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Rezensionen von Büchern aus den Kultur- und Geisteswissenschaften

Michael Pauen: „Die Natur des Geistes“

Am: | August 4, 2016

Michael Pauen: „Die Natur des Geistes“Die Philosophie des Geistes galt lange Zeit als eine der wichtigsten Disziplinen der Theoretischen Philosophie. Was ist der menschliche Geist? Wie hängen Körper, Geist und Seele zusammen? Wie ist das Verhältnis von Geist und Verstand, von Gehirn und Welt, beschaffen und wie formt? Wie bestimmt der Geist unsere Wahrnehmung der Realität und die Beschaffenheit unseres Bewusstseins?

Seit vielen Jahren haben die Neurowissenschaften und der rein naturwissenschaftliche Blick auf den Geist und das Bewusstsein den Diskurs über die Natur des Geistes bestimmt, doch eine Erklärung des Geistes scheint ferner denn je. Michael Pauen ist jedoch der Meinung, dass es durchaus eine plausible Erklärung für das Phänomen des Bewusstseins gibt.

Die Forschungsgeschichte zeigt, dass sich die Vorstellungen von Gehirn und Geist immer wieder verändert haben. Je nach Forschungs- und Erkenntnisstand wurden beide Begriffe unterschiedlich wahrgenommen und in ihren Funktionen definiert. Wenn also heute das Problem der Bestimmung des menschlichen Bewusstseins unlösbar erscheint, so heißt dies noch lange nicht, dass das auch in Zukunft so bleiben muss. Pauen möchte mit seinem Buch einer solch zukünftigen Lösung den Weg ebnen.

Grundsätzlich steht man bei der Suche nach einer Erklärung des Geistes vor einem Dilemma: Entweder setzt man bei seiner Suche auf objektive, methodisch gesicherte Erkenntnisse; dann schließen sich alle subjektive Erfahrungen als Beweisgrundlage aus. Oder man versucht den umgekehrten Weg zu gehen und beginnt mit jenen subjektiven Erfahrungen, doch in diesem Augenblick verlässt man schon den sicheren Grund einer wissenschaftlichen Methodik. Dieses Dilemma zieht sich durch alle Phasen der Wissenschaftsgeschichte.

Doch Michael Pauens Ansatz ist die Versöhnung jenes atrophischen: „Ziel dieses Buches ist es zu zeigen, dass sich dieses Dilemma auflösen lässt, wenn man hinreichend genau zwischen bewusster Erfahrung und der Erkenntnis dieser Erfahrung unterscheidet und dabei erkennt, dass nur die Erfahrung selbst, nicht aber deren Erkenntnis ein subjektives Privileg ist.“

Was zunächst ein wenig haarspalterisch klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als der richtige Weg zur Erkenntnis; denn gegen das Introspektionsprivileg und die ihm zugrundeliegende Engführung von Wissen und Bewusstsein gibt es einige systematische und empirische Einwände. Normalerweise definieren wir Wissen als eine gerechtfertigte und wahre Meinung. Eine Meinung ist wahr, wenn sie reale Zustände abbildet; gerechtfertigt ist sie, wenn ich plausible Gründe für diese Meinung vorbringen kann. Doch mein Wissen und der Gegenstand meines Wissens sind niemals dasselbe.

Ebenso müssen wir unterscheiden zwischen subjektiver Erfahrung und dem Wissen über jene subjektiven Erfahrungen; im ersten Fall spricht man von subjektivem, introspektiven Wissen; das Wissen über subjektive Erfahrungen nennt Pauen extrospektives Wissen. Extrospektives Wissen ist das Wissen über mentale Zustände Anderer im Gegensatz zum introspektiven Wissen über die eigenen mentalen Zustände.

Pauens Abhandlung hat drei Abschnitte: Im ersten Abschnitt gibt er einen Abriss der geistesphilosophischen Problemgeschichte, die lange Zeit als das „Leib-Seele-Problem“ bezeichnet wurde und heute wohl eher ein „Geist-Gehirn-Problem“ darstellt. Die Etablierung des modernen Bewusstseinsbegriffs konnte durch eine Engführung von Wissen und Bewusstsein vollzogen werden. An dieser vom Autor kritisierten historische Engführung wird bis heute vor allem aus metaphysischen und wissenschaftstheoretischen Interessen festgehalten. Vordergründig werden jedoch vor allem Zweifel an den epistemischen Eigenheiten der Introspektion angemeldet, um die Unergründbarkeit des Geistes sowie seinen metaphysischen Charakter zu bewahren.

Im zweiten Abschnitt versucht Michael Pauen zu zeigen, dass seine Skepsis an dieser Engführung von Wissen und Bewusstsein berechtigt ist und dass es Sinn macht, diese Engführung aufzugeben. Die tiefe Kluft, die scheinbar zwischen der subjektiven Erfahrung von Bewusstsein und der objektiven Erkenntnis wissenschaftlicher Theorien besteht, ist für ihn eines der Haupthindernisse bei der Lösung des Leib-Seele-Problems.

Der letzte Abschnitt des Buches befasst sich schließlich mit empirischen Belegen für eine von Pauen konstatierte Symmetrie von introspektiver und extrospektiver Erkenntnis. Er entwickelt im Rahmen dieser Abhandlung ein erstes Modell zur systematischen Beschreibung der Qualität bewusster Erfahrungen, die einen ersten Ansatz zum besseren Verständnis der natürlichen Grundlagen des Phänomens „Geist“ liefern helfen können.

Michael Pauen ist Professor am Institut für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Abhandlung über „Die Natur des Geistes“ liest sich spannend und liefert einen wichtigen philosophischen Beitrag zur aktuellen Diskussion der Frage, was und wie frei das menschliche Bewusstsein ist. Das Buch ist bei „S. Fischer Wissenschaft“ erschienen und verweist mit seinem Publikationsort auch auf die angesprochene Leserschaft.

Der Text ist zwar im Grunde leicht verständlich geschrieben, behandelt jedoch eindeutig ein philosophisches Problem, das nicht jedermanns Sache sein dürfte. Mit anderen Worten: Man bewegt sich auf akademischem Parkett, der Autor argumentiert philosophisch und wissenschaftlich korrekt. Dieses Buch soll nicht die Massen begeistern — wie zum Beispiel die Bücher eines Richard David Precht –, sondern will einen neuen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Leib-Seele-Problem liefern. Wen das interessiert, der wird an Michael Pauens neuem Buch auf jeden Fall seine Freude haben.

 

Autor: Michael Pauen
Titel: „Die Natur des Geistes“
Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: S. FISCHER WISSENSCHAFT
ISBN-10: 3100024087
ISBN-13: 978-3100024084

 

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