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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Marcel Dirsus: „Wie Diktatoren stürzen – und wie Demokraten siegen können“

Am: | April 14, 2025

In Zeiten wie diesen … ist das Buch von Marcel Dirsus ein wahrer Trostspender! Diktaturen halten sich mal kürzer, mal länger, aber niemals halten sie ewig. Tyrannentum ist ein riskantes Geschäft.

Marcel Dirsus beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren „mit Tyrannen und damit, wie sie an der Macht bleiben oder diese verlieren“. Seine Forschungsergebnisse hat er nun in diesem aufmunternden Buch zusammengefasst: How tyrants fall lautet der Titel des englischen Originals, das bereits im vergangenen Jahr erschien und nun in der deutschen Übersetzung von Sylvia Bieker und Henriette Zehner bei Kiepenheuer & Witsch erscheint.

Das politische Klima ist in den letzten Jahren deutlich rauer geworden; neben kleinen Schurkenstaaten kehren auch längst einige der großen „global player“ der demokratischen Idee eines gewaltfreien und friedlichen Miteinanders den Rücken und liebäugeln stattdessen mit autokratischen und diktatorischen Modellen politischer Macht.

Wer in diesem Zusammenhang derzeit nicht an Trump und seine Filzstifte-Dekret-Politik denkt, lebt auf einer Insel der Seligen ohne Strom und Internet – oder in einer gemütlichen Blase. Damit jedoch kein Missverständnis aufkommt: Trump ist kein Diktator, sondern „bestenfalls“ auf dem Weg dahin, das politische System der USA zu demontieren und in Richtung Autokratie umzubauen. – Aber in diesem spannenden Buch geht es um Leute von anderem Kaliber.

Als Tyrannen bezeichnet man Herrscher, so Dirsus, „wenn sie auf grausame und unterdrückerische Weise handeln“. In nahezu allen Fällen der Menschheitsgeschichte sind es Männer, die zu Tyrannen werden; eine grausame „Tyrannin“ ist die absolute Ausnahme von der Regel.

Die Erklärung für dieses Phänomen mag in der Biologie zu finden sein: Testosteron und Machtstreben (in seiner weitesten Bedeutung) gehen Hand in Hand; Männer haben viel davon, Frauen eher nicht. – Doch zurück zum Buch und zum Thema!

Will man Diktaturen erforschen, so ist es eine gute Idee, zunächst nach einem grundlegenden Prinzip zu suchen, das allen Diktaturen gemeinsam ist. Wenn man bloß den Diktator betrachtet, sieht man zu wenig; Diktatoren sind bei weitem keine „Alleinherrscher“, denn ohne ihre Vasallen und Helfershelfer wäre der mächtigste Diktator nur ein armer Wicht mit einer hochgradigen Persönlichkeitsstörung. Erst die bedingungslose Gefolgschaft und ein entsprechend funktionierendes System ermöglichen dem Diktator die Ausübung von Gewalt und den Machtmissbrauch.

Für sein Buch hat der Autor „Diplomaten, Journalisten, Dissidenten, Menschenrechtsaktivisten und (ehemalige) Spione“ gesprochen und sich von „Experten für Wirtschaftssanktionen, Atomwaffen, Militärgeschichte, quantitative Prognosen“ und viele weitere Themen ausführlich beraten lassen. Das Ergebnis liegt in diesem Buch vor und ist beeindruckend.

Dirsus gelingt es, fernab von wissenschaftlicher Trockenheit ein an sich spannendes Thema auch spannend zu präsentieren. Lebensnah, mit vielen anschaulichen Details und einer Fülle an interessanten Fakten gewährt er seiner Leserschaft intime Einblicke in den inner circle von (ehemaligen und lebenden) Diktatoren, ihren Machtapparaten und ihrem letztlich verzweifelten und vergeblichen Versuch „ewig“ zu leben und an der Macht zu bleiben. – Denn dies ist eine zunächst verblüffenden, aber nach kurzem Nachdenken auch naheliegenden Eigenschaften eines Diktators: Er lebt in einer ständigen Verlustangst. — Verlust von Macht und Einfluss, Verlust von Besitz und Lebensstandard, Verlust von Gesundheit und Leben. Als Diktator mag man mächtig und unnahbar erscheinen, aber es ist ein Leben auf dem Schleudersitz.

Wir leben heute im demokratischen Europa in einer Blase. Auch bei uns beginnt das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie zu schwinden, und in manchen Ländern Europas bilden sich erste autokratische Alternativ-Systeme. Keine schöne Entwicklung, aber (historisch betrachtet) nicht ungewöhnlich; denn „Demokratie, und was wir heute darunter verstehen, ist jung – Tyrannei ist alt.“ Die meisten Menschen haben, seitdem es Geschichtsschreibung gibt, unter der Herrschaft von Tyrannen gelebt.

„Im Jahr 1800 lebte niemand auf der Erde in einer wahren Demokratie. Grausame und unterdrückerische Obrigkeiten waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel“: Ein „Häuptling, Herzog, König, Kaiser, Bischof, Sultan oder Kolonialgouverneur“ hat die unantastbare Herrschaft in seiner Hand. Und selbst nach dem Zweiten Weltkrieg waren „mehr als 90 Prozent der Länder der Erde keine Demokratien“.

Erst nach dem Ende des Kalten Krieges gab es eine kurze Blütezeit der demokratischen Ideen. Den vorläufigen Höhepunkt der Demokratie-Euphorie gab es im Jahr 2012: Damals waren nur noch 12 Prozent aller Länder geschlossene Autokratien – also „Systeme, in denen die Bürger überhaupt keine Wahl haben“; seitdem geht es wieder deutlich bergab.

Zum Glück leben Tyrannen nicht ewig, und auch Diktaturen sind bei Licht betrachtet niemals so stabil und unverbrüchlich, wie sie scheinen (wollen). Denn es sind Systeme, die auf Angst, Kontrolle und Terror basieren – alles Dinge, die Menschen vermeiden oder beseitigen wollen.

Marcel Dirsus hat lange über Diktaturen und Tyrannen geforscht; doch es geht ihm nicht allein um theoretische Erkenntnis, sondern er begreift seine Forschungsarbeit als eine politische Praxis: „Wenn wir nicht begreifen, wie ein Tyrann agiert, können wir ihn weder in dem jeweiligen Land einschränken noch seine Bedrohung im Ausland begrenzen.“

Dabei hat Europa, haben wir – auch hier in Deutschland –, weniger ein Problem mit Diktatoren, sondern sehen zurecht unsere liberale Demokratie in Gefahr. Der Autor konstatiert, dass es in den vergangenen Jahren „unzählige Zeitungsartikel, Tweets und Bücher“ über die Verteidigung der liberalen Demokratien gab. Aber „das wird nicht reichen.“

Nonchalant notiert der Historiker: „Ob plötzlich aufgrund eines Staatsstreichs oder allmählich durch die Demontage zentraler Institutionen: Einige Demokratien werden sterben.“ Es geht also um den Ernstfall, der früher undenkbar war, doch mittlerweile auch bei uns nicht mehr ganz auszuschließen ist. Marcel Dirsus weiter: „Wenn das geschieht, sollten wir alle wissen, was als Nächstes kommt und wie das Ganze rückgängig gemacht werden kann. “

In diesem Sinne ist „Wie Diktatoren stürzen“ auch eine Gebrauchsanweisung für die Rückgewinnung demokratischer politischer Verhältnisse. Das primäre Ziel dieses Buches ist zunächst zu verstehen, wie Diktaturen funktionieren; Dirsus liefert in diesem (auf gewisse Weise) unterhaltsamen und sehr lehrreichen Sachbuch einen „Überblick über die Grenzen von Despoten, die Schwächen ihrer Regime und die Möglichkeiten des Zusammenbruchs“ ihrer Staatsmacht. „Aber Tyrannentum zu verstehen, reicht nicht. In diesem Buch geht es auch darum, wie man Tyrannen zu Fall bringen kann.“

„Wie Diktatoren stürzen – und wie Demokratien siegen können “ ist eine spannende und empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich um unsere demokratische Gesellschaftsordnung Sorgen machen. Denn es ist, wie bereits anfangs gesagt, ein tröstendes Buch. Marcel Dirsus hilft, die Perspektive auf die eigenen Lebensbedingungen sowohl historisch als auch räumlich zu weiten. Der distanzierte Blick auf die Verhältnisse hilft auch in diesem Fall, den entscheidenden Schritt von einem passiven Gefühl der Angst in den aktiven Modus des politischen Handelns zu vollziehen.

 

 

 

 

Autor: Marcel Dirsus
Titel: „Wie Diktatoren stürzen – und wie Demokraten siegen können“
Herausgeber: Kiepenheuer&Witsch
Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
ISBN-10: 3462008056
ISBN-13: 978-3462008050

 

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