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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

David Krych: „Das Wiener Hetzamphitheater (1755–1796)“

Am: | Februar 2, 2025

David Krych widmet sich in seinem Werk Das Wiener Hetzamphitheater (1755–1796) einer in der Theater- und Kulturgeschichtsforschung bislang wenig beachteten Institution: dem Hetzamphitheater in Wien. Die Studie untersucht die Rolle der Tierhetzen als performative Praxis und ordnet sie in einen größeren theatralen und gesellschaftlichen Kontext ein. Dabei werden nicht nur die Aufführungspraktiken beleuchtet, sondern auch die materiellen und textlichen Hinterlassenschaften, insbesondere die sogenannten Hetzzettel, einer detaillierten Analyse unterzogen.

David Krych (Jg. 1985) studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Philosophie an der Universität Wien. Er promovierte zum Wiener Hetzamphitheater. Sein Forschungsschwerpunkt beläuft sich Wechselwirkungen von Theatertheorie und Theatergeschichte.

Sein Buch gliedert sich in mehrere thematische Abschnitte, die jeweils unterschiedliche Facetten des Wiener Hetzamphitheaters untersuchen. Ein zentraler Punkt ist die Verbindung der Tierhetzen zu anderen populären Theaterformen des 18. Jahrhunderts. Krych zeigt auf, dass sich zahlreiche Parallelen zwischen Tierkämpfen und Jahrmarkts- oder Opernaufführungen finden lassen. Interessanterweise wurden sogar Motive aus dem Hetzamphitheater in Theaterstücke und Opern übernommen.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Dramaturgie der Veranstaltungen. Die Hetzen folgten einem klar strukturierten Spannungsbogen, der sich an bestimmten Nummern orientierte. Besonders spannend ist dabei die Erkenntnis, dass wirtschaftliche Erwägungen eine wesentliche Rolle spielten: Während sich die tatsächliche Abfolge der Kämpfe nur wenig änderte, wurden die Hetzzettel sprachlich und narrativ immer wieder neu und andersartig gestaltet, um dem Publikum Abwechslung zu bieten.

Einen besonderen Stellenwert in Krychs Untersuchung nehmen die Hetzzettel ein – gedruckte Ankündigungen der Veranstaltungen, die oft reiche sprachliche und visuelle Gestaltungselemente aufwiesen. Den zweiten Teil des Buches bildet ein umfangreiches Konvolut solcher Hetzzettel, die auch für sich allein eine faszinierende Lektüre darstellen und einen ungewohnten Einblick in eine nahezu vergessene (oder verdrängte) Kulturpraktik gewähren. Die Hetzzettel sind nicht nur historische Quellen für die Rekonstruktion der Hetzen, sondern auch eigenständige Textgattungen mit einer spezifischen “Hetzsprache”. Diese war geprägt von metaphorischen und oft satirischen Wendungen, die das Geschehen dramatisierten und das Publikum ansprachen.

Krych weist zudem darauf hin, dass sich die Funktion der Hetzzettel im Laufe der Zeit wandelte. Während sie anfangs hauptsächlich zur Informationsvermittlung dienten, entwickelten sie sich in den 1780er Jahren zu einem integralen Bestandteil der Inszenierung. Sie wurden nicht nur vor den Aufführungen verteilt, sondern auch im Hetzamphitheater selbst ausgehängt, sodass sie Teil der performativen Erfahrung wurden.

Die Abhandlung überzeugt nicht nur durch ihre reichhaltige Materialbasis, sondern auch durch ihre methodische Reflexion. Krych stellt die Tierhetzen in einen breiteren theoretischen Kontext, indem er sich mit Konzepten aus der Theaterwissenschaft, der Mediengeschichte und der Kultursoziologie auseinandersetzt. Besonders interessant ist die Diskussion um die Grenze zwischen Theater und Spektakel: Während das heutige Theaterverständnis stark literaturbasiert ist, zeigt Krych auf, dass das 18. Jahrhundert eine weit größere Bandbreite an Aufführungsformen kannte, in die auch die Tierhetzen einzuordnen sind.

Ein weiteres innovatives Element seiner Studie ist der Fokus auf die Materialität der Quellen. Krych zeigt, dass nicht nur die Texte der Hetzzettel, sondern auch ihre grafische Gestaltung und ihre Verbreitungswege wichtige Hinweise auf die Funktionsweise der Hetzen liefern. So lassen sich beispielsweise Veränderungen in der Drucktechnik und im Layout mit inhaltlichen Entwicklungen der Veranstaltungen in Verbindung bringen.

Ein zentraler Befund der Studie ist die These, dass sich im 18. Jahrhundert ein Wandel im Verhältnis zwischen Mensch und Tier vollzog, der sich auch in den Hetzen widerspiegelte. Während die frühen Hetzen noch stark auf rohe Gewalt setzten, zeichnete sich gegen Ende des Jahrhunderts eine Verschiebung hin zu einer disziplinierenden Inszenierung ab. Diese Entwicklung steht in Zusammenhang mit allgemeineren gesellschaftlichen Veränderungen, etwa dem Aufkommen von Aufklärungsidealen und der zunehmenden Regulierung von Vergnügungsveranstaltungen.

Die Abschaffung der Hetzen im Jahr 1796 markiert laut Krych jedoch keinen radikalen Bruch, sondern vielmehr eine Transformation: Die spektakuläre Gewalt gegen Tiere wich neuen Formen der Kontrolle und Dressur, die sich im 19. Jahrhundert in anderen theatralen Praktiken, etwa im Zirkus oder in dressierten Tieraufführungen, wiederfanden.

Die größte Stärke von Das Wiener Hetzamphitheater (1755–1796) liegt in seiner Vielschichtigkeit. Krych verbindet historische Detailgenauigkeit mit einer breiten theoretischen Fundierung und bringt so eine oft marginalisierte Form des Theaters in den Fokus der Forschung. Besonders gelungen ist die Einbindung der Hetzzettel als zentrale Quelle, die eine völlig neue Perspektive auf die Veranstaltungen eröffnet.

Dieses faszinierende Sachbuch basiert auf der Dissertation des Autors zum Thema; daher sind eine präzise wissenschaftliche Ausdrucksweise sowie ein ausführlicher „Apparat“ im Anhang obligatorisch, was die Lektüre für den durchschnittlichen Leser manchmal etwas anstrengend machen dürfte. Leserinnen und Leser ohne tiefere Vorkenntnisse in Theater- oder Kulturgeschichte könnten sich von der Komplexität der Analyse überfordert fühlen.

Mit Das Wiener Hetzamphitheater (1755–1796) legt David Krych eine bahnbrechende Studie vor, die ein bisher kaum erforschtes Kapitel der Kultur- und Theatergeschichte aufarbeitet. Durch die detaillierte Analyse der Hetzzettel und die Einbettung der Tierhetzen in einen größeren gesellschaftlichen und kulturellen Kontext gelingt es ihm, eine neue Perspektive auf die Verbindung von Spektakel, Theater und Medien im 18. Jahrhundert zu eröffnen.

Das Buch ist eine wertvolle Bereicherung für die Theater- und Kulturgeschichtsforschung und dürfte insbesondere für Historiker, Theaterwissenschaftler sowie für die Medienforschung von Interesse sein. Die Studie überzeugt durch ihre methodische Innovationskraft und ihre inhaltliche Tiefe.

 

 

Autor: David Krych
Titel: „Das Wiener Hetzamphitheater (1755–1796)“
Herausgeber: Böhlau Wien
Gebundene Ausgabe: 496 Seiten
ISBN-10: 3205220145
ISBN-13: 978-3205220145

 

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