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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Bernd Ingmar Gutberlet: „Berlin für die Hosentasche“

Am: | Juli 19, 2017

Kein Berliner heißt Bernd Ingmar. Oder doch? Ha, richtig getippt: Der Autor ist kein gebürtiger Berliner, sondern Fuldaer, doch immerhin lebt er „seit den 80er Jahren“ in Berlin, wie die zweite Seite stolz verrät. Historiker sei der Bernd Ingmar und ein „passionierter Berlin-Flaneur“, sogar eine Website hat er in seiner gelegentlichen Funktion als Berlin-Stadtführer: www.berlinfirsthand.de. Fein, so haben wir gleich am Anfang schon den Werbeblock hinter uns gebracht.

Vor uns liegt ein kleines dickes Büchlein, im DINA A6-Format, dafür aber stolze 412 Seiten dick: Das soll in die Hosentasche…? Na ja, wer auf dicke Hose machen will, kann es ja mal versuchen. Doch halten wir uns nicht mit Äußerlichkeiten auf, sondern schauen wir der kleinen Dicken mal unter den Rock.

Zu uns rüber schielt ´ne kleene Brillenschlange, ganz niedlich anzusehen, vielleicht ein bisschen altklug und auch ein wenig vorlaut, aber sie weiß eine Menge über ihr Berlin, das muss man ihr lassen! (So, jetzt ist aber mal Schluss mit diesen frauenfeindlichen Ausfallereien… das ist alles Andere als zeitgemäß und schließlich schreibt hier kein Tucholsky!)

Was da also bei genauerer Betrachtung zum Vorschein kommt, sieht ganz ordentlich aus. Alles ist hübsch aufbereitet, jede Menge Fakten, Fakten, Fakten. Doch wer wird es lesen, dieses kleine Berlin-Büchlein? — Der Berliner? Der Tourist? Der Kulturfreund?

Das Buch beginnt am Anfang, das ist schon einmal gut, mit den Grundlagen. Wissenswertes über Berlin, seine Größe, seine Zentren, seine Bezirke werden aufgezählt; außerdem werden die wichtigsten Fragen, die eigentlich jeder stellt, der nach Berlin kommt, in Kürze beantwortet. Das hätten wir also!

Dann aber wird es spannend. Denn die Topographie dieser Stadt ist ja ständig in Bewegung. Eigentlich könnte man denken, dass die Wirklichkeit längst schon wieder am Druckerzeugnis vorbeigezogen ist, sobald es auf den Markt kommt. In Berlin wird schließlich ständig und an allen Ecken gebaut. Karl Schefflers Bannspruch von der Stadt, die dazu verdammt ist, „immerfort zu werden und niemals zu sein“ kommt ja nicht von ungefähr. — Der Autor löst dieses Problem, indem er nicht allzu aktuell schreibt, sondern mehr so einen Überblick über die Topographie der Hauptstadt abliefert. Richtig so! Der Blick des Adlers toppt hier eindeutig die des Flaneurs.

Berlins Natur, Architektur, Bevölkerung, Geschichte, Kultur, Szene, kulinarisches, Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft und ihr Verkehr sind die weiteren Themen und Kapitel in diesem schönen Berlin-Buch, denen sich der Autor widmet. Alles sehr flott und ansehnlich, vielleicht manchmal ein bisschen zu wenig Tiefgang und zu viel Oberfläche; aber, meine Güte, wie sollte es denn auch anders funktionieren, jenes Monstrum Berlin für einen Reisenden verständlich zu machen. Das geht nicht ohne Klischees, sonst verstehen die Leute doch gar nicht, wovon man redet. — Oder doch?

„Was Reiseführer verschweigen“, so lautet der Untertitel. Das ist allerdings ein wenig irreführend. Gemeint ist wohl, dass man hier eine Berlin-Lektüre in der Hand hält, die eben nicht einfach brav nur die üblichen Sehenswürdigkeiten anführt und jede Menge Fakten auf den Leser niederregnen lässt, sondern eben auch mal abseits der ausgetretenen Touristenpfade dem Berlin-Neuling ein paar richtig gute Tipps an die Hand gibt und ihm neue Zugänge zu jenem Moloch bietet. Dabei versäumt jedoch auch dieser Reiseführer nicht, den Leser mit dem elementaren Berlin-Wissen zu versorgen, das unverzichtbar ist. Für den topaktuellen Rest hat man ja sein Smartphone.

Doch neue Zugänge sind wichtig, keine Frage! Denn Berlin ist natürlich einerseits genau so, wie es die Touristenführer in den Reisebussen erzählen, und es ist gleichzeitig natürlich überhaupt nicht so. Am Ende bleibt es dabei, dass sich jeder Besucher leider doch selbst auf Entdeckungstour begeben und die Suche nach seinem Berlin, nach seiner ganz persönlichen Version des Berliner Bumsfallera, aufnehmen muss. Anders geht´s nicht, aber schließlich ist das ja auch der Sinn einer jeden Reise…

Gutberlets Buch ist gut recherchiert und zeugt von seiner jahrzehntelangen intensiven Beschäftigung mit der Stadt. Er kennt alle wichtigen Ecken und darüber hinaus noch eine ganze Ecke weiterer kleiner Perlen, die den Berlin-Neuling begeistern werden. Für den gebürtigen Berliner wird die Lektüre von „Berlin für die Hosentasche“ zur angenehmen Bestätigung seiner eigenen Überzeugung, in der schönsten, besten, schillerndsten und aufregendsten Stadt des Universums zu leben. Wenn er nach der Lektüre auch nicht viel Neues über sich und seine Stadt erfahren haben mag, so liefert Gutberlet doch eine hübsch zu lesende Zusammenfassung der Geschichte, des Lebens und der Eigenarten der Menschen in der Metropole an der Spree.

 

 

Autor: Bernd Ingmar Gutberlet
Titel: „Berlin für die Hosentasche“
Taschenbuch: 416 Seiten
Verlag: FISCHER Taschenbuch
ISBN-10: 3596521106
ISBN-13: 978-3596521104

 

 

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