Thomas Mann: „Deutsche Ansprache – Ein Appell an die Vernunft“
Am: | Februar 15, 2025
Es gibt wohl nur wenige Texte, die in unseren Tagen trotz ihrer Historizität aktueller sind als Thomas Manns „Deutsche Ansprache“ aus dem Jahr 1930. Die Neuwahlen in Deutschland am kommenden Sonntag (23.02.25) werden die AfD als zweitstärkste politische Kraft im Bundestag stärker als je zuvor etablieren, und mit ihr wird das Narrativ einer libertären, nationalistischen und rechtskonservativen Politik weiter an Bedeutung gewinnen. Der Demokratieabbau von rechts mit dem raffinierten Einsatz demokratischer Mittel und populistischer Propaganda wird weiter voranschreiten, und den alten Volksparteien bleibt nur noch der Weg, über große Koalitionen die nötigen Mehrheiten zu bilden. Es sieht nicht mehr gut aus für die Demokratie, weltweit und nun auch in Deutschland nicht.
In seinem klugen und historisch einordnenden Essay (Nachwort) bringt der Historiker Jens Bisky die Dringlichkeit dieses Appells an die Vernunft und die Aktualität der Rede von Thomas Mann sehr gut zum Ausdruck. Zumindest in Deutschland haben wir zurzeit keinen Intellektuellen vom Rang eines Thomas Manns, der Vergleichbares leisten könnte. Wer den Mut hat, aufzustehen und zu warnen vor den Totengräbern, wer wirklich die Gefahr für die Demokratie durch rechte und rechtskonservative Ideologien beim Namen nennt, wer öffentlich ausspricht, dass nicht nur Wohlstand und Frieden, sondern auch Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz auf dem Spiel stehen – man sucht ihn (oder sie) vergebens.
Bei aller Aktualität ist Manns „Appell an die Vernunft“ jedoch leider auch ein Text seiner Zeit. In unserer fragmentierten Medienlandschaft haben sich längst große Teile der Bevölkerung ideologisch und kommunikativ abgekoppelt; es zählt eben schon lange nicht mehr die Kraft des geschriebenen Wortes, und die Stimme eines (wenn auch großen und bedeutenden) Intellektuellen wäre heute eben auch nur eine Stimme unter vielen anderen.
Trotzdem ist es wichtig, dass dieser mahnende Appell gerade jetzt im Februar 2025, kurz vor der Bundestagswahl erscheint. Denn „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“, soll angeblich Mark Twain gesagt haben; und Karl Marx sagte: „Die Geschichte wiederholt sich, zuerst als Tragödie, dann als Farce.“
Die „Tragödie“ hat man mit dem NS-Regime, mit dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg bereits vor über 90 Jahren begonnen aufzuführen; die „Farce“ hingegen, der zweitklassige Abklatsch dieser schrecklichen Aufführungen könnte durch einen Appell an die Vernunft der deutschen Wähler – zumindest bis auf Weiteres – verhindert werden, wenn den WählerInnen endlich (und hoffentlich noch rechtzeitig!) echte demokratische „Alternativen“ zum politischen Tagesgeschäft ohne Perspektiven aufgezeigt würden.
Eine gute Idee wäre doch zunächst die Lektüre dieser politischen Rede eines (vormals) „Unpolitischen“! Thomas Manns „Deutsche Ansprache“ war ganz im Sinne der Aufklärung der leidenschaftliche Appell eines Intellektuellen an sein Volk, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und nicht den einschmeichelnden Flötentönen der rechten Stimmenfänger zu folgen.
Wahlversprechen sind (und zwar von allen Parteien) im Grunde nur Lügen auf Zeit; sie sind Versprechen, die in großer Mehrheit nach den Wahlen aus verschiedensten Gründen nicht eingehalten werden (können). Wahlprogramme sind ein „Möchtegern“ der Parteien, das am „Gehtnicht“ der politischen Realitäten scheitert.
Trotz alledem muss man wählen gehen, solange man noch die Wahl hat.
Autor: Thomas Mann
Titel: „Deutsche Ansprache – Ein Appell an die Vernunft“
Herausgeber: Reclam
Taschenbuch: 85 Seiten
ISBN-10: 3150145937
ISBN-13: 978-3150145937
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