus > historische soziologie > kulturwissenschaft > reisen > rezension Hasso Spode > rezension Hasso Spode Traum Zeit Reise > rezension Hasso Spode Traum Zeit Reise — Eine Geschichte des Tourismus > tour > tourismus > tourismus geschichte