Juri Felsen: „Getäuscht“
Am: | April 11, 2025
Juri Felsen, geboren 1894 in Sankt Petersburg als Nikolai Freudenstein, war ein russischer Schriftsteller, dessen literarisches Schaffen lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Erst in den letzten Jahren wurde sein Werk wiederentdeckt und gewürdigt.
Nach der Russischen Revolution emigrierte er 1921 nach Europa und ließ sich 1923 in Paris nieder. Dort etablierte er sich als einer der führenden Schriftsteller seiner Generation, beeinflusst von Autoren wie Marcel Proust, James Joyce und Virginia Woolf. Sein literarisches Schaffen stand an der Spitze der ästhetischen und philosophischen Strömungen der europäischen Literatur jener Zeit. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs versuchte Felsen, in die Schweiz zu fliehen, wurde jedoch gefasst und im Konzentrationslager Drancy interniert. 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Juri Felsen wurde oft als „russischer Proust“ bezeichnet, ein Hinweis auf seinen feinsinnigen Stil und seine tiefgehende psychologische Charakterzeichnung. Seine Werke reflektieren die inneren Konflikte und emotionalen Turbulenzen seiner Protagonisten, eingebettet in die kulturellen und sozialen Umwälzungen des frühen 20. Jahrhunderts.
Sein Schreiben zeichnet sich durch lange, verschachtelte Sätze und eine präzise Sprache aus, die den Leser in die Gedankenwelt der Figuren eintauchen lässt. Obwohl sein Werk nach seinem Tod lange Zeit in Vergessenheit geriet, wurde es in den letzten Jahren wiederentdeckt und jetzt endlich erstmals ins Deutsche übersetzt, was seine Bedeutung für die Literaturgeschichte unterstreicht.
Sein Roman Getäuscht erzählt die Geschichte eines namenlosen Erzählers, der im Paris der 1920er Jahre lebt und sich nach der Russischen Revolution als Emigrant wiederfindet. Auf Bitten einer Bekannten lernt er die schöne und kluge Ljolja kennen, ebenfalls eine russische Emigrantin. Was als lockere Freundschaft beginnt, entwickelt sich schnell zu einer obsessiven Faszination, da Ljolja uneindeutige Signale sendet und anderen Männern nachstellt. Der Roman ist in Tagebuchform verfasst und bietet tiefe Einblicke in die psychologischen Abgründe des Erzählers.
Felsens Schreibstil ist geprägt von einer eleganten und scharfsinnigen Sprache, die die inneren Konflikte und Emotionen des Protagonisten meisterhaft einfängt. Die langen, verschachtelten Sätze erinnern an die Werke von Proust und erfordern vom Leser eine hohe Konzentration, belohnen jedoch mit einer tiefgehenden Charakterstudie. Die Darstellung der Beziehung zwischen dem Erzähler und Ljolja ist nuanciert und komplex, wobei Felsen die Dynamik von Anziehung, Unsicherheit und Eifersucht präzise beleuchtet. Besonders bemerkenswert ist die Art und Weise, wie der Autor die Selbstreflexion und Selbsttäuschung des Protagonisten darstellt, was den Titel des Romans treffend widerspiegelt.
Insgesamt ist Getäuscht ein beeindruckendes Werk, das nicht nur durch seine sprachliche Brillanz, sondern auch durch seine tiefgehende psychologische Analyse besticht. Es ist erfreulich, dass Juri Felsens Werke nun einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht werden, da sie einen bedeutenden Beitrag zur modernen Literatur leisten.
Juri Felsens Roman Getäuscht ist ein literarisches Juwel, das tief in die psychologischen Abgründe seines Protagonisten eintaucht und dabei stilistisch und thematisch in der Tradition großer moderner Autoren steht. Stilistisch erinnert Felsens Werk an die introspektiven und detailreichen Schilderungen von Marcel Proust, insbesondere in dessen Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Wie Proust konzentriert sich Felsen auf die feinen Nuancen der Wahrnehmung und die komplexen Mechanismen des Erinnerns und Fühlens. Auch James Joyce kommt in den Sinn, dessen Ulysses durch seine innovative Erzähltechnik und den inneren Monolog besticht. Felsen nutzt ähnliche Techniken, um die Gedankenwelt seines Protagonisten zu erforschen. Virginia Woolf, bekannt für ihren Bewusstseinsstrom-Stil in Werken wie Mrs Dalloway, bietet ebenfalls einen Vergleichspunkt, da Felsen die subjektive Realität und die fließenden Gedanken seines Erzählers meisterhaft einfängt.
Für Leserinnen und Leser, die sich für tiefgründige psychologische Studien und die literarische Moderne interessieren, ist Juri Felsens Getäuscht sicherlich eine lohnende Lektüre. Besonders diejenigen, die die Werke von Proust, Joyce oder Woolf schätzen, werden in Felsens Roman eine ähnliche Tiefe und Komplexität finden. Aber auch Leser, die sich für die Erfahrungen russischer Emigranten in der Zwischenkriegszeit interessieren, werden durch die authentische Darstellung des Pariser Exils bereichert. Getäuscht ist ein anspruchsvolles, aber lohnendes Werk, das durch seine sprachliche Brillanz und psychologische Feinfühligkeit besticht. – Jetzt erschienen bei Kiepenheuer & Witsch in der deutschen Übersetzung aus dem Russischen von Rosemarie Tietze.
Autor: Juri Felsen
Titel: „Getäuscht“
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
ISBN-10: 3462006312
ISBN-13: 978-3462006315
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