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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Kristina Lowis (Hg.): „New Bauhaus Chicago — Experiment Fotografie“

Am: | Dezember 15, 2017

Das Berliner Bauhaus-Archiv wird zurzeit aufwändig umgebaut. Doch dies hält die Organisatoren nicht davon ab, den Ausstellungsbetrieb weiterzuführen und mit interessanten Sonderausstellungen auch während der Umbauzeit auf diese Sammlung aufmerksam zu machen. So sind aktuell in Berlin eine Fülle von Exponaten zu sehen, die den Lehrbereich Fotografie am New Bauhaus Chicago (und später am ID bzw. IIT) beleuchten.

Der vorliegende Bildband umreißt achtzig Jahre Fotografie aus Chicago. Der im Hirmer-Verlag erschienene Titel dient gleichzeitig als Ausstellungskatalog für die gleichnamige Ausstellung im Berliner Bauhaus-Archiv, die den Auftakt zum großen Bauhaus-Jubiläum 2019 bildet.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 musste das Bauhaus, das zuvor in Weimar und Dessau mit seinem revolutionären Konzept einer modernen Kunst-Schule auch international große Beachtung erlangte, auch an seinem letzten Standort Berlin unter dem öffentlichen Druck der neuen Machthaber schließen.

Viele Schüler und Lehrer wählten bald die Flucht ins Exil als einzig mögliche Reaktion auf die neuen Verhältnisse in Deutschland. Der Direktor Walter Gropius emigrierte zunächst 1934 nach England und 1937 in die USA, wo er als Professor für Architektur an der Graduate School of Design der Harvard University tätig war. Auf seine Einladung hin kam auch László Moholy-Nagy, der am Bauhaus die Fotoschule leitete, 1937 nach Chicago, um dort das New Bauhaus Chicago zu gründen und zu leiten.

Das New Bauhaus Chicago änderte schon bald seinen Namen und wurde zum Institute of Design (ID); später wurde es zu einem integralen Bestandteil des IIT (Illinois Institue of Technology). Viele deutsche Künstler fanden dort während der Zeit des Nationalsozialismus und danach eine neue Wirkungsstätte.

Wenngleich die Lehre am ID nicht als eine direkte Fortführung des Bauhaus-Gedankens, so sind doch viele Elemente wiederzufinden, die schon am deutschen Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin entwickelt wurden. Dies liegt natürlich nicht zuletzt an László Moholy-Nagy, der seine Lehransätze auch in Chicago weiterführte und ausbaute. Die Bauhaus-Lehrbücher von Moholy-Nagy, allen voran Sehen in Bewegung (Vision in Motion), wurden zur Grundlage der neuen Fotoklassen am ID.

Wirft man einen Blick auf die Liste der Referenten und Teilnehmer an diesen New Vision-Seminaren, so begegnen einem viele bekannte Namen: Berenice Abbott, Erwin Blumenfeld, Paul Strand, Roy Stryker oder auch Weegee. György Kepes war von 1937-1943 Leiter der Lichtwerkstatt. Ehemalige Studenten, wie Arthur Siegel, William Keck oder Richard Koppe, arbeiteten nach ihrem Abschluss als Dozenten oder Leiter am ID. Später setzten u. A. Harry Callahan und Aaron Siskind diese Arbeit fort.

Der Einfluss, den die Bauhaus-Fotografie auf die zeitgenössische amerikanische Fotokunst hatte, darf zurecht als groß bezeichnet werden. Ähnlich wie die Bauhaus-Schüler im Deutschland der 1920er und frühen 1930er Jahre, so veränderten auch die Studenten am ID (und später am IIT) nachhaltig den „Blick“ und die Arbeitsweise der jungen Fotografen-Generation.

Das Neue Sehen wurde durch sie auch in den USA zu einem grundsätzlich neuen gestalterischen Ansatz einer subjektiven Annäherung an das Objekt. Der kreative und künstlerische Einsatz der fotografischen Technik hatte absoluten Vorrang vor einer korrekten Bedienung der Apparate.

Für László Moholy-Nagy war die Fotografie als eine Form der Licht-Malerei nicht unbedingt vom Einsatz fotografischer Apparate abhängig. Folgerichtig begannen die Foto-Seminare nicht mit den technischen Grundlagen der Kameratechnik, sondern mit Übungen zur „kameralosen Fotografie“. Das Fotogramm als einfachste und direkteste Form des Malens mit Licht auf ein lichtempfindliches Trägermaterial (Fotopapier) wurde zum Spiel- und Aufgabenfeld der Studenten. Erst später wurden Kameras in den Lehrplan einbezogen.

Mehrere Beiträge namhafter Kunsthistoriker liefern ein umfangreiches Hintergrundwissen über den Aufbau des Fotografie-Programms, über den Zusammenhang von Element, Experiment, System und Prozess, über die Fortführung des Bauhaus-Gedankens in den späteren Jahren sowie über das Selbstbild und das Selbstverständnis des Art Institute of Chicago. Die zahlreichen Abbildungen und fotografischen Reproduktionen sind in gewohnt hoher Qualität und bieten einen guten Einblick in die Vielseitigkeit und Komplexität der fotografischen Ausbildung am New Bauhaus Chicago.

Wer sich für die Geschichte des deutschen Bauhauses interessiert, kommt eigentlich auch nicht an einer Beschäftigung mit seinem Erbe und seinen Nachfolgern vorbei. Das New Bauhaus Chicago wurde während der Exiljahre zum neuer Zentrum jener Bauhaus-Lehrer, und das vorliegende Buch gibt einen anschaulichen Überblick auf die experimentelle Schaffensfreude und die nachhaltige Strahlkraft seiner Fotoklassen.

 

 

Autor: Kristina Lowis (Hg.)
Titel: „New Bauhaus Chicago — Experiment Fotografie“
Taschenbuch: 208 Seiten
Verlag: Hirmer
ISBN-10: 3777429384
ISBN-13: 978-3777429380

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