Mechtilde Lichnowsky: „Der Kampf mit dem Fachmann“
Am: | Mai 29, 2024
Wer war Mechtilde Lichnowsky? — Immer mal wieder landet ein Buch auf dem Tisch des Rezensenten, das ohne Übertreibung als eine „Entdeckung“ bezeichnet werden kann. In diesem Fall handelt es sich, genauer gesagt, um die Wiederentdeckung einer Schriftstellerin, die viel zu lange in Vergessenheit geraten war, die jedoch zu ihrer Zeit zu den schärfsten Zungen des deutschsprachigen Feuilletons gehörte.
Mechtilde Lichnowsky — geboren 1879 als Gräfin Mechtilde Christiane Marie von und zu Arco-Zinneberg — war ein Kind des niederbayerischen Hochadels und eine Ururenkelin der Kaiserin Maria Theresia. Wie in jenen Kreisen selbstverständlich, hat sie nie eine öffentliche Schule besucht, auch keine Universität — und doch steckte sie mit ihrem fundierten Allgemeinwissen, der Kenntnis mehrerer Fremdsprachen, einem kritischen Denken und Scharfsinn, gepaart mit einer ordentlichen Portion Humor und Sprachwitz die meisten Gesprächspartner in die Tasche.
Solch eine Frau braucht einen ebenbürtigen Partner, das war Fürst Karl Max Lichnowsky, der unter anderem für das Deutsche Reich unter Wilhelm II. von 1912 bis 1914 Botschafter in London war.
Ihre ersten Bücher veröffentlichte Mechtilde Lichnowsky bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Schon durch diese ersten Veröffentlichungen wurde das Feuilleton auf sie aufmerksam; ihr Sprachwitz fand eine Reihe glühender Verehrer — darunter Alfred Kerr, Johannes R. Becher, Kurt Tucholsky, Rainer Maria Rilke und Karl Kraus. Besonders mit Karl Kraus, der als einer der schärfsten Sprachkritiker seiner Zeit galt, entwickelte sich Anfang der 1920er Jahre eine enge Freundschaft mit einem gegenseitigen intellektuellen Austausch und der zeitweisen Zusammenarbeit an Kraus´ Großprojekt Die Fackel.
Im Jahr 1924 erschien Lichnowskys Buch „Der Kampf mit dem Fachmann“, das jetzt in einer kommentierten Ausgabe bei Wallstein erschienen ist. Die analytische Schärfe dieser Auseinandersetzung mit dem Fachmann, der in erster Linie vor allem Mann ist, zeigt sich vom ersten Satz an. Was hier als der Kampf zwischen Fachmann und Laie in den unterschiedlichsten Alltagssituationen beschrieben wird, ist
Szenische Dialoge und Reflexionen alltäglicher Situationen wechseln in diesem wunderbar unterhaltsamen Buch temporeich und mit einer sprachlichen Leichtigkeit serviert, die oft an die Texte von Tucholsky erinnern. — Was dieses Buch neben aller Unterhaltsamkeit noch interessanter macht: Hinter diesen Beschreibungen viriler „Fachmännlichkeit“ schwingt für die heutigen Leser aber noch eine Meta-Ebene mit, auf der Gender-Konventionen verhandelt werden. Denn meistens sind „natürlich“ Männer die Fachmänner und Frauen die Laien.
„Der Kampf mit dem Fachmann“ erschien vor hundert Jahren, liest sich aber frisch wie eine aktuelle Neuerscheinung! Es ist ein Feuerwerk sprühender Geistesblitze, ein vergnügliches Stakkato an Dialogen, Szenenwechseln und geistreichen Reflexionen, unterlegt mit einem bissigen Humor und einer beneidenswerten Leichtigkeit. Lichnowskys Sprache erinnert in ihrem Tempo und ihrer Aufgekratztheit nicht selten an Virginia Woolfs Mrs. Dalloway. (…)
Aber lassen wir das! Ich möchte nicht weiter Ihre Zeit verschwenden. Gehen Sie in Ihren Lieblingsbuchladen (der hoffentlich nicht nur „einen Klick entfernt“ ist) und bestellen Sie sich „Der Kampf mit dem Fachmann“ von Mechtilde Lichnowksy! Und dann lesen und genießen Sie!
Autor: Mechtilde Lichnowsky
Titel: „Der Kampf mit dem Fachmann“
Herausgeber: Wallstein
Gebundene Ausgabe: 270 Seiten
ISBN-10: 383535616X
ISBN-13: 978-3835356160
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