Marion Beckers (Hg.): „Alice Lex-Nerlinger – Fotomonteurin und Malerin“
Am: | August 4, 2016
Nicht selten sind es gerade nicht die berühmten Namen der ersten Reihe, die mit ihrem Kunstschaffen ein für die jeweilige Strömung charakteristisches Bild abgeben; zu sehr überstrahlen ihre Namen die Rezeption des Publikums und lenken von der künstlerischen Aussage ab. Sondern oft sind es gerade jene Künstler aus der zweiten Reihe, in deren Werken wir den Zeitgeist viel reiner und unverbrauchter, ja unverstellter, nachempfinden können.
Alice Lex-Nerlinger war (und ist bis heute) eine solche Künstlerin der zweiten Reihe, deren Oeuvre lange Zeit vernachlässigt wurde – sehr zu unrecht. Geboren 1893 in Berlin als Tochter des Gaslampen-Fabrikanten Heinrich Pfeffer, besuchte sie nach der Schule die dortige Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums und studierte, breit gefächert, Architektur, Ornamentik und Textilhandwerk. Dort lernte sie ihren späteren Mann, den Maler Oskar Nerlinger, kennen. Aber auch die anderen Kommilitonen sind nicht ganz unbekannt: George Grosz, Karl Hubbuch, Eva Peter und Hannah Höch.
Nach Kriegsende leben Alice und Oskar Nerlinger, nach einem kurzen Ausflug nach Straßburg, wieder in Berlin und werden Teil der Berliner Avantgarde. Alice Nerlinger nimmt den Künstlernamen „Lex“ an und beginnt, ihren eigenen künstlerischen Stil zu entwickeln. Vom Expressionismus und vom Kubismus beeinflusst, werden ihre Bleistift- und Tinten-Skizzen u. a. auch in den Kunstausstellungen von Herwarth Waldens „Der Sturm“ präsentiert.
In den späteren 1920er Jahren veröffentlicht die Künstlerin immer wieder Arbeiten in der „Berliner Illustrierten Zeitung“ (BIZ) sowie im „Weltspiegel“ des Berliner Tageblatts. Immer stärker wendet sie sich der Fotomontage zu, woraus auch mehrere sehr bekannte Werke entstehen, so z. B. „Feldgrau schafft Dividende“, „Krieg“ oder ihr bekanntestes Werk „Paragraph 218“. Die Zusammenarbeit mit der „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ (AIZ) sowie die Mitgliedschaft in der Künstlergemeinschaft ASSO (Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands) belegen Nerlingers Engagement für die sozial Benachteiligten. 1927 wird sie Mitglied der KPD und kämpft fortan auch politisch gegen Krieg und Ausbeutung.
Das Verborgene Museum in Berlin ist bekannt für seine sorgsam kuratierten Ausstellungen zu Berliner Künstlerinnen. In diesem Sommer wird das künstlerische Werk von Alice Lex-Nerlinger präsentiert, und begleitend hierzu ist jener umfangreiche Bildband und Ausstellungskatalog entstanden, dem diese Besprechung gewidmet ist.
Zusammen mit Hannah Höch, Lea und Hans Grundig, John Heartfield und ihrem Mann Oskar Nerlinger gehörte Alice Lex-Nerlinger zur künstlerisch-politischen Avantgarde der Weimarer Republik. Dass ihr Oeuvre in weiten Teilen erhalten geblieben ist, ist für die Geschichte des Feminismus wie für die Malerei der Klassischen Moderne ein echter Glücksfall. Der vorliegende Band bietet einen sehr umfangreichen Überblick in das Werk Lex-Nerlingers.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Alice Lex-Nerlinger durch Zensur und Arbeitsverbot in die „innere Emigration“ getrieben. Anders als viele Künstlerkollegen blieb sie in Deutschland und engagierte sich im Untergrund. Nach dem Krieg blieb sie in der DDR und arbeitete vorwiegend an Porträtaufträgen. Ihre gesellschaftspolitischen Visionen ließen sich aber auch unter den neuen Machtverhältnissen nicht realisieren.
Der vorliegende Band präsentiert nicht nur das Werk der Künstlerin, sondern wird durch zahlreiche einführende und begleitende Texte ergänzt. Besonders bemerkenswert sind die von Alice Lex-Nerlinger 1956 selbst verfassten „Erinnerungen“, die erstmals in diesem Band abgedruckt sind. Sie geben Aufschluss über die subjektive Sicht auf die Dinge und gewähren somit einen einzigartigen Einblick in das Leben und Werk dieser fast vergessenen und nun wiederentdeckten deutschen Künstlerin des 20. Jahrhunderts.
Die begleitende Ausstellung im Verborgenen Museum zu Berlin ist noch bis zum Wochenende (07.08.16) geöffnet.
Autor: Marion Beckers (Hg.)
Titel: „Alice Lex-Nerlinger – Fotomonteurin und Malerin“
Broschiert: 192 Seiten
Verlag: Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte
Sprache: Englisch, Deutsch
ISBN-10: 3867322457
ISBN-13: 978-3867322454
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