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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Marcus Reckewitz: „Über die Kunst der Trunkenheit — Plädoyer für den gepflegten Rausch“

Am: | Juli 7, 2017

An diesem Buch kann man sich besoffen lesen! Seine viele Fakten – und noch mehr die zahlreichen Anekdoten rund ums Trinken und die Trunkenheit beschwingen die Sinne, heben die Laune und rüsten den aufmerksamen Leser mit einem ganzen Sack voller scharfer Munition für den nächsten Smalltalk aus: Wussten Sie eigentlich, dass bereits Ramses II. vor mehr als 3000 Jahren gegen das Trinken wetterte? Natürlich nicht irgendein Trinken, sondern das Trinken alkoholischer Flüssigkeiten.

Marcus Reckewitz ist bekennender Trinker. — Na, also damit meint er jetzt nicht wirklich das abhängige und exzessive Trinken, aber doch schon mal das eine oder andere und auch mal das zweite und dritte Gläschen. Er ist bekennender Genusstrinker, ein fleißig schreibender Autor (auch unter einem Pseudonym), freier Lektor, Texter und so weiter. Als Autor von Sachbüchern im Bereich Essen und Trinken ist er Wiederholungstäter. Seine Bücher über Champagner, Trüffel und Tartar, Safran, Sushi und Prosecco verkaufen sich seit Jahren bestens, seine vor fünf Jahren (ebenfalls bei Anaconda erschienenen) „Populären Wein-Irrtümer“ weisen bereits in die alkoholische Richtung: Nun also „Über die Kunst der Trunkenheit“!

Der Trick am Trinken ist ja, sich nicht einfach volllaufen zu lassen, sondern mit Köpfchen zu trinken. Sicherlich mag es die eine oder andere Lebenssituation erfordern, sich möglichst schnell und effizient zu betäuben, doch das ist wohl eher die Ausnahme. Normalerweise sind wir mit unserem Leben recht zufrieden und möchten mit guten Freunden oder auch allein ein Gläschen trinken.

Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, findet auch Marcus Reckewitz, schließlich sind Trinker gesellige Leute, und andersrum macht gezieltes Trinken selbst aus maulfaulen Zeitgenossen nach einer Weile recht gesprächige Plaudertäschchen. Der eigentliche Punkt ist nur, den Punkt dort zu setzen, wo man genug hat, bevor daraus ein Zuviel wird. Denn sonst wird es unangenehm für einen selbst und auch für die Anderen.

Nur ein schmaler Grat verläuft oft zwischen berauscht und besoffen, zwischen beschwipst und hacke-stramm. Es ist die hohe Kunst der Trunkenheit, sich jenem Scheitelpunkt zu nähern und möglichst lange an ihm zu verweilen, ohne über die Stränge zu schlagen und demzufolge die unaufhaltsame Talfahrt bis zur eigenen Besinnungslosigkeit anzutreten.

Der Autor nimmt uns mit auf ein Gläschen und auf einen Schnelldurchgang durch die Kulturgeschichte des gepflegten Trinkens. Doch schnell sind wir wieder in der Gegenwart angelangt, wo es ja auch sehr vielseitig und bunt zugeht. Somit beschäftigt sich ein Großteil dieses wunderbaren kleinen Buches mit den internationalen Unterschieden und den regionalen Besonderheiten des Konsums von Alkoholika. Was machen die Franzosen, die Spanier, die Amis, die Briten… Wie trinkt man was, wann und wo und zu welchen Anlässen?

Das Buch ist derart faktengeschwängert und dennoch leicht und luftig in seiner Sprache, so anekdotenreich und witzig, so praktisch (Cocktail-Rezepte) und unterhaltsam, dass der Autor sicher ein halbes Leben lang mit ausgiebiger Recherche, mit Feldversuchen und Barbesuchen verbracht haben mag, um die entsprechenden Fakten und Geschichten zusammenzutragen.

Das wohltemperierte Trinken ist ein zivilisatorischer Akt und Ausdruck einer Kultiviertheit, die man lernen muss. Komasaufen ist nicht zuletzt deshalb ein vor allem unter Jugendlichen auftretendes Phänomen, weil von ihnen der richtige Umgang mit den flüssigen Rauschmitteln noch nicht ausreichend kultiviert wurde. Erst wer weiß, wie viel er verträgt, kann den gepflegten Rausch genießen oder sich bei Bedarf auch mal die Kante geben, doch er wird nicht aus Zufall und Unwissenheit ins alkoholische Koma fallen.

Doch die meisten Leser werden mit solchen Exzessen sowieso nichts am Hut haben, sondern suchen nach guten Argumenten und Rechtfertigungen für ihren temporären Alkoholkonsum. Selbst wenn Ärzte immer wieder warnen und jene bekannten Studien, nach denen ein Gläschen Rotwein pro Tag gesund sein soll, als falsch entlarven, so bleibt doch eine Erfahrung unwiderlegt: Alkohol in Maßen weitet den Geist, er inspiriert, was ja nichts Anderes bedeutet, als dass der Alkohol den Menschen begeistert und seine Begeisterungsfähigkeit steigert. Natürlich immer nur bis zu einem bestimmten Punkt; danach vernebeln sich der Blick und das Hirn und der „Point of no return“ ist überschritten.

Nehmen Sie also dieses Buch mit einem schönen Glas Wein oder Bier zur Hand, lesen Sie die interessanten und spannenden, informativen und unterhaltsamen, lehrreichen und beschwingten Geschichten über die Kunst der Trunkenheit — und schon bald werden auch Sie sich diesem hin- und mitreißenden „Plädoyer für den gepflegten Rausch“ von Marcus Reckewitz leutselig und voller Überzeugung anschließen. Das Leben ist zu kurz, um ständig nüchtern zu sein! Lassen Sie sich berauschen von dieser Lektüre! — Zum Wohl!

 

 

Autor: Marcus Reckewitz
Titel: „Über die Kunst der Trunkenheit — Plädoyer für den gepflegten Rausch“
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Anaconda Verlag GmbH
ISBN-10: 3730603922
ISBN-13: 978-3730603925

 

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