Herfried Münkler: „Macht im Umbruch – Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“
Am: | März 22, 2025
Wir leben in turbulenten Zeiten und die subjektive Wahrnehmung einer Beschleunigung der Veränderungen scheint sich durch das zunehmende Tempo und die Taktung der Ereignisse zu bestätigen. Die ruhigen Zeiten sind vorbei, es wird zurecht allgemein von einer „Zeitenwende“ gesprochen, zunächst aufgrund der veränderten militärischen Lage in Europa durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und zuletzt durch die Beendigung der Nachkriegsordnung, die de-facto-Aufkündigung des atlantischen Bündnisses sowie durch die Abkehr der USA von ihren westlichen Bündnispartnern unter der Trump-Regierung.
In seinem neuen Buch (Macht im Umbruch – Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts) analysiert der renommierte Politikwissenschaftler Herfried Münkler diese und andere geopolitischen Veränderungen der Gegenwart und deren Auswirkungen auf Deutschland und Europa. Er argumentiert, dass sich die globale Machtordnung im Umbruch befindet und Deutschland eine neue Führungsrolle in Europa übernehmen muss. Dabei geht er auf zentrale Themen wie die Krise der Demokratie, die geopolitischen Herausforderungen Europas, das Verhältnis des Westens zu Russland und China sowie die Frage nach einer strategischen Autonomie der EU ein.
Münkler stellt die Frage, ob Deutschland überhaupt fähig und willens ist, eine aktive Führungsrolle zu übernehmen, oder ob es an historisch bedingter Zurückhaltung und innenpolitischen Widerständen scheitert. Er verbindet historische Vergleiche mit aktuellen geopolitischen Entwicklungen und zeigt auf, welche strategischen Herausforderungen auf Europa und insbesondere auf Deutschland zukommen.
Der Autor beginnt mit einer Analyse der Krise der Demokratie. Er argumentiert, dass sich die Annahme einer linearen Entwicklung hin zu mehr Demokratien nicht bestätigt habe. Stattdessen sieht er eine weltweite „demokratische Regression“, die einen Vormarsch autoritärer Regime zur Folge hat. Besonders besorgniserregend ist für ihn, dass auch innerhalb der EU illiberale Demokratien wie in Ungarn und Polen erstarken.
Aus der Perspektive des Politikwissenschaftlers warnt er vor der Verwundbarkeit offener Gesellschaften und betont, dass Demokratien nicht nur auf rechtsstaatlichen Institutionen, sondern auch auf der politischen Urteilskraft der Bürger basieren. Münkler argumentiert, dass die Demokratie nur überleben kann, wenn die Bürger bereit sind, sich aktiv für sie einzusetzen und populistischen Versuchungen zu widerstehen.
Er beschreibt die geopolitische Unsicherheit Europas als eine Folge unklarer Grenzen und der gescheiterten Idee einer „entgrenzten Welt“. Besonders im Osten Europas zeigt sich dies durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den er als Versuch Putins beschreibt, alte „Großmachtsträume“ zu verwirklichen. Er betont, dass Europa sich der geopolitischen Realität stellen müsse, anstatt in einer „illusionären Friedensordnung“ zu verharren. Die Frage der Erweiterung der EU und NATO sei hierbei entscheidend, da sie über Stabilität oder neue Konflikte an Europas Peripherie entscheide.
Herfried Münkler stellt die These auf, dass Deutschland aufgrund seiner geopolitischen Lage eine zentrale Stellung in Europa einnimmt, die es politisch gestalten muss. Er analysiert historische Beispiele deutscher Mittellagen, von Bismarcks Bündnissystem bis hin zur gescheiterten Zwischenkriegsstrategie, und zieht Parallelen zur Gegenwart. Dabei kritisiert er die „zögerliche Führungsmentalität“ Deutschlands, die nicht ausreiche, um Europa zu stabilisieren. Er plädiert daher für eine dezidierte strategische Neuausrichtung, die Deutschland als primus inter pares in der EU positionieren würde.
In seiner kenntnisreich und mit viel Engagement verfassten Analyse geht er auf die inneren und äußeren Herausforderungen des Westens ein. Er analysiert die geopolitische Konkurrenz mit Russland und China und beschreibt sehr anschaulich den schleichenden Einfluss Chinas auf die EU. Zudem problematisiert er die Unsicherheit der transatlantischen Beziehungen, insbesondere die Möglichkeit eines amerikanischen Rückzugs aus Europa – ein Szenario, das in der zweiten Amtszeit von Donald Trump zu einer realen Gefahr geworden ist. Er fordert eine stärkere strategische Autonomie Europas, um nicht von der US-amerikanischen Sicherheitspolitik abhängig zu bleiben.
Der letzte Abschnitt dieser hochaktuellen und zugleich umfassend recherchierten Abhandlung widmet sich der Frage, ob Deutschland die EU führen kann und soll. Münkler unterscheidet zwei Arten der Führung: eine „partnerschaftliche Führung“ mit gleichberechtigten Partnern oder eine hierarchische Führung mit klarer Machtstruktur.
Münkler argumentiert, dass Deutschland eine Führungsrolle übernehmen müsse, aber auch bereit sein sollte, Verantwortung zu teilen. Er kritisiert die deutsche Politik für ihre „Taktikvirtuosität“ und ihren „Mangel an strategischem Denken“. Er plädiert für eine langfristige Strategie, die Deutschland als stabilisierenden Faktor in Europa etabliert.
Herfried Münkler gehört zu den renommiertesten Politikwissenschaftlern Deutschlands. Er war Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat zahlreiche einflussreiche Bücher über politische Theorie, Geopolitik und Geschichte verfasst. Besonders seine Werke über Machiavelli, Clausewitz und die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts haben ihn als führenden Denker in diesem Bereich etabliert.
In Macht im Umbruch zeigt Münkler erneut seine analytische Schärfe. Seine Argumente sind durch historische Vergleiche fundiert, methodisch sauber und faktenbasiert. Er greift auf ein breites Spektrum an Quellen zurück und verbindet verschiedene Disziplinen – von der Geopolitik über die Wirtschaft bis zur politischen Philosophie. Seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge verständlich zu erklären, macht das Buch auch für eine größere Leserschaft zugänglich und lesbar, ohne an wissenschaftlicher Tiefe zu verlieren.
Macht im Umbruch ist eine tiefgehende Analyse der geopolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Münkler zeigt, dass sich die Weltordnung im Wandel befindet und dass Deutschland und Europa darauf reagieren müssen, um auf diese Weise ihre Rolle in der Welt neu zu gestalten. Seine Argumente sind schlüssig, seine Thesen gut belegt und seine historische Perspektive bereichernd.
Besonders wertvoll ist das Buch für Leser, die sich für internationale Politik, europäische Sicherheitsfragen und Deutschlands zukünftige Rolle in einer Welt der neuen Herausforderungen interessieren. Münkler fordert eine aktivere deutsche Außenpolitik, warnt vor den Gefahren einer passiven Haltung und bietet eine fundierte Grundlage für die Debatte über Europas Zukunft.
Insgesamt ist Macht im Umbruch ein äußerst lesenswertes Buch, das durch seine analytische Tiefe und historische Einordnung überzeugt. Es bestätigt Münklers Status als einen der führenden politischen Denker Deutschlands.
Autor: Herfried Münkler
Titel: „Macht im Umbruch – Deutschlands Rolle in Europa und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“
Herausgeber: Rowohlt Berlin
Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
ISBN-10: 3737102155
ISBN-13: 978-3737102155
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