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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Thomas Bleitner: „Frauen der 1920er Jahre — Glamour, Stil und Avantgarde“

Am: | Juli 27, 2017

Unsere Zeit bildet sich viel auf ihre Errungenschaften ein bezüglich der Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft. Bis dahin war es ein langer Weg, und dass all diese Errungenschaften nicht einfach nur vom Himmel gefallen sind, ist klar. So haben starke Frauen bereits vor gut hundert Jahren den Weg geebnet, indem sie überkommene Konventionen über Bord warfen, die Fesseln sprengten und einfach ganz Frau waren.

Thomas Bleitner stellt in dem vorliegenden Buch Frauen aus den Bereichen Kunst und Literatur, Society und Mode, Fotografie und Film, Cabaret und Tanz, Abenteuer und Sport vor, die in den 1920er Jahren für großes Aufsehen sorgten und damals die Wichen stellten für eine neue Rolle der Frau in der Gesellschaft.

Die Weimarer Republik war der demokratische Versuch, nach dem Zusammenbruch der Monarchien in Europa eine neue Gesellschaft zu bauen. Was auf dem Feld der Politik mehr schlecht als recht gelang, wurde im gesellschaftlichen Bereich umso erfolgreicher angepackt:

Bei allen sozialen Problemen jener für die meisten Menschen gar nicht so Goldenen Zwanziger, darf man schon ein wenig neidisch werden: Die Menschen, vor allem die Frauen, trauten sich was! Es war eine Zeit des Neuanfangs und der Experimente in allen Bereichen der Gesellschaft. Die Zeichen standen auf Reform, das Alte musste überwunden werden, egal wie…

Frauen hatten bereits während des Ersten Weltkriegs daheim die Positionen der fehlenden Männer übernommen, schließlich musste der Laden ja weiterlaufen. Entsprechend wuchs nicht nur ihr Selbstvertrauen, sondern entsprechend groß waren auch die Probleme, als die Männer aus dem Krieg wieder nach Hause zurückkehrten. Viele von ihnen litten unter posttraumatischen Syndromen und waren für die Arbeitswelt nur noch bedingt zu gebrauchen. Also blieben viele Frauen in ihren neuen Arbeitsverhältnissen.

In den 1920er Jahren gewann auch die neue Mittelschicht der Angestellten gesellschaftlich an immer mehr Bedeutung. Frauen waren unter den kleinen Angestellten zahlreich vertreten. Parallel zu den verbesserten Arbeitsbedingungen ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre entwickelten sich auch die neue Massenkultur und eine regelrechte Freizeitindustrie. Gerade das neue Massenmedium Film leistete einen entscheidenden Beitrag zum neuen Frauenbild.

Das vorliegende Buch portraitiert berühmte Frauen der 1920er Jahren, wobei es sich nicht auf Deutschland beschränkt. Diese fehlende Beschränkung mag man als ein kleines Manko dieser Publikation ansehen, denn es wäre für den Autor ein Leichtes gewesen, sich ausschließlich auf deutsche Frauen der 1920er Jahren zu konzentrieren; bemerkenswerte Frauen gab es ja in der Weimarer Republik mehr als genug. Wenn man also einen Wunsch äußern dürfte, dann bitte noch eine weitere Publikation über „Deutsche Frauen der 1920er Jahre“! — Aber gut, der internationale Blick auf die Frauenwelt ist auch sehr hübsch, und er zeigt, wie weltweit die Frauen nach vorne bzw. nach oben drängten.

Das Einführungskapitel befasst sich mit „Glamour, Stil und Avantgarde“, jenem Dreiklang der schillernden Welt der Frauen von Welt. Die Diva, die Mondäne, das Sternchen, sie alle sind Produkte, sowohl Abziehbilder als auch Vorbilder einer durch die neuen Medien Fotografie und Film, aber auch durch Mode und Kunst erzeugten Wirklichkeit. Die Röcke wurden kürzer, die alten Zöpfe wurden abgeschnitten, und der Bubikopf machte Furore. Was äußerliche Anzeichen einer neuen Mode waren, fand jedoch seine Reflektion in den veränderten Ansichten und den neuen Freiheiten, die vor allem Frauen in den 1920er Jahren genossen und sich auch herausnahmen.

Der neue Frauentyp mit kurzen Haaren und libertären Moralvorstellungen, die im Englischen so genannten „Flapper“, brachten die Männerwelt ganz schön ins Wanken; die Musik des Jazz wurde zum Sound jener neuen Freiheitsliebe; der Charleston war der Modetanz der frühen Zwanziger, sein Tempo ein Synonym für die überbordende Lebenslust und die Freude am Experiment sowie für die Dynamisierung aller Lebensbereiche.

Wenn es um gesellschaftliche, politische oder moralische Veränderungen ging, so waren Frauen plötzlich ganz vorne mit dabei, in der ersten Reihe, oft tonangebend. Das vorliegende Buch zeigt exemplarisch, dass in allen Bereichen der Kultur und Gesellschaft gerade Frauen zu Ikonen der Erneuerung wurden und dass ihre Bedeutung meist durch die neuen Massenmedien verstärkt und von ihnen gespiegelt wurde.

Thomas Bleitners Sammlung berühmter „Frauen der 1920er Jahre“ (ursprünglich bei Elisabeth Sandmann erschienen) ist jetzt bei Suhrkamp/Insel als preisgünstige Taschenbuch-Ausgabe erhältlich. Ein lesenswertes und sehenswertes Buch mit interessanten Texten und einer Menge schöner Fotos aus einer bewegten Zeit zum beginn des 20. Jahrhunderts.

 

 

Autor: Thomas Bleitner
Titel: „Frauen der 1920er Jahre — Glamour, Stil und Avantgarde“
Taschenbuch: 207 Seiten
Verlag: Insel Verlag
ISBN-10: 3458362622
ISBN-13: 978-3458362623

 

 

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