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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Mascha Kaléko: „Das lyrische Stenogrammheft“

Am: | Januar 5, 2017

Es gibt Bücher, die muss man einfach kennen. Besser noch, man besitzt sie. Stehen sie erst einmal im eigenen Bücherregal, so kann man sie jederzeit zur Hand nehmen und sich an ihnen erfreuen. Ein solches Buch ist zweifellos Mascha Kalékos Klassiker „Das lyrische Stenogrammheft“.

Was fasziniert den heutigen Leser an diesem Büchlein? Sicherlich ist es zunächst die Sprache, mit der die Autorin das Großstadtleben beschreibt. Es ist das Leben einer jungen Frau im Berlin der 1920er und 1930er Jahre, welches hier seine lyrische Form erhält. Das alles ist gut 90 Jahre her, und trotzdem wirken Kalékos Texte so modern, als ob sie erst gestern geschrieben worden wären.

Wie macht sie das? Es ist die schonungslose Ehrlichkeit und das Unmittelbare dieser Aufzeichnungen aus einem Tollhaus der Gefühle. Kaléko ist niemals die teilnahmslose Beobachterin, sondern sie steckt mittendrin im Trubel der Großstadt. Ihre Liebschaften, ihre Sehnsüchte, Träume und Enttäuschungen, das Hoffen und das Warten, oft auch das vergebliche Warten, all dies beschreibt sie in ihren Texten; sie schreibt auf, was sie bewegt, und auf diese Weise bewegt sie auch die Leserin und den Leser.

In vielen Variationen verwendet Mascha Kaléko die kleine Form — in Gedichten, Briefen und in kurzen prosaischen Texten — und gerade diese kleine Form ist für ihr literarisches Werk so charakteristisch, und hier sind ihre Texte am stärksten.

1907 als Kind jüdischer Eltern in Galizien geboren, am östlichsten und ärmsten Außenrand Europas, kam sie in den 1920er Jahren nach Berlin und fand dort schnell Anschluss zu den literarischen und intellektuellen Kreisen der Hauptstadt. Ihre Gedichte veröffentlichte sie in Zeitungen, von denen es in der Weimarer Zeit so viele gab, wie niemals vorher und nachher wieder.

Erst 1933 konnte sie mit ihrem „Lyrischen Stenogrammheft“ einen Bestseller landen, doch dann hatte sich schon das politische Blatt gewendet und der Himmel verdunkelte sich für 12 Jahre. 1938 konnte Mascha Kaléko noch nach Amerika emigrieren, dort hielt sie die Familie mit dem verfassen von Reklame-Texten und ähnlichen Arbeiten finanziell über Wasser. Nach dem Krieg wurden ihre Gedichtsammlungen wieder aufgelegt und erfreuten sich großer Beliebtheit bei den Lesern. Doch Kaléko kehrte niemals mehr nach Deutschland zurück. 1959 ging sie ihrem Mann zuliebe nach Israel, litt dort zunehmend unter der kulturellen Isolation und starb 1975 in der Schweiz.

„Das lyrische Stenogrammheft“ (1933) ist ohne Zweifel Kalékos Hauptwerk; es erscheint nun im DTV zusammen mit dem zweiten großen Bucherfolg Kalékos — dem „Kleinen Lesebuch für Große“ (1935) in einem Band; somit hat man Kalékos berühmtesten Großstadtgedichte in einem einzigen Buch bei der Hand! Mit diesem sehr schön produzierten Hardcover-Band mit Lesebändchen und geschmackvollem Schutzumschlag hat man alles in der Hand, was man braucht, um mit Mascha Kalékos Texten auf eine Zeitreise zu gehen in eine Großstadt, die uns so fern und doch so nah ist — in das Berlin der frühen 1930er Jahre.

 

Autor: Mascha Kaléko
Titel: „Das lyrische Stenogrammheft“
Gebundene Ausgabe: 200 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423280980
ISBN-13: 978-3423280983

 

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