Matthias Lohre: „Teufels Bruder“
Am: | Januar 13, 2025
2025 ist Thomas-Mann-Jahr. Vor 150 Jahren wurde er am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren; am 12. August 1955 starb er im Alter von 80 Jahren in Zürich. Dieses runde Jubiläum wird für viele Literaturwissenschaftler, Historiker, Biografen, Politikwissenschaftler, Journalisten, Essayisten und natürlich auch für Romanciers ein willkommener Anlass sein, ihre Forschungen zielgenau auf diesen wohl bedeutendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts auszurichten, sich zu neuen Biografien und „enthüllenden“ Abhandlungen hinreißen zu lassen oder sich literarisch mit dieser vielschichtigen, beeindruckenden und immer noch von manchen Geheimnissen umwobenen Ausnahme-Persönlichkeit zu beschäftigen, um das eine oder andere Erlebnis des echten Thomas Mann mit den Geschicken eines literarisch gestalteten Thomas Mann zu verknüpfen.
So liegt zunächst der Eindruck nahe, dass Matthias Lohre mit seinem Roman „Teufels Bruder“ über die Italienreise der beiden Brüder Heinrich und Thomas Mann ähnliche Absichten verfolgt und seine Geschichte dieser Reise punktgenau Anfang Januar 2025 auf den Buchmarkt bringt. – Mag sein, dass es so war und der Piper-Verlag sicherlich auch seinen Anteil an diesem frühen Erscheinungstermin hat, weil solche runden Jubiläen ja immer bestens geeignet sind für eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit und auch für entsprechend höhere Verkaufszahlen. Mag sein, doch wenn schon!
Was sich hier dem Käufer und Leser präsentiert ist nichts Geringeres als ein Meisterwerk der zeitgenössischen Belletristik! Die hohe Qualität dieses wunderbar atmosphärischen und kenntnisreich recherchierten Romans zeigt sich schon allein an der Tatsache, dass man diese historische Verknüpfung mit den Italien-Aufenthalten der Gebrüder Mann im Grunde gar nicht bräuchte, um einen faszinierenden Roman auf dem Tisch zu haben! — Natürlich ist es schön und spannend, mehr über Thomas Mann und sein gespanntes Verhältnis zu seinem Bruder zu erfahren; aber diese komplexe und verflochtene Geschichte, die der Autor auf mehreren Zeitebenen ebenso gekonnt verknüpft, wie er die Handlung zwischen verschiedenen Orten hin und her springen lässt, dabei ebenso mit den Figuren wie mit den Ebenen spielt – all das funktioniert auch wunderbar ganz ohne die Hauptfiguren Heinrich und Thomas Mann!
Mit anderen Worten: Dieser große und in einer facettenreichen und bildhaften Sprache verfasste Roman, der in manchen Passagen, besonders in den atmosphärischen Ortsbeschreibungen und den Introspektionen der Figuren teilweise sogar der sprachlichen Höhe Thomas Manns nahekommt — dieser Roman wäre genauso spannend und lesenswert, würde er einfach eine ebenso turbulente und schicksalshafte Italienreise zweier Brüder an der Wende zum 20. Jahrhundert beschreiben. Denn es sind die üblichen familiären Spannungen, die zeitlebens zwischen Geschwistern bestehen, wenn der eine Bruder bereits älter und erfolgreich im Berufsleben (in diesem Fall als erfolgreicher und bereit arrivierter Schriftsteller) angekommen ist, während der andere, jüngere Bruder noch am Anfang seiner Karriere steht und „noch nichts Großes“ geschaffen hat.
Doch natürlich liefern die historischen Figuren Heinrich und Thomas Mann (und einige weitere) für den geneigten Leser ein nicht unerhebliches Surplus; man erfährt eine Menge über die historischen Figuren und ihr Verhältnis in jenen jungen Jahren. Bewunderer und Liebhaber der Mann´schen Literatur werden in diesem Roman auf jeden Fall eine bereichernde und gar beglückende Lektüre-Erfahrung erwarten dürfen.
Die Leser lernen in diesem Buch einen jungen Thomas Mann kennen, der noch ganz am Anfang seiner literarischen Laufbahn steht, nur einige wenige Texte veröffentlicht hat und von den großen Werken der Weltliteratur, die er in den kommenden Jahren schaffen wird, selbst noch keine oder nur eine sehr vage Ahnung hat. Wir wissen ja, was „da noch kommen wird“ (in literarischer Hinsicht) und beobachten fasziniert einen jungen deutschen Schriftsteller auf Reisen, der in Italien um 1900 seine künstlerische Erweckung, ja, seine „Initiation“ erfährt und dem so manche geheimnisvolle Begegnung zu einem Grundmotiv seines Lebens wird, die sich später sowohl in seinem Werk widerspiegelt als auch seine Erinnerungen bis ins hohe Alter bestimmt.
Über die weiteren Details der Handlung und ihre (wahren oder vermuteten) Verbindungen zum realen Leben Thomas Manns soll an dieser Stelle gar nichts erzählt werden, denn es würde die Freude an der Lektüre schmälern, wenn man diesem (ganz im klassischen Sinne) „Entwicklungsroman“ zu viele Details und Hinweise vorausschicken würde.
Lesen Sie selbst und genießen Sie die Lektüre dieses großen Romans, der in seiner Sprache und in seiner ganzen Erscheinung gut in jene Zeit passen würde, in der seine Handlung spielt. Seinem Autor Matthias Lohre ist ein Meisterwerk gelungen, das sich literarisch mühelos an die Spitze der zahlreichen Werke zum Thomas-Mann-Jahr 2025 setzen dürfte und sich in seiner Multiperspektivität und Komplexität der erzählten Geschichte(n) durchaus würdig erweist, auch in literarischer Hinsicht mit dem Namen Thomas Mann in Verbindung gebracht zu werden.
Autor: Matthias Lohre
Titel: „Teufels Bruder“
Herausgeber: Piper
Gebundene Ausgabe: 544 Seiten
ISBN-10: 3492072798
ISBN-13: 978-3492072793
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