Reiner Pommerin: „Die NS-Rassenpolitik und die Bundesrepublik“
Am: | Mai 29, 2024
Die NS-Rassenpolitik war ein zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie und prägte die Zeit des Dritten Reichs von 1933 bis 1945. Diese Politik basierte auf einer rassistischen Weltanschauung, die die Überlegenheit der „arischen“ Rasse propagierte und eine hierarchische Einteilung der Menschheit vornahm. Die Nationalsozialisten, angeführt von Adolf Hitler, setzten diese Ideologie in Form systematischer Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen um. Besonders betroffen waren Juden, Sinti und Roma, Slawen, Schwarze, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle und politische Gegner. Die grausamste Manifestation dieser Politik war der Holocaust, bei dem etwa sechs Millionen Juden ermordet wurden.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Niederlage des NS-Regimes begann in der Bundesrepublik Deutschland die Aufarbeitung der NS-Rassenpolitik. Diese Aufarbeitung erfolgte in mehreren Phasen und unterlag einem ständigen Wandel im gesellschaftlichen und politischen Kontext. In den ersten Jahren nach dem Krieg dominierten die Prozesse der Entnazifizierung und die Nürnberger Prozesse, die führende NS-Verbrecher vor Gericht stellten. Diese juristische Aufarbeitung legte den Grundstein für die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus.
In den 1950er und 1960er Jahren jedoch war die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik oft von Schweigen und Verdrängung geprägt. Viele ehemalige NSDAP-Mitglieder konnten wieder in öffentlichen Ämtern tätig sein, und die Gesellschaft war weitgehend bemüht, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Erst mit den Studentenprotesten der 1968er Jahre kam es zu einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion über die Verantwortung und die Verbrechen des NS-Regimes.
In den folgenden Jahrzehnten intensivierte sich die Auseinandersetzung mit der NS-Rassenpolitik. Die Einrichtung von Gedenkstätten, die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Arbeiten und die Einbeziehung der Thematik in den Schulunterricht trugen dazu bei, das Bewusstsein für die Verbrechen des Nationalsozialismus zu schärfen. Zudem wurden zahlreiche Opfergruppen, deren Leid lange Zeit wenig Beachtung fand, zunehmend anerkannt und ihre Schicksale dokumentiert.
Heute ist die Aufarbeitung der NS-Rassenpolitik ein integraler Bestandteil der deutschen Erinnerungskultur. Sie dient nicht nur dem Gedenken an die Opfer, sondern auch der Mahnung, die Werte von Menschenwürde, Toleranz und Demokratie zu verteidigen.
Der renommierte Historiker und emeritierte Professor für Neuere und Neueste Geschichte Reiner Pommerin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem komplexen Themenbereich der NS-Rassenpolitik. Besondere Aufmerksamkeit legt er hierbei auf die Frage, ob und in welcher Form jene rassenpolitischen Taten nach dem Krieg ausreichend gesühnt und die Opfer der NS-Rassenpolitik entschädigt wurden.
Bereits die erste Bundesregierung unter Konrad Adenauer unternahm entsprechende Schritte zu einer Entschädigung, allerdings wurden zunächst nur die jüdischen Opfer berücksichtigt; andere Opfergruppen („Zigeuner“, Homosexuelle, „Euthanasie“-Opfer usw.) wurden erst (zum Teil sehr viel) später miteinbezogen.
Die Rassenideologie der Nationalsozialisten lässt sich ohne die entsprechenden politischen Umsetzungen nicht verstehen. Deshalb ist es das Anliegen des Autors, in diesem Buch einen umfassenden Einblick in die komplexen Zusammenhänge der NS-Rassenpolitik zu gewähren.
Nach einer kurzen Einleitung werden die einzelnen Bausteine der NS-Rassenideologie behandelt, die als Grundlage für die rassenpolitische Umsetzung dienten. In den folgenden Abschnitten wird konkret auf einzelne Aspekte jener Politik eingegangen. In den Worten der NS-Ideologie: „Reinerhaltung des Blutes“ durch Zwangssterilisation, Abtreibung und Aussonderung; „Entfernung der Juden aus dem deutschen Volkskörper“ durch Gewalt, die Nürnberger Rassengesetze bis zu Deportation und Vernichtung; die „rassische Absonderung des Zigeunertums“ durch Ausgrenzung, Entrechtung und Vernichtung von Sinti und Roma; schließlich die Verfolgung und Ermordung der homosexuellen „Staatsfeinde“ durch eine Verschärfung des § 175, durch Verfolgung und Ermordung. Der letzte Abschnitt befasst sich mit dem ideologischen Gegenpol zur „Reinerhaltung des Blutes“: die Gewinnung von arischem „Rassegut“ durch die Förderung ehelicher Geburten, durch „Lebensborn“ und die „Germanisierung“ von verschleppten Kindern aus den eroberten Kriegsgebieten.
Der Autor fasst die vielen Stränge jenes umfassenden rassenpolitischen Programms der Nationalsozialisten nicht nur in historischer Perspektive kenntnisreich und gut verständlich zusammen, sondern betrachtet jeden einzelnen Abschnitt noch aus einer zweiten Perspektive, indem er die Aufarbeitung der NS-Politik nach 1945 kritisch hinterfragt. So lässt sich festhalten, dass viele Opfergruppen in der Bundesrepublik lange Zeit für die Anerkennung ihres „Opferstatus“ kämpfen mussten. Der Kampf um Rehabilitierung traf nicht selten auf den Widerstand der Institutionen; „Zwangssterilisierte“ erhielten lange Zeit keine Entschädigung, auch Sinti und Roma wurden erst sehr spät als NS-Opfer anerkannt und entschädigt; Homosexuelle wurden auch in der Bundesrepublik jahrzehntelang stigmatisiert, der § 175 wurde erst 1994 aufgehoben.
In seinem Vorwort weist der Autor darauf hin, dass die Idee zu diesem Buch nicht zuletzt auch persönlich motiviert ist: „Antisemtische Hetze und Gewalt gegen Juden sind schon wieder ebenso alltäglich wie Beschimpfungen und gewalttätige Übergriffe gegen Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe oder Religion.“ — Diesen gewalttätigen Tendenzen, die nicht selten aus einem Mangel an Geschichtskenntnissen entspringen, etwas entgegenzusetzen, ist das Bestreben dieses Buches.
„Die NS-Rassenpolitik und die Bundesrepublik“ von Reiner Pommerin ist trotz aller wissenschaftlichen Fundierung sehr gut lesbar und auch für jüngere Leser leicht verständlich. Für den Einsatz im Geschichtsunterricht an höheren Schulen geeignet, liefert das preisgünstige Buch einen umfassenden Einblick in die NS-Rassenpolitik und -ideologie und ihre Aufarbeitung in der Bundesrepublik.
Autor: Reiner Pommerin
Titel: „Die NS-Rassenpolitik und die Bundesrepublik“
Herausgeber: Reclam
Taschenbuch: 310 Seiten
ISBN-10: 3150144728
ISBN-13: 978-3150144725
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