kulturbuchtipps.de

Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Hans Fallada: “Kleiner Mann — was nun?”

Am: | August 18, 2016

Hans Fallada: “Kleiner Mann — was nun?”Der Aufbau-Verlag hat sich schon länger um die literarische Aufarbeitung des Gesamtwerks von Hans Fallada verdient gemacht. Nun ist Falladas vielleicht berühmtester und erfolgreichster Roman „Kleiner Mann — was nun?“ in der Originalfassung erschienen.

Die Publikations- und Editionsgeschichte dieses Romans liest sich selbst wie ein Krimi. Geschrieben 1932, wird „Kleiner Mann — was nun?“ noch im selben Jahr gedruckt. Allerdings weist das Buch bereits erhebliche Streichungen auf, die mehr als eine textliche Straffung des Materials bedeuteten und viele Szenen betrafen, die zu jener Zeit aufgrund ihrer Freizügigkeit eventuell hätten Anstoß erregen können. Wenn man das weiß, fällt einem unwillkürlich Erich Kästners „Gang vor die Hunde“ ein, der kurz zuvor aus denselben Gründen zurechtgestutzt wurde und mit dem neuen Titel „Fabian“ zu einem großen Erfolg wurde.

Am Vorabend der Machtergreifung der Nationalsozialisten beschreibt Fallada sehr ausführlich und lebensnah das Leben der Leute aus kleinen Verhältnissen. Die prekäre wirtschaftliche Lage der kleinen Leute in der Weltwirtschaftskrise wird ebenso greifbar wie die angespannte politische Situation jener Zeit der Straßenkämpfe zwischen Links und Rechts. Es gelingt Fallada, mit seinen Protagonisten Pinneberg, Lämmchen und dem kleinen Purzel ein Bild der Zeit zu malen, das trotz aller Widernisse einen Optimismus ausstrahlte, der viele Leser ansteckte.

Das Typoskript der Originalfassung wurde für den Druck der ersten Fassung um ca. 100 Seiten — also fast um ein Viertel! — gekürzt. Hier ist der Text erstmals in seiner vollständigen und umfassenden Urfassung erhalten, und es gibt eine Menge zu entdecken, selbst wenn man den Roman früher schon einmal gelesen hat. Allein die ausgiebigen Beschreibungen des Berliner Nachtlebens jener Zeit sind bemerkens- und lesenswert. Vergleicht man die Urfassung mit der Druckfassung, so finden sich auch viele Streichungen, die die kontroversen politischen Auffassungen der Weimarer Zeit betreffen. Im Urtext ist all dies enthalten, und so wird in dieser jetzt vorliegenden originalen Fassung ein wirklich vollständiges Bild jener gar nicht so fiktiven Welt gezeichnet. Was Fallada beschrieb, kam dem wirklichen Leben der kleinen Leute sehr nahe.

Die nächsten Buchausgaben des erfolgreichen Romans nach 1933 konnten nur erfolgen, nachdem unter dem Druck der nationalsozialistischen Zensur weitere Änderungen am Text vorgenommen wurden, die u. A. aus dem „Nazi Lauterbach“ einen „Torwart Lauterbach“ machten und insgesamt die Rechten deutlich sympathischer als im Originaltext Falladas erscheinen ließen.

Als das Buch 1932 ein echter Publikumsliebling und auch finanziell ein Erfolg wurde, plante die UFA die Verfilmung des Stoffes. Den Titelsong sangen die berühmten Comedian Harmonists, und die Liste der Schauspieler konnte sich sehen lassen. Doch die Dreharbeiten zogen sich bis weit ins Jahr 1933 hin, das politische Klima änderte sich radikal, und aus dem Filmprojekt ist niemals ein fertiger Film geworden. Nach Beendigung der Dreharbeiten bestanden die neuen Machthaber auf zahlreiche tiefgreifende Änderungen des Drehbuches, so dass der Film quasi hätte noch einmal gedreht werden müssen. Daraufhin wurde das Projekt fallen gelassen.

Falladas Roman, der sich 1934 84000-mal verkaufte, erreichte bis zum Ende des Dritten Reiches eine Verkaufszahl von 180 000 Büchern. Nach dem Krieg gab es dann weitere Kürzungen z. B. in einer DDR-Ausgabe des Romans sowie im Westen bei Rowohlt. Bis jetzt ist die eigentliche Originalfassung niemals gedruckt worden. Doch nun liegt endlich die 480 Seiten starke Urfassung vor!

Ein umfangreicher Anhang gibt Auskunft über die facettenreiche Entstehungs- und Publikationsgeschichte dieses spannenden und bewegenden Zeitromans aus dem und über das Ende der Weimarer Republik. Wenn man Geschichte verstehen will, muss man Geschichten lesen, die von den Menschen und ihren Schicksalen, ihren Träumen und Ängsten, ihren Hoffnungen und Enttäuschung in jener Zeit erzählen. Hans Falladas Roman „Kleiner Mann — was nun?“ ist deshalb die optimale Lektüre für alle, die dem Lebensgefühl jener faszinierenden und bewegten Zeit nachspüren und verstehen wollen, wie der kleine Mann damals lebte.

 

Autor: Hans Fallada
Titel: “Kleiner Mann — was nun?”
Gebundene Ausgabe: 557 Seiten
Verlag: Aufbau Verlag
ISBN-10: 3351036418
ISBN-13: 978-3351036416

 

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner